Anton Hofreiter liest in Gunzenhausen

22.6.2018, 17:47 Uhr
Anton Hofreiter liest in Gunzenhausen

© Marianne Natalis

Das Interesse an dem Spitzenpolitiker war groß: Rund 100 Menschen waren ins Hotel "Krone" gekommen. Ein Andrang, der die Veranstalter von Orts- und Kreisverband der Grünen sichtlich freute und auch dem Gast Anlass zur Hoffnung für die in seinen Augen notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen gab. Immerhin war es doch ein schöner Sommerabend und das Thema "nicht ganz unsperrig".

Bei seiner dann aber alles andere als sperrigen Lesung nimmt Hofreiter seine Zuhörer mit in einen Schweinestall. 3500 Tiere leben dort, bald sollen weitere 1000 dazukommen. Das Borstenvieh steht in drangvoller Enge und auf Spaltenboden. Die freie Natur wird es nie zu sehen bekommen. Routinemäßig werden gleich nach der Geburt die Ringelschwänze kupiert, damit sich die Tiere später nicht gegenseitig anknabbern — was böse Entzündungen bewirken kann. Arme Schweine? Ja, schon, aber wohl ganz normal in Deutschland. Dieser Hof erfüllt laut Hofreiter alle geforderten Standards, er gilt sogar als Vorzeigebetrieb in der konventionellen Landwirtschaft.

Ohne moralischen Zeigefinger

Hofreiter verhehlt in seinem Buch und bei der Veranstaltung in der "Krone" nicht, auf welcher Seite er steht. Doch er kehrt nicht den Moralapostel heraus und lässt sich schon gar nicht zu schnellen Schuldzuweisungen verleiten. Während in der Öffentlichkeit gerne mal vom mündigen Verbraucher die Rede ist, der es doch selbst zu verantworten habe, ob er Billigfleisch konsumiert oder sich für Bioware entscheidet, verweist der Abgeordnete auf den undurchschaubaren Dschungel, dem der Kunde im Supermarkt gegenübersteht. Nicht nur die lange und sehr kleingedruckte Liste an Inhaltsstoffen lässt ihn kapitulieren, für Hofreiter ist es vor allem die "schöne bunte Marketingmaske, die nur schwer durchschaubar ist". Wenn etwa Fleisch und Wurst unter dem Namen "Gut Drei Eichen" verkauft werde, dann werde dem Verbraucher eine ländliche Idylle vorgegaukelt, die mit der tatsächlichen Produktion dieser Waren in der Regel nichts zu tun habe.

Anton Hofreiter liest in Gunzenhausen

© Marianne Natalis

Gefordert sieht Hofreiter die Bundesregierung, die ein verständliches System schaffen sollte. Die frühere Landwirtschaftsministerin Renate Künast habe in ihrer Amtszeit mit der Klassifizierung von Schaleneiern den richtigen Weg vorgegeben. Von Bio (0) bis Käfighaltung (3) sei sofort ersichtlich, wie die Hühner gehalten werden. Der Erfolg: In den Supermärkten finden sich, erläutert der Referent, keine Eier der Klasse 3 mehr, da sie nicht gekauft wurden. Dieses System könnte man ohne Probleme auch auf alle anderen Tierarten übertragen, wenn man es entsprechend definiert.

Hofreiter deutet auch nicht mit dem Finger auf die Landwirte, sondern hat für deren Situation ebenfalls viel Verständnis. Wenn ein Bauer für ein Schwein nur noch ein paar Euro bekomme, dann versuche er natürlich über die Menge auf seine Kosten zu kommen. Explizit sprach der Politiker von der "Massentierhaltungsfalle". Viele Bauern hätten sich mit dem Bau großer Ställe enorm verschuldet und kämen aus dieser Sackgasse nun nicht mehr heraus.

Wenn er denn einen Schuldigen benennen soll, dann landet Hofreiter schnell bei denen, die an der Agroindustrie kräftig verdienen: den großen Chemiekonzernen. Den hier fortschreitenden Konzentrationsprozess hält der Grüne für bedenklich. Ihm ist es deshalb auch ein Rätsel, warum das Bundeskartellamt der Übernahme von Monsanto durch Bayer zugestimmt hat.

Über Artenvielfalt geforscht

Wie kam der Biologe, der aus einem Dorf bei München stammt, eigentlich dazu, dieses Buch zu schreiben? Nicht zuletzt durch seine berufliche Tätigkeit vor seiner Zeit als Politiker — Hofreiter sitzt seit 2013 für die Grünen im Bundestag. Er beschäftigte sich vor allem mit der Artenvielfalt, und um die steht es in Deutschland nicht gut. 30 bis 50 Prozent aller hier vorhandenen Tier- und Pflanzenarten sind nach seinen Worten gefährdet. Was ein Schmetterling oder Vogel weniger mit dem Einzelnen zu tun hat, das erklärt der Akademiker sehr anschaulich: Man müsse sich das Ökosystem als dicht gewebtes Netz vorstellen, bei dem die einzelnen Tier- und Pflanzenarten die Knoten darstellen. Werden nun immer mehr Knoten herausgeschnitten, dann reißt das Netz — unser Ökosystem wird instabil. Das könne zu einer neuerlichen Aussterbekatastrophe — wie sie vor 65 Millionen Jahren etwa die Dinosaurier ereilte — führen. Nur dass diesmal eben der Mensch betroffen wäre.

Um die Natur müsse man sich dabei weniger Sorgen machen, die erhole sich früher oder später — also so in 100 000 Jahren. Es gehe vielmehr und einzig, macht Hofreiter nachdrücklich klar, "um unsere Lebensgrundlage".

Lange nimmt sich Hofreiter nach der Lesung Zeit, und beantwortet die vielen Fragen aus dem Publikum. Auch Signierwünsche erfüllt er gerne. Die Frage, ob "wir in Zukunft weniger Fleisch essen" müssen, hat der bekennende Fleischliebhaber zuvor bereits sehr deutlich beantwortet: Wenn jeder Mensch soviel Fleisch wie im Durchschnitt ein Deutscher (etwa 60 Kilogramm pro Jahr) verzehren würde, dann bräuchte es einen zweiten Planeten, um genug Futtermittel anzubauen.

Seit 2013, als die Grünen im Vorfeld der Bundestagswahl die Pleite mit dem Veggie-Day erlebten, hat sich einiges verändert, das zeigt allein schon ein Blick auf das vegetarische und vegane Angebot in den Supermärkten und Discountern. Auch in den Kantinen dieser Republik hat sich einiges getan, ein vegetarisches Gericht im täglichen Speiseplan ist mittlerweile Standard. Die Esskultur ist also nicht nur veränderbar, sie verändert sich bereits.

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