"Cabaret" feiert in Feuchtwangen Premiere

15.6.2014, 18:00 Uhr

© Forster

Natürlich läuft ihm eine schöne Frau über den Weg, es kommt zur Romanze und nach einigen Wirrungen und Irrungen zum Happy End. Dem gemeinsamen Glück steht nichts mehr im Wege, auch wenn die Zeiten hart sind. Die Liebe siegt über alle Widrigkeiten.

Tja, so könnte es sein nach dem üblichen Hollywood-Schema. Im Stück „Cabaret“, das nun im Feuchtwanger Kreuzgang Premiere hatte, wird nicht nach diesem Drehbuch verfahren. Wir schreiben nämlich das Jahr 1931, und Berlin und ganz Deutschland durchleben eine üble Wirtschaftskrise. Zugleich ist es eine Welt, in der man sich unbedingt vergnügen und den Alltag vergessen will.

Berlin ist en vogue, junge Menschen zieht es hierher. Im Kit-Kat- Klub scheint das Geld keine Rolle zu spielen. Es geht frivol, sehr frivol zu. Gleich nebenan lauert das Gespenst der Arbeitslosigkeit, und in der Pension um die Ecke finden sich alle Gestalten, die ein Stück vom Glück zu erhaschen trachten und sich in stillen Stunden eingestehen, dass es auch mit ihnen bergab gehen kann.

Da sind der US-Amerikaner Cliff Bradshaw (gespielt von Timo Klein) und die Engländerin Sally Bowles (Jasmin Wagner), mit der er bald nach seiner Ankunft anbandelt. Da sind die Pensionsinhaberin Fräulein Schneider (Gabriele Fischer), liebenswert, zugleich sehr kleinbürgerlich, und der Jude Herr Schultz (Peter Kaghanovitch), der einen Obstladen hat und ihr auf altbackene Weise den Hof macht. Da sind noch viele andere, die zeigen, wie zerrissen diese Berliner Welt vor der Nazizeit ist. Ernst Ludwig (Ulrich Westermann) hat sich längst dem Führer verschrieben, lässt politisches Schriftgut von Paris nach Berlin schmuggeln. Fräulein Kost (Sina Schulz) muss notgedrungen der Prostitution nachgehen – Matrosen sind dankbare Freier. Im Kit-Kat-Club, wo Sally Bowles eine große Nummer ist, führt ein Conférencier durchs Programm (Thomas Hupfer), und er hält auch das ganze Stück zusammen. An seiner Seite die fünf pfiffigen Klub-Girls, die wissen, dass man mit weiblichen Reizen nicht geizen darf.

Die zwei Stunden im Kreuzgang lassen eine Welt aufleben, die am Rande des Abgrunds steht. Eine Weile ist es möglich, die neuen Gefahren und Bedrohungen zu ignorieren, aber das kann nicht gutgehen. Cliff erkennt mit dem Blick des Fremden, was es wirklich mit den nach vorne drängenden Nazis auf sich hat. Obwohl dringend auf Geld angewiesen, lehnt er es ab, für Ernst, den er inzwischen durchschaut, nochmals Schmugglerdienste zu leisten, und wird brutal zusammengeschlagen. Sally hat den Klub verlassen, ist zu Cliff gezogen. Sie ist schwanger, lässt das Kind aber schließlich doch abtreiben, zum Entsetzen von Cliff.

Derweil sind sich Fräulein Schneider und Herr Schultz näher gekommen, es wird sogar im großen Rahmen Verlobung gefeiert. Dann aber bekommt es die Pensionsinhaberin mit der Angst zu tun – das „neue“ Deutschland des Herrn Hitler könnte ihr übel mitspielen. Die beabsichtigte Ausgrenzung der Juden ist bereits mehr als zu erahnen. Dabei ist Herr Schultz Deutscher durch und durch. Er glaubt noch, dass er irgendwie durchkommen kann und die Nazis nur eine vorübergehende Erscheinung sein werden. Cliff aber weiß es besser, als er desillusioniert und allein im Zug nach Paris sitzt: „Die größte Katastrophe der Menschheit war nah, und ich tanzte mit Sally Bowles.“ Die Katastrophe wird sich auch dem frechen, gewitzten Conférencier nähern. Auch er ist Jude, was schließlich an seinem gelben Stern erkennbar wird.

Es wird getanzt in „Cabaret“, aber eher nebenbei. Dafür wird umso mehr gesungen. Textlastig ist das Stück eher nicht. Die weltbekannten Melodien erklingen, vor allem Jasmin Wagner und Gabriele Fischer demonstrieren eindrucksvoll, was gesangstechnisch in ihnen steckt. Und das Live-Orchester in der Ecke des Kreuzgangs leistet wertvolle, fehlerfreie Arbeit.

Die zu Recht berühmte Musik kann aber immer nur kurzfristig erfreuen, denn das Stück selbst hinterlässt fast einen düsteren, hoffnungslosen Eindruck, eben wegen der bedrückenden Zeitumstände Anfang der 30er-Jahre in einem Deutschland voller Widersprüche und Gegensätze. So ist „Cabaret“ hoch politisch. Intendant Johannes Kaetzler, der hier auch Regie führt: „Die Schauspieler schauen ohne Verblendung auf ihre Zeit und sie versuchen, die Zuschauer durch ihre Geschichte, die sie auf der Bühne spielend erzählen, zu warnen vor dem, was kommen will. Diesen Traum eines hellwachen Theaters werden wir bei jeder unserer Vorstellungen von ,Cabaret‘ zu träumen wagen.“
Zum Schluss ebenso langer wie verdienter Beifall, besonders kräftig für Jasmin Wagner und Timo Klein. Der eigentliche Star des Abends aber heißt Peter Kaghanovitch. Seine Figur Herr Schultz stimmt traurig – der kleine jüdische Mitbürger, der es nicht an sich heranlassen will, dass er schon bald kein Mitbürger sein wird. Das schönste Lied des Abends handelt vom Typ des kleinen, unansehnlichen jüdischen Kerls, der überall verlacht wird, dabei auch sein kleines Glück finden will. Er schafft es schließlich, wird Vater, und das Baby ist mehr als schön. Die Botschaft ist klar: Nicht auf die äußere Gestalt kommt es an, sondern auf die innere Schönheit, die inneren Werte. Doch gleich nebenan zeigt der Nazi Ernst Ludwig eine frostige Miene. Das Deutschland von 1931 kennt kaum noch Toleranz, und „Cabaret“ macht dem Publikum unmissverständlich klar, wo das hinführt. Eine bittere Lektion.

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