Dramatische Flucht aus der DDR

20.2.2020, 06:06 Uhr
Dramatische Flucht aus der DDR

© Foto: Berufliches Schulzentrum

Mit eindrucksvollen, authentischen Worten gelang es ihm, die Schüler zwei Stunden lang in seinen Bann zu ziehen – kein Wunder, war er doch bei seiner Flucht genauso alt wie die meisten der Zuhörer.

Die Haltung seiner Eltern sei von Beginn an systemkritisch gewesen, erklärt der in Günzburg lebende Hase. Bereits in der ersten Klasse sollten die Kinder zu "sozialistischen Persönlichkeiten" erzogen werden. So stand das Werfen mit Übungshandgranaten auf dem Stundenplan. Bereits mit 14 Jahren mussten die Jungen mit Maschinengewehren mit scharfer Munition auf menschliche Zielscheiben schießen. Mit all diesen Dingen konnte Hase nichts anfangen, er erlebte deshalb viel Ausgrenzung in der Schule.

Er erzählte nüchtern, welche Schikanen er etwa mit seinem äußeren Erscheinungsbild – langen Haaren und Batikhosen – erlebte. Auch die mehrfache Aufforderung, für die Staatssicherheit als inoffizieller Mitarbeiter zu arbeiten, lehnte er ab. Schlechtere Noten und spätere Lohnkürzungen im Beruf als Lager- und Transportfacharbeiter waren an der Tagesordnung, seine Abneigung gegen das System wuchs stetig.

Als sein Vater einen Herzinfarkt erlitt, entschieden sich die Eltern, auch auf Anraten eines Arztes, Ausreiseanträge zu stellen, um seinem Vater besser helfen zu können. Im Juli 1989 durften sie dann das Land binnen 24 Stunden verlassen, allerdings ohne ihren Sohn Jens, der alleine am Bahnsteig zurückblieb. "Das war damals ein Abschied für immer für mich."

Als er im Westfernsehen sah, dass schon viele Ostdeutsche über Ungarn flohen, entschloss auch er sich dazu, das Land zu verlassen. Letztlich war die Liebe zu seinen Eltern größer als die Angst. Der damals 19-Jährige stieg in den Zug nach Prag – in der Hoffnung, von dort aus, in den Westen zu gelangen.

Nach einer zermürbenden Fahrt und einer elfstündigen Odyssee durch Prag auf der Suche nach der bundesdeutschen Botschaft erreichte er schließlich erschöpft, aber unendlich glücklich sein Ziel. In der deutschen Botschaft musste er gemeinsam mit 4000 anderen DDR-Flüchtlingen unter schlechten hygienischen Bedingungen noch zwei Wochen ausharren.

"Den schönsten Moment meines Lebens" aber zeigt Jens Hase anhand eines Videos: "Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise...", verkündete Außenminister Hans-Dietrich Genscher am 30. September 1989 in Prag. Seine weiteren Worte gingen im Jubel der Flüchtlinge unter. Eine Szene, die ihn, das spürt man beim Zuhören, auch so viele Jahre später, sehr berührt.

Das Wechselbad der Gefühle war für den jungen Mann aber damit noch nicht vorbei, denn der Zug, der ihn und viele andere in die Freiheit bringen sollte, musste durch DDR-Gebiet fahren. "Anfangs wollte ich auf keinen Fall einsteigen, da war die Angst sofort wieder da." Das ging auch den anderen Mitfahrern so, es herrschte angespannte Ruhe. Letztlich stieg er ein, um 21 Uhr fuhr der Zug in Prag los und erreichte nach gefühlt unendlich vielen Stopps am nächsten Morgen um 6.14 Uhr Hof. Als er in der fränkischen Stadt den Fuß auf den Bahnsteig setzte, "fühlte er sich wie Neil Armstrong auf dem Mond". In Hof standen Tausende Menschen auf dem Bahnsteig, um die Ankömmlinge zu begrüßen. In der Bahnhofsmission gelang es den Mitarbeitern, die Telefonnummer der Eltern herauszufinden. "Papa, ich bin da, ich komme", war alles, was er sagen konnte, dann begann er zu weinen, "und mit mir die ganze Bahnhofsmission".

Zum Abschluss seines beeindruckenden Vortrags gab Jens Hase den Schülern die Botschaft mit auf den Weg: "Freiheit ist nicht selbstverständlich, und es lohnt sich, jeden Tag, dafür zu kämpfen."

 

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