Einmal König sein: Heiligabend im Bahnhofstüberl

12.12.2018, 14:21 Uhr
Einmal König sein: Heiligabend im Bahnhofstüberl

© Foto: Micha Schneider

Eigentlich ist es im Bahnhofstüberl am Mittwochvormittag recht ruhig. Doch plötzlich geht die Holztüre auf und ein junger Mann mit Trainingshose und schwarzer Jacke kommt herein. "Bist du die Inge", fragt er. "Ja, und wer bist du?", fragt Inge Wagler, die Wirtin des Bahnhofstüberl zurück. "Ich bin der Florian und ich habe von deiner Aktion gehört. Ich finde das super und wollte helfen", sagt Florian.

Der 27-Jährige aus Gröttenbach hatte gerade einen Zahnarzttermin in Gunzenhausen und hat auf dem Weg im Radio vom "Weihnachtsessen" gehört, das Inge Wagler hier im Bahnhofstüberl seit 20 Jahren für Bedürftige anbietet. Kurzerhand drückt ihr Florian 150 Euro in die Hand. "Das war eine ganz spontane Aktion", sagt Florian Reuter und ergänzt: "Wir geben unser Geld für jeden Scheiß aus, also warum soll ich nicht hier helfen? Ich finde das total liebenswürdig."

Mädchen spendet Taschengeld

Inge Wagler ist sichtlich gerührt. Ab und zu kommen Menschen auf sie zu, um sich mit Kleiderspenden, Geld oder kleineren Geschenken an ihrem sozialen Projekt zu beteiligen. Mittlerweile kann sie auf die Unterstützung von etwa 20 Menschen bauen, die ihr unter die Arme greifen und das Weihnachtsessen möglich machen. "Einmal stand auch ein fünfjähriges Mädchen in der Tür und hat mir einen Fünf-Euro-Schein hingehalten", erinnert sich Wagler.

Sie habe dem Mädchen aber gesagt, sie solle ihr Taschengeld behalten. Das könne sie nicht annehmen. Doch das Kind sei hartnäckig geblieben. "Ich will auch gut sein und helfen", habe das Kind gesagt. Wagler kommen die Tränen. 45 Menschen wird sie mit dem Geld von Florian Reuter und dem kleinen Mädchen an Heiligabend ab 18 Uhr im Bahnhofstüberl wieder glücklich machen können. So viele haben sich bislang angemeldet. Hilfsbedürftige Senioren, Alleinstehende und Menschen, denen es finanziell einfach nicht gut geht, "und die sich an Weihnachten eben keine Ente kochen können", wie es Inge Wagler formuliert. Eine Anmeldung sei aber auf jeden Fall sinnvoll, damit sie kalkulieren kann.

Einmal seien nämlich unerwartet noch jede Menge Menschen aus Weißenburg zu ihr nach Gunzenhausen gekommen und das Essen sei ihr dann ausgegangen. "Nach Hause geschickt wird aber niemand. Da machen wir dann schon irgendetwas anderes", sagt Wagler. Oft würden schon im Mai Leute bei ihr vor der Türe stehen und fragen, ob sie dieses Jahr wieder beim Weihnachtsessen dabei sein können, berichtet Wagler.

Natürlich dürfen sie das. Der Tisch wird auch in diesem Jahr wieder reich gedeckt sein. Sponsoren spenden die Getränke, "damit wir nicht alles selbst zahlen müssen", so Wagler. Dazu wird es für jeden Gast ein kleines Weihnachtsgeschenk geben, damit die Leute auch etwas haben. Und natürlich soll alles richtig festlich werden, inklusive Stoff-Servietten. "Wenn dann machen wir es schon edel und nicht 0815. Das sind alles Menschen, die ein Recht darauf haben, dass es ihnen gut geht", so Wagler und ergänzt: "Die sind immer total überwältigt, dass sie einen Tag mal Königin oder König sein können." Was es in diesem Jahr zu essen gibt, steht aber noch nicht fest, mit drei Caterern steht Wagler zurzeit noch in Verhandlungen.

Diakonie sing Lieder

"Das Gesicht der Leute beim essen zu sehen ist einfach schön. Das kann man schlecht beschreiben", sagt Wagler, die wieder mit den Tränen kämpft, als sie erzählt, dass abends noch die Diakonie vorbei kommt, um den Bedürftigen Weihnachtslieder vorzusingen. Es sind diese Momente, die Inge Wagler bestärken, immer weiter zu machen und das Projekt, das sie einst in den 90er Jahren ins Leben gerufen hat, aufrecht zu erhalten. Warum sie das alles macht? "Ich war schon immer ein sozialer Mensch", so Wagler. Anfang der Achtziger Jahre habe sie im Nürnberger "Handwerkerhof" eine Frau kennengelernt, die Spenden für Obdachlose gesammelt habe. "Wir haben dann mitgemacht, sind auf der Königstorpassage unterwegs gewesen und haben die Sachen verteilt", sagt Wagler.

Man habe dort natürlich viel Elend erlebt, "aber wir haben nicht gefragt, was passiert ist. Man hat einfach geholfen. Es kann ja auch einfach nur der Job verloren gegangen sein", sagt Wagler. Anfang der Neunzigerjahre entschloss sie sich schließlich, selbst aktiv zu werden — mit dem Weihnachtsessen in ihrem Bahnhofsstüberl, wo Florian Reuter die Gaststätte mittlerweile wieder verlassen hat.

Über seinen spontanen, kurzen Besuch werden sich die Bedürftigen aber sicherlich freuen. Spätestens an Heiligabend.

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