Endlich wieder singen in Gunzenhausen

19.7.2020, 07:01 Uhr
Endlich wieder singen in Gunzenhausen

© Reinhard Krüger

Befremdlich, weil etwa der Probenraum gewechselt werden muss: der Chorraum der Stadtkirche statt kleiner Saal des Lutherhauses, Kurzes Armheben statt freudigem Händeschütteln oder kleiner Umarmung. Und natürlich: Masken. Nicht beim Singen, aber beim Betreten der Kirche. Die Zeiten haben sich geändert. Locker und leicht war gestern, heute zählen Abstand und Hygiene.

Jedem war klar, dass Laienchöre mit als Letzte an den Re-Start gehen können. Politiker wie Virologen warnten nicht ohne Grund vor einem "Schnellschuss". So hätten Messungen ergeben, dass Chormitglieder zu ihren vorderen Kollegen einen größeren Abstand einhalten sollten als zur Seite. Der Grund dafür liege in den abgestrahlten Aerosol-Wolken. Tests hätten ergeben, dass jeder Sänger mehr oder minder große Tröpfchen beim Singen ausstößt, und diese Kleinstpartikel (Aerosole) können ansteckend sein, sollten sich Chormitglieder zu nahe kommen.

Zwei Meter Sicherheitsabstand, also noch einmal 50 Zentimeter mehr als üblich, sind daher das Maß aller Dinge bei Chören jedweder Art. Damit ist klar, dass auch die Sängeranzahl im Verhältnis zu den Räumlichkeiten stehen muss. Im Lutherhaus, dem Stammprobenort für Kantorei, Gospelchor und Posaunenchor, gibt es nur einen einzigen geeigneten Raum: der große Saal. Am Mittwochabend probt die Kantorei, während Posaunen- und Gospelchor sich donnerstags parallel treffen. Kein Problem normalerweise, aber nicht in Zeiten wie diesen.

Maßband und Klebestreifen

Kurzerhand weicht der Gospelchor in die Stadtkirche aus. Pfarrer Claus Bergmann und KMD Krikkay nahmen Maßband und Klebestreifen in die Hand und stellten damit die entscheidenden Weichen für einen reibungslosen Probenabend. Die längst bekannten Desinfektionsständer werden dabei ebenso wirkungsvoll in Szene gesetzt wie das Abhaken einer Namensliste durch Chorsprecher Thomas Thill.

Das umständliche Suchen nach dem richtigen Platz in der passenden Stimmlage dauert: "Halt, da sitzt der Alt. Bitte gegenüber zum Sopran". Bernhard Krikkay steht in der Mitte des hinteren Chorraumes der Stadtkirche und dirigiert. Zuerst die Sänger auf deren Plätze, dann den Chor.

Jetzt ist er in seinem Element. "Eine gute Stunde, mehr geht derzeit nicht", sagt er leicht bedauernd. "Die Hauptsache, wir singen überhaupt", flüstert der Nachbar. Leichtes Ansingen, die 31 Frauen und Männer des Gospelchors machen alles mit. "Sopran, Alt, Tenor – das Halleluja nochmal bitte bei Takt C", hören alle die Stimme ihres Leiters. Der Hall ist enorm in der großen, leeren Kirche, die Akustik gewöhnungsbedürftig. Und ja, die Stimmen sind etwas eingerostet, kaum einer hat zu Hause geprobt. Aber was einmal gründlich einstudiert wurde, das sitzt auch nach vier Monaten.

Es ist Neuland. Für jeden. In mehreren Mails hat der KMD die Mitglieder seiner beiden Chöre auf die neue Situation vorbereitet und darauf eingeschworen. "Ich respektiere jeden, der nicht gleich zur ersten Probe gehen will", sagt er beispielsweise. Bei voller Stärke zählt der Gospelchor über 50 aktive Sängerinnen und Sänger. An diesem Tag kommen 20 weniger. Ein deutlicher Hinweis, dass nicht alle gleich "Hurra" riefen, als wieder geprobt werden darf.

Dafür hat Krikkay ein paar "Zuckerl" für die mitgebracht, die kommen. Altes, vertraute Liedgut wie "Du bist der Weg und die Wahrheit und das Leben" oder das schön klingende Gospel "Hallelujah, Salvation and Glory". Aber Krikkay wäre nicht authentisch, wenn er trotz aller Freude am gemeinsamen Singen nicht sofort den einen anderen Leichtsinn erkannt hätte: "Bitte, könnt ihr den Ton bei "way" einfach nur halten und nicht gleich abfallen? Das wäre cool". Da ist er wieder, der Dirigent, der einen "groovigen Sound" hören möchte, "weil das auch gut zu Corona-Zeiten passt". Die Zeit vergeht wie im Nu, noch ein Geburtstagsständchen für Alt-Sängerin Alexandra, dann ist Schluss.

Und wie war die erste, echte und richtige Chorprobe mit diesen Vorzeichen? "Endlich wieder singen", meint Heidi und spricht damit vielen Sangesschwestern und -brüdern aus dem Herzen, während Ehemann Hans mit einem knappen "Es ist Zeit geworden" diese erste Stunde kommentiert. Marianne vom Alt bekennt: "Es hat mir einfach gefehlt, weil Singen mich entspannt". Theresa (29), die an diesem Donnerstagabend zum ersten Mal den Alt verstärkt, positioniert sich eindeutig: "Ich fand es einfach nur schön". Sie verspricht, definitiv wiederzukommen.

Solche Statements bekommt Karin Elterlein vom Sängerbund Gunzenhausen leider nicht zu hören. Die Vorsitzende kann derzeit noch keine Prognose abgeben, wann sie starten. "Wir passen nirgendwo rein." Ihr gegenwärtiges Probenquartier im Gasthaus "Zur Linde" in Unterwurmbach ist für Proben unter Corona-Bedingungen ebenso ungeeignet wie das im Hotel "Krone". Es ist schlicht unmöglich, klagt die Vorsitzende, bleibt aber optimistisch. Jetzt kommt erstmal die Sommerpause, meint sie, aber im September, "da wollen auch wir an den Start gehen".

"Ungewohntes Gefühl"

Endlich wieder singen in Gunzenhausen

© Uli Gruber

Ein Start, der Bernhard Krikkay bereits gelungen ist. Die vergangenen Wochen aber waren für ihn alles andere als einfach. Wenn ein Mensch wie er über ein "ungewohntes Gefühl" mit Blick auf Corona spricht, spielt er die dramatischen Folgen dieser Pandemie elegant herunter. Er, der Teamplayer, er, der Chorleiter aus Leidenschaft, er, der den Kontakt mit sangesfreudigen Menschen braucht, spricht auf einmal vom Einzelkämpferdasein. "Mir wurde etwas genommen", gibt er Einblick in sein Seelenleben. Ihm fehle einfach der Ort, wo er einen Input geben kann und eine sofortige Rückmeldung erhalte, gesteht der leidenschaftliche Musikmensch. Seine Woche ist durchgetaktet mit Proben. Kantorei, Kinderchor, Gospelchor und Flötenensemble warten auf ihn, wollen geführt und gefördert werden. Von heute auf morgen weggebrochen.

Mitte März, Karwoche, Osternacht, Gottesdienste, Auftritte – alles weg. Über Nacht. Die digitalen Angebote von Pfarrer Benedikt Wolff waren eine tolle Möglichkeit, Menschen zu erreichen, sagt er, "aber wo sonst 50 bis 80 Leute sitzen, waren nur noch wir zwei". Keine einfache Situation für Pfarrer wie Kirchenmusiker. Eine virtuelle Chorprobe sei deshalb unvorstellbar für ihn. Er schluckt, sein Blick geht in die Ferne, die leeren Kirchen an den hohen christlichen Feiertagen haben sich bei ihm eingebrannt. Geblieben ist Krikkay seine geliebte Orgel: "Ich durfte zum Spielen in die Kirche, ist ja mein Beruf."

Doch das Leben geht weiter, die Silberstreifen am Horizont mehren sich. Aus der Orgelmusik zur Marktzeit wurde beispielsweise ein gottesdienstliches Angebot. Dienstbesprechungen finden seit rund drei Wochen zwar wieder "live" im Pfarramt statt, aber Projekte wie das "Mozart-Requiem" der Kantorei wurden vorerst auf Eis gelegt. Dafür sollen die "Klangvollen Sommerabende" wie gewohnt, aber an anderen Orten, stattfinden. Jetzt geht es also langsam los mit den Proben. Ob sie allerdings in eine große Aufführung mit Konzertcharakter münden, kann seriös derzeit niemand beantworten.

"Unsere Arbeit lebt von der Zielorientierung", sagt der Kirchenmusiker, aber die liegt derzeit brach.

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