Geschichte hautnah erlebt

17.4.2015, 12:00 Uhr
Geschichte hautnah erlebt

© Natalis

Rosemarie Danner hieß damals noch Escherich und erlebt den verheerenden Bombenangriff als 15-Jährige.  Tief ins Gedächtnis gegraben hat sich ihr dieser Tag, das wird schnell klar, als sie mit der Klasse 7 M der Stephani-Mittelschule die Hensoltstraße hinauf Richtung Braunskeller den Weg der Zerstörung noch einmal nachgeht. Auf Initiative ihrer Lehrerin Emmi Hetzner erleben die Schülerinnen und Schüler eine ganz außergewöhnliche Geschichtsstunde, die ihnen eine der schwersten Stunden ihrer Heimatstadt nahebringt.

70 Jahre ist das jetzt her und, ja tatsächlich, rechnet man zusammen, so muss Rosemarie Danner heute 85 Jahre alt sein. Kaum zu glauben ist das, wenn man sie dabei beobachtet, wie sie, von den Jugendlichen umringt, die Straße entlang geht und die Siebtklässler mit ihren Erinnerungen fesselt.

Die Häuser in der oberen Hensoltstraße grenzten damals direkt an Felder und Wiesen. Eine wunderbare Kindheit sei das gewesen, erzählt sie mit glänzenden Augen den etwas ungläubig dreinblickenden Jugendlichen, berichtet vom Schlittenfahren am „Hagenahs Buckla“ und ihrem kurzen Schulweg über die Wiesen.

Die Mutter arbeitete im Lazarett

Und während sich die Mädchen und Jungen noch vorzustellen versuchen, wie das wohl gewesen sein mag, damals zu leben, kommt Rosemarie Danner schon zu dem Grund, warum sie vor der Hausnummer 45 in der Hensoltstraße stehen. Ein schönes Haus war das, Rosemarie Danner hat ein Foto davon dabei. Allein mit ihrer Schwester war sie in der Wohnung im 2. Stock, die Mutter arbeitete im nahen Lazarett in der Hensoltshöhe.

Als der fast schon übliche Voralarm ertönte, wollte Rosemarie Escherich eigentlich in der Wohnung bleiben, zu oft schon hatte sie es erlebt, dass die Flugzeuge nur über die Altmühlstadt hinweg dröhnten. Doch die kleine Edith quengelte furchtbar und gab keine Ruhe. Schließlich nahm die 15-Jährige ihre Schwester an die Hand und rannte mit ihr schnell über die Straße zu den Großeltern, die  Schachners betrieben gegenüber eine Metzgerei (heute Gasthaus „Zum goldenen Drachen“).

Gerade noch rechtzeitig schafften es die Mädchen zusammen mit den Großeltern in den Keller des Hauses, da hörten sie auch schon das schrille Pfeifen, das die fallenden Bomben verursachten, und „ohrenbetäubendes Krachen“. Als der Lärm vorbei war, machte sich zunächst der Großvater ein Bild und kam völlig verzweifelt wieder zurück. „Es ist alles vorbei“, sagte er, nur noch Staub sei übrig.

Gespenstisch muss der Anblick für Rosemarie und Edith Escherich gewesen sein. Von ihrem Zuhause  war nichts mehr übrig, nur noch Gasrohre ragten aus dem Boden, riesige Lehmbrocken und Trümmer lagen herum. Alle Häuser auf der Ostseite der oberen Hensoltstraße waren weggebombt, die auf der Westseite von der Wucht der Explosion zerstört. Auch das Haus der Großeltern war schwer beschädigt, nicht mehr bewohnbar und musste später abgerissen werden.

Geschirr, Kleidung, Bettzeug, Stühle, Spielzeug – nichts, nichts, nichts war von ihrem bisherigen Leben übrig geblieben, die Bombe hatte die gesamten Besitztümer der Familie Escherich pulverisiert. Neben dem Bäcker starben in den Trümmern auch die Tochter des Frauenarztes Engelbrecht, die sich zufällig im Laden befand, sowie die Familie, die im ersten Stock lebte.

Bei herrlichem Sonnenschein geht es weiter hinauf zur Hensoltshöhe und daran vorbei. Wirklich nachvollziehen, wie das damals gewesen ist, kann wohl kaum jemand von den Jugendlichen. Doch die Erzählungen von Rosemarie Danner beeindrucken sie, das ist nicht zu übersehen. Etwa wenn sie von ihrer Panik erzählt, mit der sie mit ihrer Schwester die „Schachnersgasse“ (heute Elisabeth-Rohn-Straße) entlang gerannt sei, hinüber zum Alten Friedhof. Die beiden wollten in den Müllers-Keller, um dort Schutz zu finden, denn das Haus der Großeltern drohte einzustürzen. Als sie über den Friedhof rannten, kamen die Flieger erneut. Schließlich schafften sie es in den Keller und harrten dort verstört und hungrig bis in den späten Nachmittag aus. Erst dann entdeckte sie dort die Mutter, die schon alles abgesucht hatte.

Der Zugang zum Braunskeller liegt im Innenhof eines Gebäudes, in dem heute die Schreinerei der Hensoltshöhe und Schwesternzimmer untergebracht sind. Auf dem Parkplatz dahinter ist noch ein Eingang zu einem Keller, neugierig blicken die Schüler durch die Gittertür, mit der er verschlossen ist. Die Schwester, die die Gruppe aus dem ersten Stock des Hauses beobachtet, bekommt schnell mit, dass sie eigentlich den Braunskeller sucht. Sie könnten ruhig in den Innenhof gehen, versichert sie Rosemarie Danner und den Schülern.

Dann steht Schwester Irma Mürl auch schon vor ihnen und fängt selbst an zu erzählen. Sechs Jahre war sie am Tag des Bombenangriffs alt, ihre Schwester, die in der Nürnberger Straße bereits ausgebombt war, wollte mit ihrem Baby eigentlich im Braunskeller Zuflucht suchen – und kam auf Zureden der Mutter dann doch in die Rathausstraße. Verrückt, wieviele Schicksale ein einziger Tag bestimmen kann.

Gemeinschaftsgrab besucht

Der Zugang zum Braunskeller, der für etwa 100 Menschen zur tödlichen Falle wurde, verbirgt sich heute hinter einer schlichten, weißen Eisentür. Schwester Irma öffnet sie für die Schülergruppe, einen Blick ins Innere will sich keiner entgehen lassen.

Das ist vielleicht der Moment, wo sie eine erste Ahnung bekommen. Eine erste Ahnung wie grässlich es gewesen sein muss, tagelang in diesen kalten, feuchten, muffigen, finsteren Kellern zu hocken. Hunderte – Rosemarie Danner, sieht es noch vor sich – marschierten in den Tagen und Wochen vor dem 16. April 1945 täglich zu den Kellern hinauf und kehrten erst abends wieder in ihre Häuser zurück. „Höhlenbewohner“ wurden sie damals etwas spöttisch genannt.
Letzte Station ist das Gemeinschaftsgrab auf dem Alten Friedhof, in dem die 141 Toten, die Gunzenhausen an diesem Tag beklagen mussten, ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Betroffen stehen auch die Jugendlichen davor. Und Rosemarie Danner weiß: „Eigentlich feiere ich heute Geburtstag.“

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