Gunzenhausen: Jungen in der Mädchenschule

28.7.2020, 17:41 Uhr
Gunzenhausen: Jungen in der Mädchenschule

© Realschule Hensoltshöhe

Dem Statement ihres Vorgesetzten kann Schulleiterin Anita Blasig nichts entgegensetzen. Es stimmt einfach. Und sie muss es wissen, schließlich wechselte sie vor zwei Jahren von einer reinen Jungen-Realschule aus der oberbayerischen Spargelhochburg Schrobenhausen zu einer reinen Mädchen-Realschule ins fränkische Seenland. Ein Paradigmenwechsel der besonderen Art. Zwar kann die 48-jährige Schulleiterin beiden Systemen etwas abgewinnen, favorisiert aber längst das koedukative Bildungsangebot für Jungen und Mädchen.

Eines stellt sie allerdings jetzt schon fest: "Jungs lieben den Wettbewerb, während Mädchen mehr die Gemeinschaft hervorheben."

Bis im September vergangenen Jahres die ersten Fünftklässler die Schule an der Lindleinswasenstraße stürmten, gingen viele Hilferufe von Eltern vor allem im Landratsamt ein. Sie beklagten sich, dass es zwar in Gunzenhausen eine Realschule gäbe, diese aber nur für Mädchen zugelassen ist.

Jungen müssten entweder nach Weißenburg oder nach Wassertrüdingen pendeln, und zu beiden Orten besteht keine besonders gute öffentliche Verbindung. Parallel dazu bemerkte der Träger der Mädchenrealschule einen signifikanten Rückgang von Schülerinnen durch geburtenschwache Jahrgänge.

Letztlich gab die Stiftung Hensoltshöhe als privater Schulträger nach und stellte sich der neuen Herausforderung. Diese besteht darin, ihre hehren Ziele, nämlich christlichen Glauben und Werte, an Mädchen und Jungen zu vermitteln. Jede Schülerin oder Schüler muss den Religionsunterricht besuchen, "Ethik wird nicht gelehrt", betont die Schulleiterin. Ausgesiebt wird aber nicht, stellt Blasig klar. Die Realschule kann jedes Mädchen, jeder Junge besuchen, der die Zugangsvoraussetzungen erfüllt, egal welcher Religionsgemeinschaft er oder sie angehört.

Allerdings seien alle Beteiligten ziemlich überrascht gewesen, wie viele Eltern ihre Sprösslinge der Hensoltshöher Realschule anvertrauten. Anita Blasig vermutet, dass nicht wenige Erziehungsberechtigte eine "behütete Schule" suchen. Von den insgesamt 72 Fünftklässlern sind 34 männlichen Geschlechts, also fast die Hälfte.

Fußbälle gekauft

Und was hat die Schule mit ihren insgesamt 316 Schülerinnen und -schülern als Erstes gemacht? "Fußbälle gekauft", antwortet die Leiterin schlagfertig. Und natürlich neue Toilettenräume gebaut, schob sie gleich hinterher. Dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag, bestätigt sich jeden Tag aufs Neue: erstmal eine Runde bolzen, bevor der Unterricht beginnt. Kaum ertönt der Pausengong, stürmen die Kicker mit großem Geschrei durchs Schulhaus, schnappen sich die bereit gelegten Bälle und verausgaben sich restlos. Manch leicht genervter Augenaufschlag von den älteren Mädchenjahrgängen folgt der Rasselbande. "Mädchen verhalten sich auch hier anders", sieht Anita Blasig das ungewohnte Szenario ganz gelassen.

Die neuen Schüler wurden auf drei Parallelklassen verteilt, "mehr gibt die Schule nicht her", sagt sie. Mit Fußball ist es natürlich nicht getan, in einer zweitägigen Klausur des 30-köpfigen Lehrerkollegiums wurde beispielsweise laut über Wahlfächer für Jungen nachgedacht. Chorsingen und Musik können es allein nicht sein.

Gunzenhausen: Jungen in der Mädchenschule

© Realschule Hensoltshöhe

Künftig kann man wählen zwischen Schulsanitäter, Medien AG und vielleicht Bühnentechnik. Es ist im Übrigen auch das erste Schuljahr ganz ohne Diakonissen als Lehrerin, "dadurch sind wir weltlicher geworden", erklärt Blasig.

Im vergangenen Herbst gingen auch die drei fünften Klassen zusammen ins Schullandheim, um sich besser kennenzulernen. Alles wurde unternommen, um die beiden Geschlechter schulisch zu fördern. Nur schade, dass es in dieser Jahrgangsstufe keinen gemeinsamen Sportunterricht mehr gibt, sagt sie. Und über was wurde noch nachgedacht? Tatsächlich auch über Erziehungs- und Ordnungsstrafen, lächelte die Schulleiterin. Jungs wollen sich einfach ausprobieren und ihre Grenzen ausloten, plaudert sie aus ihrer langjährigen schulischen Praxis. "Mit Mädchen haben wir so gut wie keine Disziplinprobleme."

Nicht zurückdrehen

Na, wenn das alles ist. Es wird eindeutig lebhafter in der Realschule. Dafür lernen die Männer von morgen schon wie man bäckt, kocht und wie viel Spaß es macht, in einem Chor zu singen. Anita Blasig will das Rad der Geschichte nicht mehr zurückdrehen, schaut lieber nach vorne, freut sich, ein extrem abwechslungsreiches Schuljahr gemeinsam mit ihrem Kollegium bewältigt zu haben. Ihr Fazit: "Wir sind eine ganz normale, lebhafte und bunte Schule geworden".

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