Jugend ist nicht mehr so politikmüde wie früher

24.6.2017, 18:02 Uhr
Jugend ist nicht mehr so politikmüde wie früher

© Bastian Mühling

Rot sind hier nur die T-Shirts der Feuerwehr Aha und einige von der Sonne geküsste Gesichter. Der Rest: blau-weiß. Die Farben der CSU. Politischer Abend mit Ilse Aigner, Bayerns Wirtschaftsministerin, zur Feier von 120 Jahren Freiwillige Feuerwehr Aha. Die Festbesucher reichen nicht ganz für die 160 Biertischgarnituren. Am Rand sitzt Lucas Stump, 19 Jahre. Schlanke Figur unter dem weißen Hemd. Nervös dreht er sich zur Bühne um. Die ersten Reden haben begonnen. Nur nichts verpassen.

Als der Weißenburger mit 16 in der Schule Sozialkunde hat, wird sein Interesse größer: für Politik im Allgemeinen und die CSU im Besonderen. Der Lehrer war Klaus Drotziger, Vorsitzender des CSU-Ortsvereins und ehemals Schulleiter am BSZ in Gunzenhausen. Diesen April ist Lucas mit 18 in die CSU und damit auch in die Junge Union eingetreten. Warum? "Ich will mich am politischen Diskurs beteiligen."

Für Lucas’ Zwillingsbruder Robin wäre das Festzelt zu blau-weiß. Er ist dieses Jahr in die SPD eingetreten. Lucas lacht. Brüderstreit gab es keinen, versichern beide, die eine oder andere Diskussion schon. Nach der Rede von Ilse Aigner, es dämmert bereits, macht Lucas noch ein Foto mit dem Bundestagsabgeordneten Artur Auernhammer, das er einige Tage später auf Facebook postet. Bis zur Wahl im September will Lucas "Straßenwahlkampf machen". Kein Problem also, am Freitagabend politische Reden anzuhören? "Nein, es ist alles noch neu, aber es macht Spaß."

Aufschwung in Zahlen

Immer weniger haben Probleme, sich an einem Freitagabend politische Reden anzuhören. Anders formuliert: Immer mehr treten in Parteien ein. Im Jahr 2017 ist Lucas eines von zwölf neuen Mitgliedern der CSU im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen. "2015 und 2016 waren die Zahlen niedriger", sagt Arno Dernerth. Der Gunzenhäuser Stadtrat und CSU-Geschäftsführer im Landkreis räumt aber ein: "Bei den letzten Kommunalwahlen 2014 war die Zahl ähnlich hoch." Bayernweit sind es laut CSU, Stand Anfang Juni, 2543 Neumitglieder. Und auch hier: mehr als in den Vorjahren.

Harald Dösel, Vorsitzender der Landkreis-SPD, klingt ganz aufgeregt, als er die aktuellen Zahlen aufzählt: 13 neue Mitglieder bis April 2017. Laut Michael Rehbogen von der SPD-Geschäftsstelle Ansbach sind es bis heute 19 Neue. Zum Vergleich: 2016 waren es insgesamt zwölf. "Für die Partei ist das nicht viel, für unseren Landkreis schon", meint Dösel. Die Zahlen macht er nicht nur an Kanzlerkandidat Martin Schulz fest. "Es ging schon vor seiner Nominierung mit dem Rechtspopulismus und Trump los." Jetzt will Dösel mit den neuen Mitgliedern die Jusos wieder aufbauen. Aktuell gibt es im Landkreis – im Gegensatz zur CSU mit der 72 Mitglieder starken Jungen Union – keine Jugendgruppe der SPD.

Zuletzt gab es bei den Sozialdemokraten in Altmühlfranken einige Neue, die nicht zu den Jusos können. "Wir hatten einige Neumitglieder, die schon 60, 70 Jahre alt sind", bestätigt Rehbogen. Trotz mehrerer Anfragen erklärte sich keiner aus dieser Gruppe bereit, mit unserer Zeitung zu reden.

Einer, der nun zu den Jusos gehört, ist Johannes Dänzer. Der 17-Jährige kommt aus Streudorf bei Gunzenhausen und ist im März der SPD beigetreten. Gründe: Flüchtlinge, Brexit, AfD, Trump. Und seine Mutter: Irene Dänzer war bis 2014 Stadträtin in Gunzenhausen, jetzt ist sie Ortssprecherin der SPD. "Da habe ich schon früh etwas mitbekommen, und deshalb interessiere ich mich schon länger für Politik", erklärt Johannes. Gedrängt habe sie ihn aber auf keinen Fall. "Wenn ich in die CSU eingetreten wäre, hätte ihr das nichts ausgemacht. Nur bei der AfD wäre es anders gewesen", sagt er lachend.

Eigentlich wollte Johannes erst mit 18 eintreten. Klar, denn erst dann kann er wählen. Beim Eintritt im März war Johannes aber erst 16 Jahre alt. Wieso der Sinneswandel? "Ich hatte irgendwie Bock drauf." Und: "Bei uns in der Welt geht es einfach rund, da ist es wichtig, dass sich junge Menschen engagieren."

Geht es um die aktuellsten Zahlen der SPD, ist Michael Rehbogen der richtige Mann. Er verwaltet die Daten in Mittelfranken und stellt fest: "Es gab drei Wellen: Brexit, Trump und Schulz. Mittlerweile ist der Schulz-Effekt wieder abgeflaut." Trotzdem sei die Neumitgliederzahl 19 im Vergleich hoch. 2014, im Jahr der letzten Kommunalwahlen, waren es insgesamt 18 Neue. Während bei der CSU die Aus- im Vergleich zu den Eintritten überwiegen, konnte die SPD ein echtes Mitgliederplus verzeichnen: Drei Austritten beziehungsweise Sterbefällen stehen 19 Neueintritte im Landkreis gegenüber.

Es gibt aber auch solche, die den Kopf schütteln, wenn sie von der "neuen Begeisterung für Politik" hören. Zum Beispiel Klaus Drotziger (CSU): "Von 100 Weißenburgern sind vielleicht drei politisch engagiert, die anderen 97 fragen: Wie hat der Club gespielt?" Einen ähnlichen Standpunkt vertritt Oskar Niedermayer. Seit den Neunzigern erforscht der Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin die Mitgliederentwicklung der Parteien. Ja, es gab den schwachen Trump-Effekt bei den linken Parteien, der Schulz-Effekt sei da schon stärker gewesen, meint er. Aber: "Insgesamt sehe ich noch keine länger anhaltende Entwicklung nach oben", so Niedermayer im Gespräch mit unserer Zeitung.

Die anderen Parteien im Landkreis bestätigen das: Bei der FDP waren es nach Aussage von Thomas Geilhardt fünf neue Mitglieder. Bei den Grünen hat sich laut Sprecher Thomas Kestler nichts getan. Gleiches gilt für die Freien Wähler. "Auf kommunaler Ebene hat sich im Kreisverband nichts geändert", erklärt Wolfgang Hauber. Die Linke reagierte auf mehrere Anfragen unserer Zeitung nicht.

Andere Form der Aktivität

Es geht freilich auch ohne die klassische Partei, dafür mit dem "Pulse of Europe". So nennt sich eine Bewegung, die vor allem junge Leute auf die Straßen treibt. Am ersten Sonntag im Monat treffen sie sich in Städten wie Nürnberg, München oder Bamberg und demonstrieren. Für Europa. Leah Mühlöder aus Weißenburg studiert in Bamberg und war nun schon dreimal dabei. "Es geht bei diesen Demos einfach darum, das Ja zu Europa zu zeigen, weil das Nein gerade so laut ist", meint sie. In eine Partei zu gehen, wäre ein viel größerer Schritt: "Ich zum Beispiel könnte und möchte mich nicht festlegen, weil mir keine Partei komplett zusagt."

Robin Stump hat die SPD zugesagt. Der Weißenburger wollte wie sein Zwillingsbruder Lucas schon länger in eine Partei. Robin ist zwei Minuten früher geboren, und auch beim Parteieintritt war er schneller: Im Januar meldete er sich online bei der SPD an. Unter anderem wegen "des Standpunkts in der Flüchtlingskrise".

Zwei Brüder, ein Thema, zwei Meinungen: Robin (SPD) lehnt eine Obergrenze ab, Lucas (CSU) nicht. "Nö, gestritten haben wir nicht, aber Diskussionen gab’s schon", gibt Robin schmunzelnd zu.

Will man nun die kuriose Geschichte von Lucas und Robin Stump zu Ende erzählen, wird es bunt — oder besser gesagt: rot und blau. Lucas’ CSU ist traditionell blau, Robins SPD dagegen rot. Geht es um Fußball, haben sich beide gegen ihre jeweilige Parteifarbe entschieden: Lucas (CSU) ist ein "Roter", also Bayern-Fan, und Robin (SPD) ein "Blauer", also Schalke-Anhänger.

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