"Momo" begeistert in Muhr am See

26.6.2019, 06:19 Uhr

© Bernadette Rauscher

Ein Tag hat 24 Stunden. Rund sieben Stunden davon verbringt der durchschnittliche Deutsche auf der Arbeit. 1,5 Stunden benötigt er zum Essen, etwa genau so lange, wie um sein soziales Leben zu pflegen. 4,5 Stunden ist der Durchschnittsbürger online und eine gute halbe Stunde verwendet er zur Körperhygiene. Und ganze 8,29 Stunden gehen für den Schlaf drauf! Da ist noch ordentlich Luft nach oben in Sachen Effizienz. Schneller, weiter, besser geht immer, es ist alles eine Frage der richtigen Planung.

Das finden auch die grauen Herren, die plötzlich in der kleinen Stadt ihr Unwesen treiben und die Menschen selbst ganz grau werden lassen, missmutig und leer. Denn seitdem die Männer der Zeit-Spar-Kasse die Bürger dazu überreden, Zeit zu sparen, ist kein Platz mehr für Leichtigkeit, Freundschaft und Lebendigkeit. Einzig Momo können sie nichts anhaben, diesem etwas wunderlichen kleinen Mädchen, das doch einfach spielen und mit ihren Freunden zusammen sein möchte und das es liebt, sich Geschichten auszudenken und vor allem zuhören kann wie keine Zweite. Und das beschließt, die Zeit aus den Händen der grauen Männer zu befreien und sie den Menschen zurückzugeben.

Die Zeit vergeht, die Zeit läuft, die Zeit rast, manchmal fliegt sie sogar und nur ganz, ganz selten steht sie mal für einen Augenblick still. Es sind große, existenzielle und durchaus brisante Themen, derer sich das Ensemble um Regisseur Harald Molocher in der Inszenierung des Klassikers von Michael Ende annehmen: Es geht um Leistungsdruck und Konsum, um Perfektion und Selbstoptimierung und die große Frage nach dem Sinn.

Publikum spielt mit

Es braucht gar nicht viel, um das Publikum in Momos Geschichte zu entführen. Keine bunten, aufregenden Kulissen, keine Videoprojektionen, keine ausgefallenen Requisiten. Nur ein bisschen Lichtstimmungen. Nebelschwaden, die über die Bühne kriechen. Verschiebbare Stellwände, die immer wieder einen neuen Raum definieren. Ein bisschen Musik, meistens live. Und eine Handvoll großartiger Schauspieler, die die Zuschauer ganz verzaubert zurücklassen.

Vielleicht ist das auch so, weil nicht nur vor dem Publikum, sondern mit dem Publikum gespielt wird und der ganze Saal des Altmühlsee-Informationszentrums zur Bühne wird. Zum Beispiel, als plötzlich die Seitentüren in den Innenhof mit einem ,rumms‘ aufgeschoben werden, weil davor Gerhard Jilka als grauer Herr mit schwarz glänzendem Kombi parkt und Momo versucht, mit sämtlichen materiellen Werten für sich zu gewinnen. Michael Ende arbeitete sechs Jahre lang an seinem Märchenroman, und veröffentlichte ihn schließlich 1973. Dass man Momo in Muhr durchaus in ein Hier und Heute transferieren wolle, wurde bereits im Vorfeld angekündigt. Es ist erstaunlich, wie bruch- und reibungslos das funktioniert, wie sich Germanyʼ̓s Next Topmodel und Youtube in Endes Vorlage schleichen und unauffällig mit der Geschichte verschmelzen.

Momo ist nicht nur ein Kinderstück. Eine strenge Differenzierung zwischen Kinder- und Erwachsenenroman war Michael Ende sowieso nie geheuer. Und tatsächlich ist es vor allem erwachsenes Publikum, das sich in der Premiere von dieser liebe- und stimmungsvollen Inszenierung berühren lässt.

"Alle Zeit, die nicht mit dem Herzen wahrgenommen wird, ist verloren", erklärte Meisterin Hora einmal. Harald Molocher und sein Team schenken einen Theaterabend, bei dem man so oft ein bisschen zergehen möchte vor Entzücken. Verloren ist jedenfalls nichts.

Das Theaterstück "Momo" wird noch am Donnerstag, 27. Juni, Samstag, 6. Juli, Freitag, 12. Juli, Samstag, 13. Juli und am Samstag, 20. Juli aufgeführt.

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