Nichts für Weicheier: Die Waldkindergruppe in Gunzenhausen

20.1.2021, 06:02 Uhr
Nichts für Weicheier: Die Waldkindergruppe in Gunzenhausen

© Foto: Reinhard Krüger

So schaut’s aus, denke ich, es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. So wie er denken viele, nein, eigentlich alle Kinder dieser ganz besonderen Gruppe des Kinder- und Familienzentrums Wilhelm-Löhe (KiFaZ) in der Ostvorstadt. Schließlich sind sie in der Waldkindergruppe.

Fröhliches Lachen empfängt mich, viele reden durcheinander: "Ich finde meine Handschuhe nicht." "Kannst du mir helfen, in die Stiefel zu kommen?" Dick verpackt in Matsch- und Winteranzüge marschieren sie bald darauf los: die Kinder der Gruppe "Füchse". Die Waldkinder verbringen ihre Vormittage (fast) immer draußen, auch jetzt während des Lockdowns. Heute sind es zwölf Buben und Mädchen im Alter von drei bis sechs Jahren, denen die Temperaturen ziemlich egal sind, Hauptsache draußen.

Keiner dabei, der quengelt

Mit Bollerwagen und Hand in Hand marschieren sie vom KiFaZ Richtung Altmühl-Überleiter. Die Gruppe ist eingespielt, da ist keiner dabei, der quengelt. Die drei begleitenden Erzieherinnen schauen, dass niemand zurückbleibt. Bald ist das Ziel auch erreicht: eine Lichtung, abseits des Weges.


Der Wald dient als ständiger Spielplatz


Zusammen mit dem zuständigen Förster hatte sich die Einrichtung auf diesen Standort geeinigt, erklärt Anette Baumgärtner. Die Stadt zeigte sich sehr entgegenkommend, regelte die notwendige Ausnahmegenehmigung, und bald wird auch der extra für diese Gruppe gebaute Waldwagen auf diese Lichtung gebracht.

Nichts für Weicheier: Die Waldkindergruppe in Gunzenhausen

© Foto: Reinhard Krüger

Anette Baumgärtner hat, wie ihre Kolleginnen, robuste und vor allem wärmende Outdoor-Klamotten an. "Anders halten wir es auch nicht aus", meint sie achselzuckend. Die 53-Jährige ist nach eigenen Worten gern in der Natur: "Wenn ich im Wald bin, blühe ich auf." Deshalb war sie von Beginn an dabei, als es darum ging, eine Waldkindergruppe aufzubauen. Sie suchte damit auch eine neue Herausforderung für sich selbst.

"Ich bin seit 33 Jahren im Kindergarten, jetzt bin ich halt draußen". Und zwar mit so viel Herzblut, dass sie sogar einen Motorsäge-Kurs absolviert hat, um heruntergefallene Bäume für die "Waldkinder" passend zu machen, zum Beispiel für Sitzgelegenheiten.

Kinder packen mit an

Auf der Lichtung empfängt die Gruppe ein buntes Durcheinander an Brettern, Töpfen, Nägel, Hämmer, kleine und mittlere abgesägte Holzstämme, Schnüre und Scheren. Der Bollerwagen wird ausgepackt und in Nullkommanichts sind alle Kinder irgendwie weg. Keiner steht mehr herum, keiner fragt: Was sollen wir tun?

Nichts für Weicheier: Die Waldkindergruppe in Gunzenhausen

© Foto: Reinhard Krüger

"Das war im September noch ganz anders", weiß Tamara Kleemann. "Da mussten wir ihnen erst zeigen, was sie alles entdecken können". Die 26-jährige gelernte Erzieherin hat sich zur Natur- und Erlebnispädagogin weitergebildet und will ihr Wissen nun gerne weitergeben. Die Waldgruppe "ist mein Ding", sagt sie. Zusammen mit KiFaZ-Leiterin Diana Leickert war sie federführend am Aufbau der Gruppe beteiligt.

Die Kinder klettern derweil auf Bäume, streifen durchs Unterholz, hämmern Nägel in ein Brett oder sägen, wie Eren, mit einer kleinen, handlichen Säge dünne Äste ab. "Daraus soll mal ein Floß werden", erklärt Tamara Kleemann. Sie sitzt ruhig neben Eren, korrigiert leicht die Hand und passt ganz unaufgeregt auf, dass er sich nicht wehtut.

"Genau richtig"

Die Kinder finden alles mögliche hier draußen, berichtet Evi Weger aus Muhr am See, die Dritte im Bunde. Die 21-Jährige leistet ihr Berufsanerkennungsjahr in der Waldkindergruppe ab. "Entspannung mit Kinder-Yoga" heißt das Thema ihrer Abschlussarbeit, "und da bin ich in dieser Gruppe genau richtig", ist sie überzeugt. Im Wald können sich die Corona-gestressten Kinder gut austoben.

Klar, dabei kommt man auch mal ins Stolpern und kann sich so richtig wehtun. Sofort ist eine der drei Betreuerinnen zur Stelle, nimmt das Kind in den Arm, tröstet es, und wenn es nötig ist, wird die Wunde versorgt. Kurz noch durchschniefen und schon ruft jemand nach dem Kind – auf geht’s zum nächsten Abenteuer.


Ein Paradies für Kinder geschaffen


Die Kinder lernen viel über die Natur und über sich selbst, zum Beispiel, dass auch der Winter samt Minustemperaturen durchaus reizvoll sein kann. Sie sind einfach gerne draußen. Als Tamara Kleemann leise, aber hörbar mit ihrer Kuckuckspfeife bläst, kommen sie alle, versammeln sich, ein Kind fragt sichtbar enttäuscht: "Ist wohl schon Zeit?"

Schnell werden alle Sachen aufgeräumt, nichts bleibt zurück, zwei Kinder nehmen die Deichsel des Bollerwagens, eines schiebt von hinten mit einem Stock. Ein paar Minuten entfernt in einer weiteren Lichtung steht das "Waldsofa". Aus Ästen und Zweigen gebaut, lassen sich die Kinder und ihre Erzieherinnen dort im Halbkreis nieder.

"Einen Käfer entdeckt"

Es wird gesungen, eine Geschichte von einem kleinen Igel erzählt und über den Vormittag gesprochen. Was hat mir gefallen, was war nicht schön? "Ich habe mich gefreut, dass ich einen Käfer entdeckt habe." "Mir hat es so gut gefallen, dass wir gewandert sind." "Es war nicht schön, dass mir einer den Arm wehgetan hat." "Ich freue mich jetzt schon, dass es morgen schneit."

Reflektieren nennen das die Fachleute, diese Kinder beherrschen es ganz leicht und spielerisch. Dieser Vormittag in der Waldkindergruppe des KiFaZ zeigt, dass die Kinder lernen, aufeinander aufzupassen und Rücksicht zu nehmen. Sie gehen aber auch ganz selbstverständlich mit dem um, was ihnen die Natur bietet. So geht Kindergarten heute. Und jetzt wartet ein leckeres Mittagessen auf die hungrigen Waldkinder.

Betrieb herrscht aktuell auch in den "Indoor"-Gruppen des Kinder- und Familienzentrums Wilhelm Löhe: "Wir haben jeden Tag geöffnet. Die Hälfte der Kinder sind da und nutzen die Notbetreuung", erklärt Diana Leickert.

Keine Kommentare