Regierte der Teufel einst Gunzenhausen? Das steckt hinter der alten Inschrift

17.3.2021, 06:01 Uhr
Sie sind mit den historischen Fakten gut vertraut: Stadtarchivar Werner Mühlhäußer und Inge Grimmig von der Braun Elektro GmbH.

© Babett Guthmann Sie sind mit den historischen Fakten gut vertraut: Stadtarchivar Werner Mühlhäußer und Inge Grimmig von der Braun Elektro GmbH.

"Der Teufel einst die Stadt regierte,

der Herrgott in der Höll logierte,

der Hunger aber welch’ ein Graus,

schaute zum Brückentor hinaus."

Aufmerksame Gunzenhäuser und Besucher der Stadt kennen diesen seltsamen Vers, der auf einer Steintafel am Haus in der Weißenburger Straße 1 zu finden ist. Schwere Zeiten werden da offenbar geschildert, Zeiten, in denen das gewohnte Alltagsleben gehörig ins Trudeln gekommen zu sein scheint. Oder handelt es sich bei dem Vierzeiler um eine prägnant gefasste Verschwörungsthese?

Fragen wir doch zuerst einmal den jetzigen Hausherrn des Asia-Minimarkts: Saravana Baran, der im Laden seiner Tochter mit anpackt, kann da nur bedauernd mit den Schultern zucken. Er habe die Inschrift schon öfter gelesen, wisse aber nicht, was das zu bedeuten habe.


Gunzenhausen: Herz der Stadt mit Geschichte


Melena Renner von der benachbarten Buchhandlung am Färberturm gesteht sofort ein, keine Ahnung vom geschichtlichen Hintergrund des Verses zu haben, doch als Literaturwissenschaftlerin kann sie dann doch einen Interpretationsversuch starten: Es müsse vor dem Jahr 1721 gewesen sein, als die Stadt dereinst belagert wurde. Die Gunzenhäuser Bürger litten Hunger und Not, deshalb war man der Meinung, der Teufel habe da seinen Einfluss geltend gemacht und der Herrgott der Altmühlstadt den Rücken gekehrt. Plausibel, aber war es wirklich so?

Stadtarchivar kennt Hintergrund zur Teufels-Inschrift

Jetzt muss ein Experte her! Ein Anruf im Stadtarchiv Gunzenhausen genügt, und Werner Mühlhäußer ist zur Stelle. Er hat sich vor einiger Zeit mit den "Fake News" dieser Tafel befasst und kann den Hintergrund erläutern:

Die Weißenburger Straße Nummer 1 gehörte früher als Nebengebäude zum benachbarten Palais Heydenab, einem prächtigen Adelssitz aus dem 18. Jahrhundert. Ernst Wilhelm Anton von Heydenab, seines Zeichens Oberamtmann in Gunzenhausen und als Obristfalkenmeister in besonderer Gunst beim "Wilden Markgrafen" Carl Wilhelm Friedrich von Brandenburg-Ansbach stehend, hatte es sich einst als komfortable Stadtresidenz errichten lassen. 1775 verkauften die Erben des Falkenmeisters das komplette herrschaftliche Anwesen, bestehend aus dem Palais (Marktplatz 49) und dem Nebenbau (Weißenburger Straße 1).


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Letzterer wurde als Kutschenremise und Stallung genutzt, bis das Gebäude vom Gesamtbesitz gelöst wurde und einen eigenen Besitzer fand. Dieser, ein Mitglied der alteingesessenen Schuhmacherdynastie Bach, ließ ab 1875 das bisherige Nebengebäude zum Wohn- und Geschäftshaus umbauen. Einer seiner Nachkommen, Schuhmachermeister Johann Gottlob Bach, machte sich einen Namen als Heimatforscher und erhielt als Anerkennung seiner langjährigen Verdienste 1949 die Ehrenbürgerwürde der Stadt Gunzenhausen verliehen.

Steintafeln als Ausdruck der geschichtlichen Leidenschaft

Bachs wahre Passion galt lebenslang der Erforschung von Gunzenhausens Geschichte, und er brachte es während seiner Forschungstätigkeit zu beachtlichen Ergebnissen. Äußere Zeichen seiner Leidenschaft zeigte er durch Anbringen diverser Tafeln und Wappenabbildungen an seinem Haus. Auf einer der Tafeln ist bis zum heutigen Tag obiges Epigramm zu lesen. Jahrzehntelang hat man dem Heimatforscher Bach eine blühende Fantasie unterstellt: Er habe die düsteren Verse selbst verfasst und publikumswirksam auf einer Steintafel an seiner Hauswand angebracht.

Aber woher stammen nun diese Zeilen tatsächlich? Ein großer Zufall führte Werner Mühlhäußer zur Lösung des Rätsels: Er befasste sich mit einer 1789 erschienenen Reisebeschreibung mit dem Titel "Malerische Reise eines deutschen Künstlers nach Rom". Bei dem Autor handelt es sich um den Maler, Schriftsteller und Musiker Johann Jacob Grund, geboren 1752 in Gunzenhausen als Sohn eines markgräflichen Hofharfenmeisters. In der sehr ausführlich gehaltenen Beschreibung der Reise, die den Künstler auch in seine Geburtsstadt führte, erwähnte Grund ein aufschlussreiches Detail des Aufenthalts in Gunzenhausen.


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Die entsprechende Textstelle lautet: "Zum Beweise des Witzes, der in kleinen Städten herrscht, wo die Bürgerklasse das größte Ansehen hat und daher so viel Aufklärung und Feinheit affektiert, als sie unter den höheren Klassen in einer Hauptstadt wahrzunehmen ist, führe ich folgenden epigrammatischen Denkspruch an, der von irgendeinem gereisten Handwerker beim vaterländischen Bier ist ausgehecket worden:

"Der Herrgott ist gestorben,

der Teufel regiert;

Die Höll ist offen,

D’Engel san entloffen;

Der Hunger schaut zum Fenster raus,

und der Winter ist vorn Tor draus."

Der Bach’sche Haustafelspruch hat deshalb seine Quelle in einem bereits im 18. Jahrhundert bekannten Spottvers eines unbekannten Gunzenhäusers.

Durch Heranziehung historischer Unterlagen hat Mühlhäußer den Hintergrund des Gedichts ergründen können: Bei den genannten Personen handelt es sich um Carl Wilhelm Teuffel von Pirkensee, 1714 bis 1742 markgräflicher Oberamtmann zu Gunzenhausen und dadurch höchster fürstlicher Repräsentant in der Stadt, der wahrlich Gunzenhausen "regierte".

"Die Höll" bis heute die Kirchenstraße

Zur selben Zeit amtierte ein gewisser Jacob Ernst Herrgott als Dekan und Pfarrer. Er hatte seinen Wohn- und Amtssitz am Kirchenplatz, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kirchenstraße, deren umgangssprachliche Bezeichnung bis in unsere Tage "die Höll" lautet. Wobei die Orts- und Straßenbezeichnung "Höll" allgemein auf einen dunklen, engen Bereich an einer Stadtmauer Bezug nimmt, wie es auch in Gunzenhausen der Fall war.

Regierte der Teufel einst Gunzenhausen? Das steckt hinter der alten Inschrift

© Foto: Babett Guthmann

Und schließlich gab es in jener Zeit eine Gastwirtschaft, deren Eigentümer Georg Caspar Hunger aus dem Fenster seines Hauses direkt aus dem geöffneten Tor des gegenüber gelegenen Brucktors stadtauswärts blicken konnte. Das kann man sich bis heute gut vorstellen, denn bei der einstigen Gastwirtschaft handelt es sich um das Hotel "Blauer Wolf" mit Blick auf die Altmühlbrücke und den früheren Standort des 1865 abgerissenen Brucktors.

Inge Grimmig von der Braun Elektro GmbH kennt übrigens die wahren Hintergründe der Inschrift ebenfalls sehr gut. Von ihrem Küchenfenster aus hat sie einen guten Blick auf die Steintafel, und dort versammelte Diethelm Schoen immer die Zuhörer bei seiner Stadtführung. Wenn er in gewohnt wohl formulierter Manier den Vers enträtselte, lauschte sie gerne seinen Erläuterungen.

Die gebürtige Gunzenhäuserin mit der besten Aussicht auf das Heydenab-Ensemble kann übrigens bestätigen, dass die Tafel heute noch ihre Fans hat – und von Besuchern oft fotografiert wird.

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