Schwammspinner beschäftigt Gunzenhäuser Stadtrat

18.6.2019, 17:10 Uhr
Schwammspinner beschäftigt Gunzenhäuser Stadtrat

© Marianne Natalis

Es ist 18 Uhr, die Sonne scheint, es ist immer noch heiß. Und der Boden lebt förmlich. Jeder Zentimeter ist mit Schwammspinnerraupen bedeckt, wer es nicht selbst gesehen hat, kann es sich nicht vorstellen. Und wer es sieht, kann sich trotzdem nur sehr vage vorstellen, was die Anwohner derzeit mitmachen. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes von dem haarigen Kriechgetier belagert. Das Haus der Postlers ist schwarz vor Raupen und den anderen direkten Anliegern des Waldes entlang der Leonhardsruhstraße geht es nicht besser.

Die eigene Wohnung, das Heim, das ist für jeden der Ort, wo man sich wohl fühlt, wo man lebt, sich erholt, feiert, lacht und wo man abends die Tür vor all dem Bösen, das täglich in der Welt passiert, schließen kann. Die ganz persönliche Zuflucht eben. Und dieser "letzte geschützte Rückzugsort" ist, wie es Harry Schwarz bei dem Treffen, zu dem auch viele Anwohner gekommen sind, beschreibt, von Raupen umzingelt.

Jeden Abend, wenn man nach Hause kommt, muss man sich durch das Viechzeug kämpfen. Michael Türauf saugt dann erst einmal zwei Stunden, bevor er die Tür hinter sich zumacht. Kommt er dann eine Stunde später auf die Idee, irgendwo etwas essen zu gehen oder ein Bierchen zu trinken, dann lässt er diesen Gedanken spätestens an der Haustüre wieder fallen. Denn schon wieder ist dort alles übersät von Raupen.

Seit Wochen können die Anwohner kein Fenster aufmachen, ihre Wäsche nicht draußen aufhängen, an gemütlich im Garten im Liegestuhl liegen oder Grillen mit Freunden ist gar nicht zu denken. Es ist einfach unerträglich, widerlich und ekelhaft. Und zu all dem Gewusel kommt jetzt auch noch ein unangenehmer Gestank, den Hundertausende von toten Raupen, die mittlerweile herumliegen, verströmen.

Eigentlich hat sich Harry Schwarz für cool genug gehalten, die Invasion unbeschadet zu überstehen. Doch mittlerweile haben sich die schwarzen Biestern auch in seine Träume geschlichen. "Jeder Schatten, jede Bewegung im Haus" lässt einen aufschrecken, beschreibt er den Dauerstress, dem die Anwohner derzeit ausgesetzt sind.

Vom Garten der Familie Postler ist nicht mehr viel übrig, die Plagegeister haben alles ratzekahl gefressen und wimmeln trotzdem noch zu Hundertausenden herum. In Nullkommanichts krabbeln sie in erstaunlicher Geschwindigkeit an den Beinen hoch, wohl dem, der trotz der hohen Temperaturen eine lange Jeans angezogen hat. Gerhard Poster und Harry Schwarz, die wie alle anderen täglich gegen die Invasion kämpfen, zeigen ihre Arme: Sie sind voller roter Flecken von den Bissen und den allergischen Reaktionen. Unter ihnen leidet auch Hannelore Rienth, seit die grauslichen Krabbeltiere ihren Garten geflutet haben. Sie hat Ausschläge, Juckreiz und Atemnot, der Arzt hat ihr Cortison verschrieben.

Die Stadträte, die das unbeschreibliche Ausmaß des Befalls besichtigen, sind fassungslos. Bürgermeister Karl-Heinz Fitz hat sich bereits in der vergangenen Woche davon ein Bild gemacht und ist seitdem, wie berichtet, damit befasst, den Kampf gegen die Raupen zu organisieren. Denn es gehe im Moment allein um Soforthilfe. Die materiellen Schäden zu bewerten – wobei er sich bereits wegen finanzieller Unterstützung an Ministerpräsident Markus Söder gewandt hat – und die Situation für das kommende Jahr neu zu überdenken, das steht für ihn derzeit an zweiter Stelle.

Barriere am Spazierweg

Neben den Fremdfirmen sind auch Feuerwehr, Bauhof und Mitarbeiter der Bayerischen Staatsforsten Allersberg seit Montag im Einsatz. Auf dem beliebten Spazierweg entlang des Burgstalls haben sie eine Barriere mit Klebstreifen und Fallen für die Raupen errichtet, die Kehrmaschine war im Einsatz, die Mitarbeiter der Fremdfirmen haben Häuser abgesaugt. Und dennoch ist die Straße vor dem Waldbad am Montagabend bereits wieder voller Raupen. Es ist eine echte Sisyphusarbeit.

Noch rund vier Wochen, schätzen die Experten, wird es dauern, bis sich alle Raupen verpuppen. Bis dahin müssen die Anwohner weiter mit der Invasion klarkommen. Viele von ihnen sind sich nicht sicher, ob ihre Kraft dafür ausreicht. Im Garten der Postlers flattern mittlerweile auch schon die ersten Falter herum und kürzlich hat er am Dachgiebel die drei Gelege entdeckt.

Bei vielen Anwohnern hört man auch die Wut heraus – auf die Mitglieder der Initiative, die sich im Winter gegen den Einsatz von Mimic im Burgstall stark gemacht haben, auf die Bayerischen Staatsforsten, die letztendlich die Entscheidung getroffen haben, nicht zu spritzen. Bürgermeister Fitz ist bemüht, die Emotionen aus der Sache herauszunehmen. Sie bringen nach seinem Dafürhalten nichts, für ihn steht nun an erster Stelle, den Ernst der Lage zu erkennen und Maßnahmen zu finden, die tatsächlich helfen.

Auch die Einwohner von Gera leiden übrigens gerade unter der Massenvermehrung der Schwammspinnerraupen. Dort hat die Stadt bereits Notquartiere für die besonders betroffenen Einwohner eingerichtet.

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