Steinernen Zeugen der Geschichte auf der Spur

28.8.2016, 07:00 Uhr
Steinernen Zeugen der Geschichte auf der Spur

Ein kleiner Teil des Spiegelberg-Waldes bei Höhberg und Oberhambach gehört noch zum Stadtgebiet von Gunzenhausen, der größere Teil wurde Arberg und damit heutzutage dem Landkreis Ansbach zugeschlagen. Als Naturfreund mag einem solch ein Denken um Abgrenzung und Grenzlinien kleinlich erscheinen, doch beim diesmaligen Ortstermin steht eine alte, fast vergessene Grenze im Mittelpunkt: die einstige Trennlinie zwischen dem Hochstift Eichstätt und dem Fürstentum Brandenburg-Ansbach, die in einem Fraischgrenzvertrag im Jahr 1537 festgeschrieben wurde. 1736 hat man diese Grenze nochmals abgeschritten und neue Grenzsteine gesetzt. Im Spiegelberg-Wald existieren heute noch kleine Monumente dieser Grenzlinie, manche mit Moos überwachsen und abseits von Weg und Steg.

Um Historie verdient gemacht

Bestimmt gibt es einige Waldbauern und Jäger in Höhberg, in Unter- oder Oberhambach, die wissen, wo der eine oder andere alte Grenzstein sich im Wald versteckt. Ich habe mich mit Hermann Thoma aus Goldbühl getroffen, er war von 1959 bis 1992 Revierleiter der Forstdienststelle Kleinlellenfeld. Er hat diesen Wald jahrzehntelang durchstreift, kennt sozusagen jeden markanten Baum mit Vornamen und ich verleihe ihm jetzt mal für diese Reportage den Ehrentitel „Revierfuchs“.

34 Jahre lang war er ehrenamtlicher Kreisheimatpfleger im Landkreis Ansbach, war an ungezählten archäologischen Exkursionen beteiligt und hat sich mit seinen Veröffentlichungen um die Geschichte der Region einen Namen gemacht. Die von ihm aufgefundenen Grenzsteine im Unteren Wald oder Spiegelberg-Wald hat er genauestens auf einer Sonderkarte des Regierungsforstamtes Mittelfranken eingezeichnet, die auf eine Forstkarte des Jahres 1850 zurückgeht. Dort war die alte Grenze noch eingezeichnet.

Steinernen Zeugen der Geschichte auf der Spur

© Fotos: Guthmann

Mit dieser Karte im Rucksack ziehen wir beide nun also los. Das Auto stellen wir zwischen Goldbühl und Oberhambach ab, etwa 600 Meter vom Oberhambacher Waldrand entfernt. Einige hundert Meter lang folgen wir einem Waldweg mit zwei Fahrspuren und ich rekapituliere nochmals die geschichtlichen Grundlagen, die mir Hermann Thoma vermittelt hat: Zwischen dem Bischof von Eichstätt und den weltlichen Herren, den Markgrafen zu Brandenburg-Ansbach, gab es immer wieder Streit um die Spiegelberger Grenze: Wer darf wo welches Wild bejagen und welcher Hochgerichtsbarkeit unterliegt ein Räuber oder Mörder, der in diesem Wald sein Unwesen treibt?

In Ruten gemessen

Solche Streitigkeiten finden Historiker immer gut, denn jeder juristische Streit erzeugte einen Schriftverkehr, der zuweilen bis heute erhalten ist. So hat Hermann Thoma im Staatsarchiv Nürnberg die Folianten des Hoffmannschen Waldhandbuches durchforstet, die von 1717 bis 1755 geführt wurden. In Zeiten der Kleinstaaterei war das schon hochwichtig, welcher Untertan an welchem Waldeck die Wildsau oder den Feldhasen erlegen darf. Da brauchen wir uns aber gar nicht drüber lustig zu machen, denn unsere Nachfahren werden auch so manches Maschendrahtzaun-Urteil über Nachbarschaftsstreitigkeiten des Jahres 2016 kopfschüttelnd nachlesen können.

Im Waldhandbuch aus dem 18. Jahrhundert waren sogar die in Ruten gemessenen Abstände zwischen den Grenzsteinen aufgeführt, sodass Hermann Thoma sich im Wald auf die Suche machen konnte. Das Knacken einiger Heidelbeerstauden reißt mich aus meinen Gedanken. Hermann Thoma hat den Waldweg verlassen und schlägt sich nun zwischen den hohen Kiefernstämmen durch. Jetzt weiß ich auch, warum er mir geraten hat, Gummistiefel anzuziehen: Gefahr von Zecken und Schwarzbeerflecken.

Bald stehen wir vor unserem ersten Ziel: Den Grenzstein mit der in den Burgsandstein eingeritzten Nummer 18 erreichen wir von der markgräflich-brandenburgischen Seite her und das Relief eines vor 280 Jahren herausgearbeiteten Wappenadlers ist schon von Weitem gut zu erkennen. Auf der Gegenseite der Bischofsstab: Hier begann der Einflussbereich des bischöflichen Pflegamtes Arberg, eines der kleinen Außenämter des Hochstifts Eichstätt. Hermann Thoma zeigt mir, dass an der Oberseite des abgerundeten Sandsteins der weitere Grenzverlauf eingeritzt worden ist.

Kaum Spaziergänger

Also weiter: Hermann Thoma geht zielstrebig voraus, ich stolpere über eine Wurzel, strauchle im zu weichen Moos. Wo ist er denn hin, der Revierfuchs? Kann es sein, dass mich ein 85 Jahre alter Mann im Wald abhängt? Weiter vorne geht es den Hang hinauf und da ist er ja wieder! Hermann Thoma hat auf der Suche nach neuzeitlichen Gemarkungsgrenzen, die er als Orientierungshilfe nutzt, einen alten Hohlweg gefunden. Einst rollten hier Fuhrwerke den Berg hinunter, das Regenwasser und die schwere Fracht haben die Fahrrinne vertieft und bis heute Spuren hinterlassen.

Steinernen Zeugen der Geschichte auf der Spur

Heute kommt hier kaum einer hin, denn das ist auch eine Besonderheit des Spiegelberger Waldes: Hier gibt es keine Wanderer und kaum Spaziergänger. Wer hier herumläuft, der hat zu tun — als Waldbesitzer, Forstamtsmitarbeiter oder als Jäger. Später entdecken wir zwar noch am Fuß des Hanges ein Wanderzeichen des „Veni-Vidi-Vici“-Wanderweges mit der Nummer sechs, dieser führt in einer Rundtour von Oberhambach nach Goldbühl und zurück und eben auch durch den Unteren Wald, wird offenbar aber kaum frequentiert.

Dreimal hab ich mich umgeguckt, denn es galt nun, einen Gemarkungsgrenzstein im Moos zu finden. Stattdessen entdecke ich einen Baum, an dem vermutlich eine Wildsau sich gerieben und gekratzt hat. Hermann Thoma kann ich schon wieder nur in der Ferne zwischen den Baumstämmen erkennen, also stolpere ich hinterher. Während ich meine, der Revierfuchs sei einfach in den Wald hineingelaufen, ist mein Führer stattdessen einer Linie gefolgt, die er als vermutlichen früheren Ackerrain bezeichnet. Nicht immer gab es hier nur Wald.

Ein Stück weiter unten, hinten, zick- und zackherum entdecken wir einen kleinen Sandstein, hübsch von Moos bewachsen. Sollte das unser nächster Grenzstein sein? Routiniert kratzt Hermann Thoma die Vorderseite sauber und die Umrisse des Bischofsstabes sind freigelegt. Oder spielt uns unsere Fantasie einen Streich? Ich krieche unter einer kleinen Fichte durch, um die Rückseite des Steines sehen zu können. Und tatsächlich, der Adler! Wir freuen uns gemeinsam über unseren Fund, und ich kann verstehen, welchen Reiz die Heimatforschung hat, geht es doch darum, Geschichtliches für kommende Generationen zu dokumentieren.

Wie wichtig das ist, erläutert mir Hermann Thoma am Fall eines anderen unserer alten Grenzsteine: Noch bis 1982 stand der Stein mit der Nummer 22, nahe bei Goldbühl am Georgenhaager Weg. Diesen Stein soll ein Vermesser einfach mitgenommen haben, unglaublich dreist!

Der Ausflug mit dem Heimatforscher hat für mich gezeigt, dass man zuerst Allerhand wissen muss, um überhaupt etwas zu sehen. Über den zweiten Grenzstein mit der Mooskappe wäre ich alleine nicht einmal gestolpert, den kann nur ein exkursionserfahrener Experte entdecken. Und dann kommt es ja noch darauf an, ob man seine Entdeckung einordnen kann.

Auf unserem Rückweg erklärt mir Hermann Thoma, dass er über das schnelle Wachstum des Waldes immer wieder staunen muss. In alten Zeiten wurden der Waldboden und sein Moos als Einstreu genutzt und regelrecht aus dem Wald herausgekratzt. So entstand der karge Heidewald. Heute hingegen gibt es über den Regen starke Stickstoffeinträge, die Heide und die Preiselbeeren verschwinden, die Heidelbeere und später die Brombeere machen sich breit.

Mir fallen die vielen kleinen Sträucher mit den schwarzen Beeren auf, mit denen der ganze Spiegelberg-Wald durchsetzt ist. Vielleicht kann ich noch ein paar Beeren pflücken und eine besondere Marmelade kreieren. Also frage ich den Forstexperten: Dies seien Faulbäume, auch Pulverbäume genannt, erläutert er. Früher wurde aus der besonders hochwertigen Holzkohle mit geringem Ascheanteil Schießpulver gemahlen. Wenn man an der Rinde reibt, kann man den charakteristischen Duft erkennen und will garantiert keine Beeren mehr einkochen, die übrigens giftig sind und bei Genuss zu blutigem Durchfall führen. Noch was gelernt!

Nur mit Führer

Zu einer Spiegelberg-Tour ohne ortskundigen Führer würde ich abschließend eher nicht raten. Als Begleitung braucht man schon einen Waldbesitzer, Jäger, Förster oder eben einen Revierfuchs. In diesem Sinne danke ich Hermann Thoma für die spannende Erkundungstour und ich muss gestehen: Ohne ihn hätte ich den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen und vielleicht sogar Durchfall-Marmelade eingekocht.

Eine Karte mit dem Grenzverlauf der Fraischgrenze im Unteren Wald ist im Heimatbuch „Unser Goldbühl“ zu finden, Autor ist selbstverständlich Hermann Thoma.

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