Teamplayer für die Gesellschaft

15.4.2020, 06:43 Uhr
Teamplayer für die Gesellschaft

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Das weiß auch Rainer Koch, Präsident des Bayerischen Fußballverbands (BFV). In einer Videobotschaft machte er den Sportlern deshalb Mut – und appellierte an ihr Verantwortungsgefühl: "Wir werden den Kampf gegen das Virus gewinnen, weil wir in diesen schwierigen Zeiten zusammenhalten und genau das tun, was von uns verlangt wird: Rücksicht, Hilfsbereitschaft, soziale Distanz und große Besonnenheit."

 

Gelebter Zusammenhalt

 

Ein Aufruf, der bei den zwangspausierenden Fußballern offenbar gehört wurde. Unter dem Motto "Helfen statt trainieren" haben sich bis Ende vergangener Woche 113 bayerische Vereine beim Verband gemeldet. Sie eint der Wunsch danach, den Schwächeren in der Gesellschaft durch diese schwierige Zeit zu helfen. Für ältere und kranke Menschen kaufen die Fußballer ein, gehen zur Apotheke oder unternehmen kleine Taxifahrten.

Auch 21 mittelfränkische Vereine beteiligen sich an der Aktion, darunter auffallend viele aus dem Fränkischen Seenland. Außerhalb der großen Städte Nürnberg, Fürth und Erlangen, so scheint es, ist der gesellschaftliche Zusammenhalt besonders ausgeprägt. Vielleicht deswegen, weil man sich hier – anders als in der Anonymität einer Großstadtsiedlung – noch häufiger persönlich kennt. Das vermutet auch Alexander Naaß, der in seinem Leben vor Corona in der zweiten Mannschaft der DJK Obererlbach verteidigt hat. "Noch ist die Resonanz auf unser Angebot eher gering. Viele sind schon über Verwandte versorgt", berichtet er. Dabei haben die Obererlbacher ein schlagkräftiges Team aus insgesamt 15 Helfern aufgebaut, die für Besorgungen zur Verfügung stünden. "Zweimal haben wir bis jetzt eingekauft", sagt Naaß. "Zum Beispiel Milch für eine ältere Dame, die bei uns im Ort wohnt."

Das Geld für ihre Einkäufe können die Kunden einfach in einem Umschlag vor der Wohnungstüre platzieren. Nicht wenige, so ist zu hören, überweisen den Betrag aber online. Das Internet ist auch für viele ältere Menschen längst kein Fremdwort mehr. Dass sie momentan noch nicht von Hilfesuchenden überrannt werden, erzählt auch André Maurer vom FC Frickenfelden. "Wir haben derzeit so zwei bis drei Aufträge pro Woche." Meistens rufen Senioren an, die angesichts der aktuellen Lage nicht selbst zum Discounter gehen wollen. "Wir hatten aber auch schon eine Dame aus dem betreuten Wohnen, die für eine Bekannte eingekauft hat. Sie hat uns gebeten, dass wir die Sachen zu ihrer Freundin fahren", sagt Maurer, der eigentlich nicht an der Supermarktkasse, sondern im Mittelfeld der Frickenfeldener zu Hause ist.

Etwas stärker ausgeprägt ist die Resonanz bei der SpVgg/DJK Wolframs-Eschenbach. Eine handvoll Leute habe man schon beliefert, berichtet Alexander Güra. "Das waren ältere Menschen oder welche, die im Krankenstand waren", sagt der 28-Jährige, der normalerweise als Innenverteidiger in der ersten Mannschaft spielt. Wegen eines Kreuzbandrisses ist er allerdings schon wesentlich länger zur Fußball-Abstinenz verurteilt als seine Mitspieler. "Die Leute, die uns anrufen, sind absolut dankbar, dass wir unsere Dienste anbieten", berichtet Güra. "Es gibt eben doch ein paar Hilfsbedürftige ohne Angehörige."

 

"Man kann nichts mehr machen"

 

Hilfe hat plötzlich auch Anna Scherer gebraucht. Am 2. April fühlt sich die 82-Jährige unwohl, ihr ist schwindlig und übel, auf einem Ohr wird sie ohne Vorwarnung taub. Eigentlich läuft sie immer zu ihrem Hausarzt aber in diesem Zustand traut sie sich die Strecke nicht zu. "Ich hatte einen Hörsturz und konnte nicht richtig laufen. Ich wusste nicht, ob ich es bis zur Praxis schaffe", erzählt sie. Da hat sie sich an die Nummer der Wolframs-Eschenbacher Einkaufshelfer erinnert, die ihr eine Bekannte aus dem Internet abgeschrieben hatte. Einer der Spieler fuhr sie zum Arzt, wartete vor der Praxis und brachte Scherer sicher wieder nach Hause. "Ich hab ihm zehn Euro gegeben. Wenn ich ein Taxi kommen lasse, muss ich es schließlich auch zahlen", sagt die alleinstehende Dame, die sehr zufrieden mit ihrem Fahrservice war. "Am 23. muss ich wieder zum Arzt, vielleicht rufe ich dann wieder an."

Scherer gehört zu den Menschen, die die momentane Situation besonders hart trifft. Gesundheitlich, weil sie aus Altersgründen natürlich zur Risikogruppe gehört, aber auch sozial und emotional. "Man kann halt gar nichts mehr machen. Ich bringe nur noch meinen Müll raus", klagt sie. Sonst verlässt sie die Wohnung nicht mehr. Ihre Einkäufe erledigen hilfsbereite Nachbarn. "Man ist wie in einem Käfig eingesperrt", sagt sie. Bis vor wenigen Wochen hat sie sich regelmäßig mit einem älteren Herrn von Gegenüber auf eine Bank gesetzt. Einfach so, schließlich gibt es immer was zu erzählen. Jetzt winken sich die beiden nur noch von Fenster zu Fenster zu. Stille Kommunikation in der Krise.

Wie sehr gerade betagtere Mitbürger bisweilen leiden, weiß man auch beim TSV Merkendorf. Eine Dreiviertelstunde hat Stürmer Michael Graf mit einer Dame telefoniert, die eigentlich nur ihre Einkaufsliste durchgeben wollte. "Man ist da eben auch Zuhörer", sagt er. Eine Telefonnummer, die der Frau abhanden gekommen ist, hat der 33-Jährige dann auch noch aus dem Internet gefischt.

In Merkendorf hat man sich viel Mühe gegeben, um ältere und kranke Menschen zu erreichen. "Wir haben Flyer verteilt und in die Briefkästen geworfen", berichtet Graf. Viel Lob habe es da gegeben, aber auch oft die Rückmeldung, dass man durch Nachbarn oder Verwandte schon gut versorgt sei.

 

Wegeplan für den Aldi

 

Trotzdem hat man beim TSV inzwischen einen Kreis von vier, fünf Stammkunden. "Es ist gar nicht so einfach, für fremde Leute einkaufen zu gehen", stellt Graf fest. Man müsse ein Gefühl dafür entwickeln, was den Kunden wichtig sei und wie viel Budget zur Verfügung steht. Vor allem dann, wenn eines der ursprünglich gewünschten Produkte vergriffen ist und man auf Alternativen ausweichen muss. Dabei geben sich die Menschen viel Mühe, damit auch alles klappt. "Ein Mann hat mir sogar einen Wegeplan für den Aldi aufgezeichnet", erzählt Graf lachend. "Damit ich weiß, wo ich welche Sachen im Regal finde und ich nicht so lange suchen muss."

Viele Vereine in der Region, darunter auch die Bezirksligisten aus Ornbau und Dittenheim, bieten einen Einkaufsservice an. Wer momentan lieber nicht das Haus verlassen will, kann also auf die Unterstützung zahlreicher Helfer bauen. Den vom Ministerpräsidenten angekündigten Charaktertest haben die Fußballer im Fränkischen Seenland mit Bravour bestanden.

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