Tore, Türme, Schlösser und Mumien

4.8.2019, 05:58 Uhr
Tore, Türme, Schlösser und Mumien

© Foto: Jürgen Eisenbrand

Sauernheim, Kaudorf, Gersbach oder Niederoberbach – wer nicht sein halbes Leben an den Ufern von Wieseth, oberer Altmühl oder Fränkischer Rezat zugebracht hat, muss sich nicht grämen, wenn ihm diese Namen nicht auf Anhieb etwas sagen. Zumal er diese kleinen Wissenslücken auf sehr angenehme Art und Weise füllen kann: mit einer gemütlichen Radtour auf dem "Tore-Türme-Schlösser-Radweg" (TTS) durchs südwestliche Mittelfranken.

Zwischen dem Altmühlsee im Süden und Wolframs-Eschenbach im Norden, der deutschen Pinselmacher-Hauptstadt Bechhofen im Westen und der Knabenchor-Heimatstadt Windsbach mäandert die 86 Kilometer lange Runde über zumeist sehr ruhige Straßen oder komfortable Radwege gemütlich dahin. Und übertreibt es auch bei den Wechseln vom einen ins andere Flusstal nicht mit den dabei zu überwindenden Höhenmetern.

Wer es sich zutraut, kann die Runde in einem Tag bewältigen; wir haben sie uns auf zwei Tage verteilt, ein paar Abstecher und kulinarische Pausen eingelegt. Überhaupt: Der TTS lässt sich, dank zahlreicher querender Radwege ausgesprochen gut variieren und sich so auf die individuellen Bedürfnisse zuschneiden. Diese Vielfalt an Radwegen ist zudem hilfreich, wenn man sich, was dank nicht immer optimaler Beschilderung vorkommen kann, mal ein wenig verfranzt: immer der Nase nach, es findet sich ganz sicher nach kurzer Zeit irgendein anderer Radweg, der auf die Hauptroute zurückführt.

Überaus reizvoll

Diese haben wir in dem an Türmen und Toren reichen, überaus reizvollen Städtchen Wolframs-Eschenbach begonnen und uns im Uhrzeigersinn auf den Weg gemacht: Über Reutern und Sauernheim gelangen wir nach Neuses im Tal der Fränkischen Rezat, die uns bis nach Windsbach begleitet.

Aber noch bevor wir das Obere und das Untere Tor sowie den Stadtturm bestaunen können, sticht uns ein anderer Turm ins Auge: Direkt an den Ortseingang hat ein Kabel-Konzern einen Klotz aus Stahl und Glas gesetzt – das größtmögliche Kontrastprogramm zur versprochenen Idylle aus Natur und Kultur, zu historischen Fachwerkhäusern und romantisch anmutenden Stadtbefestigungen aus dem Mittelalter.

Paradies für Frösche

Aber immerhin: Abgesehen von ein paar Silotürmen und Biogas-Anlagen, die Auge und Nase belästigen, ist das eine echte Ausnahme; es überwiegt ganz eindeutig die auch in der Radkarte (erhältlich in den örtlichen Tourist-Informationen) versprochene Postkarten-Romantik.

Wir folgen der Rezat, vorbei am Waldstrandbad mit seinem Sprungturm (Werbeslogan: "Naturbad mit historischem Charme") und einigen Weihern, die der Geräuschkulisse nach ein Paradies für Frösche sein müssen, bis nach Untereschenbach, wo wir scharf rechts in Richtung Mitteleschenbach abbiegen. Wir erreichen die Gemeinde am Fuße des Mönchswalds über einen geschotterten Radweg, der leicht bergauf durch ein wunderschönes Tal führt. Und wir verlassen sie, weil wir "unser" TTS-Schild nirgendwo entdecken, auf einem Weg, der irgendwo auf einer Waldlichtung endet. Aber – siehe oben: immer der Nase nach, schon bald stoßen wir wieder auf einen Radweg, und nahe Merkendorf hat uns die Zivilisation wieder.

Ländlich und attraktiv

Apropos Zivilisation: Während der beiden TTS-Radeltage durchqueren wir viele idyllische Dörfer mit prächtigen Anwesen, liebevoll gepflegten Obst- und Gemüsegärten, einladenden Wirtshäusern – kurz: Dörfer, die ein Leben auf dem Land durchaus attraktiv erscheinen lassen.

Aber wir durchqueren auch solche, bei denen selbst ein dem ländlichen Leben zugeneigter Kleinstädter ganz verschämt denkt: Warum gibt man der Natur nicht die Chance, sich diesen Flecken lust- und geschmacklos bebauter Erde wieder zurückzuholen? Um an dieser Stelle Namen zu nennen, ist der Kleinstädter aber zu feige; er möchte ja vielleicht wieder mal – und zwar ohne Gefahr für Leib und Leben – durchs westliche Mittelfranken radeln.

Tore, Türme, Schlösser und Mumien

© Foto: Jürgen Eisenbrand

Von Merkendorf jedenfalls ist es nicht mehr weit bis Ornbau, wo laut Radwanderkarte der Turm der Stadtkirche St. Jakob d. Älteren sowie das wirklich schöne historische Stadttor auf uns warten. Wir machen, wie viele weitere Radler und Wanderer, das obligatorische Foto, und dann zieht es uns wie magisch ans Ufer des Altmühl-Überleiters, genauer: in den Biergarten an der Insel Gern.

Am Sonntag gibt's Schäufele

Unter schattenspendenden Kastanien sitzend, gleichen wir unseren Flüssigkeitsverlust mit einem Rothenburger Kellerbier beziehungsweise einem Weizen aus Titting äußerst zufriedenstellend aus. Und die nötige Energie fürs Weiterradeln bringt uns Wirt Peter Hahn in Form von zwei bis drei Bratwürsten mit Kraut an den Tisch. Das Einzige, was wir bedauern, ist, dass wir nicht an einem Sonntag hier sitzen: Denn da gibt’s beim Peter immer ebenso stattliche wie rösche Schäufele.

Aber auch Bratwürste spenden uns genügend Energie, um über Ornbau, Hirschlach, das Krautdorf Heglau und Merkendorf zurück nach Wolframs-Eschenbach zu radeln – und dort noch eine, übrigens sehr empfehlenswerte, "Lauschtour" anzuschließen.

Fröbe und der Hotzenplotz

Dafür kann man sich einen iPad ausleihen – oder sich die Tour aufs eigene Smartphone runterladen. Und immer, wenn man sich dann in der Minnesängerstadt einem der neun Lauschpunkte nähert, legen die Erzähler, unterstützt von lokalen Heimatkennern, los: über die legendären Ritter des Deutschen Ordens, die Minnesänger, deren berühmtester Wolfram von Eschenbach auf dem Marktplatz in Bronze verewigt ist, über die 71 Hexen, die einst hier verbrannt wurden, und über die Schauspiel-Legende Gert Fröbe, der in den 1970er-Jahren hier einen berühmten Räuber-Hotzenplotz-Film drehte.

Nach diesem kurzweilig-interessanten, rund einstündigen Rundgang durch das hübsche Städtchen ist es aber höchste Zeit, um sich für die sportliche Betätigung des Tages kulinarisch zu belohnen – und dann die müden Beine hochzulegen. Wir haben beides in der Alten Vogtei getan, ein wirklich gutes Essen in einem ganz besonderen Ambiente genossen; darf man sich im Urlaub vielleicht schon mal leisten, Reservierung ist auf jeden Fall empfohlen.

Knackiger Anstieg

Der zweite Tag: Start in der Wolframsstadt, die bis 1917 übrigens den weit weniger schmückenden Namen Eschenbach bei Ansbach trug, schnell nach Gern – und von dort über Mörsach wieder auf den TTS. In Arberg kämpfen wir uns hinter dem schmucken Torturm den knackigen Anstieg zur katholischen Stadtkirche St. Blasius hoch, genießen die Aussicht ins Altmühltal – und finden, dass die Kirche aus der Nähe betrachtet gar nicht mehr so überdimensioniert erscheint, wie sie aus der Ferne betrachtet wirkt.

Wir radeln zum Flüsschen Wieseth und an ihm entlang – vorbei an einem auf heimischen Fisch spezialisierten Gasthaus (leider ist es noch zu früh dafür) in die Pinselmacher-Metropole Bechhofen. Dort werden wir ein weiteres Mal für unser frühes Aufstehen bestraft: Das Museum, das das die Marktgemeinde prägende Handwerk feiert, ist sonntags erst ab 13.30 Uhr geöffnet.

Idyllisches Wasserschloss

So lange wollen wir nicht warten; stattdessen machen wir uns auf in Richtung Sachsbach, Reichenau und Thom und müssen dabei feststellen, dass auch hier die TTS-Beschilderung nicht wirklich "idiotensicher" ist. Das bringt uns zusätzliche fünf Kilometer ein – und erneut die Erkenntnis: nicht weiter schlimm, immer der Nase nach, viele Wege führen zum Ziel. Und in diesem Fall auch nach Sommersdorf.

"Bergfried und Burggraben – Schloss Sommersdorf in Franken scheint einem Märchen entsprungen zu sein." So werben Manfred Freiherr und Lilo Freifrau von Crailsheim für ihre historische Immobilie, die seit 1550 in Familienbesitz ist.

Tore, Türme, Schlösser und Mumien

© Foto: Jürgen Eisenbrand

Und in der Tat: Fast erwartet man, dass aus dem runden Turm ein langer blonder Zopf herabgelassen wird, dass irgendwo im Schlosshof ein gläserner Sarg steht oder am Brünnlein gleich eine Prinzessin einen Frosch küsst. Idylle pur – und man ertappt sich bei der Überlegung, dass man den nächsten Urlaub mit der Holden ja durchaus mal in einer der Ferienwohnungen, die die Familie von Crailsheim 1990 eingerichtet hat, verbringen könnte. Sich einmal in einem Bilderbuch-Wasserschloss wie ein Blaublütiger fühlen...

Oder wie in einem Gruselfilm: Denn in einem der ausgedehnten Wehrgänge unterhalb der Kirche befindet sich eine Familiengruft – inklusive fünf Mumien. Die hier beigesetzten Toten, weitgehend Mitglieder der Familie von Crailsheim, sind nicht einbalsamiert.

Wasseradern und Erdstrahlen

"Über die Ursache der Mumifizierung wurde viel spekuliert", schreiben die Schlossherren auf ihrer Website. "Es war die Rede von unterirdischen Wasseradern und Erdstrahlen. Amerikaner hatten mit einem Geigerzähler nach dem Zweiten Weltkrieg angeblich Radioaktivität festgestellt. Bei späteren Untersuchungen konnte dies nicht nachgewiesen werden." Na ja, vielleicht doch lieber Südtirol oder Gardasee.

Über Weidenbach, wo es endlich Zeit wäre für ein zünftiges Radler-Mittagessen, wir aber partout kein geöffnetes Wirtshaus finden, geht es dann über Triesdorf und Merkendorf zurück nach Wolframs-Eschenbach. Dort lockt uns ein wunderbarer Duft wie magisch in den Wirtsgarten des Landhotels Gary, und so gilt ein letztes Mal die bewährte TTS-Devise: grob an die Karte halten – und ansonsten immer schön der Nase nach.

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