Abgeschossene Bomberpiloten erwartete ein hartes Schicksal

12.4.2015, 13:01 Uhr
Abgeschossene Bomberpiloten erwartete ein hartes Schicksal

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Zu Beginn des Jahres 1943 hatte der Bombenkrieg den Raum Nürnberg endgültig erreicht. Die Bomberschwärme der Royal Air Force flogen großangelegte nächtliche Angriffe, mit denen die Churchill-Regierung nicht nur Rüstungsindustrie und Infrastruktur treffen wollte, Ziel war es auch die Zivilbevölkerung zu zermürben.

Die Pausen zwischen den Luftalarmen wurden immer kürzer und der Aufenthalt in den Luftschutzräumen gehörte zum Alltag der Bevölkerung. Ein unerwarteter Großangriff hatte in der Nacht des 11. August 1943 in Nürnberg verheerende Schäden angerichtet, es gab mehr als 580 Tote.

Kaum eine Chance

Die Menschen am Boden hatten kaum eine Chance, dem Inferno aus der Luft zu entkommen. In der Nacht zum 28. August heulten erneut die Sirenen.

Die ehemaligen Landkreise Höchstadt und Neustadt lagen im Anflugsgebiet der britischen Bomberschwärme, die von verschiedenen Stützpunkten in Südengland gestartet waren und Nürnberg von Westen her anflogen. Den Gemeinden im Umland drohte die Gefahr, durch falsch gesetzte Zielmarkierungen irrtümlich bombardiert zu werden, häufig kam es auch zu Notabwürfen alliierter Bomber.

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Die deutsche Luftabwehr meldete für diesen Samstag 31 Abschüsse durch Nachtjäger, die RAF insgesamt 33 vermisste Maschinen. Mehr als ein halbes Dutzend der Bomber zerschellte in dem Gebiet zwischen Erlangen und Neustadt an der Aisch, zwei der viermotorigen Maschinen gingen direkt über dem Nürnberger Stadtgebiet nieder. Die von der Royal Air Force nach Kriegsende bestätigten Absturzorte liegen in der Nähe von Bubenreuth, bei Dürrnbuch sowie bei Birkenfeld, südwestlich von Neustadt. Eine Lancaster ging bei Mausdorf nieder, eine Halifax bei Lonnerstadt, wobei jeweils alle sieben Besatzungsmitglieder umkamen. Nach unbestätigten Berichten gruben sich auch bei Baiersdorf und Rohensaas brennende Flugzeuge in den Boden: Von mehreren seit dieser Nacht vermissten alliierten Maschinen fehlt bis heute jede Spur.

Einer der Stirling-Bomber war noch im Anflug auf das Zielgebiet in Brand geschossen worden. Zeitzeugen beobachteten vom Felsenkeller am östlichen Ortsrand von Hesselberg aus, wie das brennende Flugzeug im Tiefflug aus Richtung Röttenbach kommend über den Ort hinweg zog und südwestlich des großen Weihers aufschlug und ausbrannte. Noch in der Luft hatte es brennende Teile verloren, die auf das Dorf herabregneten und einige Scheunen in Brand setzten.

Bevor am nächsten Tag Soldaten vom Herzogenauracher Fliegerhorst den Absturzort absperrten und die Trümmer abtransportierten, fanden die Hesselberger in dem Wrack einen toten englischen Flieger. Ein zweiter toter Soldat, der Schütze des Flugzeugs, wurde erst einige Tage später in einem Getreidefeld entdeckt, „in seiner Plexiglaskanzel noch angeschnallt an sein Maschinengewehr. Er ging schon in Verwesung über.“

Abgeschossene Bomberpiloten erwartete ein hartes Schicksal

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Im Gegensatz zu vielen derartigen Kriegsereignissen, über die bis heute wenig mehr als die Registrierungsnummer des Flugzeugs und die Namen der Besatzung bekannt geworden sind, gibt es zum Absturz des Stirling-Bombers bei Hesselberg detaillierte Berichte von überlebenden Besatzungsmitgliedern. Vier Männer der Bomber-Crew waren rechtzeitig mit ihrem Fallschirm aus dem brennenden Flugzeug herausgekommen.

Lionel Jeffries ließen die Ereignisse jener Nacht zeitlebens keine Ruhe. Im hohen Alter hat der inzwischen verstorbene australische Pilot der bei Hesselberg zerschellten Stirling EH 985 seine Erlebnisse niedergeschrieben, die im Internet auf einer australischen Regierungsseite veröffentlicht wurden. Auch Ted Nestor, der englische Navigator der Maschine, verarbeitete seine Kriegserfahrungen in einer Art illustriertem Tagebuch, das die BBC kürzlich für einen Fernsehbericht verwendete.

Jeffries beschreibt, wie der in Mildenhall gestartete Bomber, der den Auftrag hatte, den Nürnberger Rangierbahnhof zu bombardieren, von deutschen Nachtjägern beschossen wurde, wobei einer der Motoren in Brand geriet. Da es ihm nicht gelang, das Feuer zu löschen, gab Jeffries den Befehl zum Aussteigen. Er selbst landete mit seinem Fallschirm unsanft auf einer Waldlichtung, während das Flugzeug hinter dem Ort zerschellte.

„Besser behandelt“

Aus einem zeitlichen Abstand von 60 Jahren heraus betrachtet der Offizier Lionel Jeffries die Geschehnisse nach dem Absturz pragmatisch: „Sie haben mich besser behandelt, als man es von einem Feind erwarten kann, den man bombardiert hatte. Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn die Deutschen meinen Heimatort Rockhampton bombardierten.“

Einige ältere Männer aus Hesselberg fanden ihn mit Verbrennungen im Gesicht und an den Händen und einem gebrochenen Bein und schafften ihn auf einem Handkarren in ein nahegelegenes Bauernhaus.

„Sie kamen sich sehr vorsichtig näher“, berichtet Jeffries, „wahrscheinlich dachten sie, ich hätte eine Waffe. Die Männer diskutierten und es war nicht zu übersehen, dass sie nicht viel von mir hielten. Einer von ihnen spuckte aus, ich weiß nicht, ob er mich treffen wollte, aber es landete ziemlich nah. Doch nichts, was gegen die Genfer Konvention verstieß.“

Hesselberger berichten, dass auch der aus Dechsendorf herausgefahrene Polizist recht grob mit dem verletzten Jeffries umsprang, den eine alte Bäuerin auf ihr Wohnzimmersofa gebettet hatte. Soldaten des Fliegerhorsts, die die ganze Gegend nach weiteren alliierten Soldaten absuchten, brachten ihn schließlich zusammen mit dem ebenfalls verletzten Navigator Nestor und zwei britischen Fliegern aus einem der anderen abgestürzten Flugzeuge zur Behandlung in ein Lazarett bei Nürnberg. Nach der Genesung und der Vernehmung in Frankfurt landete er im Stalag Luft III bei Sagan. Der Krieg war für ihn zu Ende.

Zeugnisse von Menschlichkeit erfuhren in dieser Bombennacht auch andere Feindflieger. Der britische Flugingenieur W. G. Peel, einziger Überlebender der bei Bubenreuth niedergegangenen Lancaster JA958, wurde auf einem Feld gefunden, schwerverletzt, doch bei vollem Bewusstsein. Das Leitwerk hatte ihm einen Arm und ein Bein abgerissen. Augenzeugen berichten, dass einige Leute aus dem Dorf forderten: „Erschlagt ihn gleich, den Hund!“

Ein paar Landser auf Heimaturlaub schützten den Verwundeten vor Übergriffen, der durch die Behandlung in einem Erlanger Krankenhaus überlebte. Nach dem Absturz der Lancaster W4364 bei Dürrnbuch geriet der englische Bombenschütze Jack Birbeck in Gefangenschaft und wurde ins Dorfgasthaus gesperrt. Dort lag bereits der Pilot der Maschine mit schweren Rückenverletzungen.

„Clifford Annis lag auf dem Boden, er hatte große Schmerzen und war kaum bei Bewusstsein. Am Hals und am Fuß hatte er Verletzungen, die wie Schusswunden aussahen. Ich versuchte verzweifelt, jemanden dazu zu bringen, einen Arzt zu holen, doch der Mann, der das Sagen hatte, antwortete, dass alle Ärzte damit beschäftigt seien, in Nürnberg die Opfer der Terrorangriffe zu versorgen.“ Annis überlebte, doch behielt er dauerhafte Lähmungen.

Zahlreiche Fälle von einer Art „unterlassener Hilfeleistung“ bis hin zum eiskalten Mord an alliierten Fliegern wurden seit Kriegsende dokumentiert. Glück hatte Howard Bailey, Funker des bei Hesselberg abgestürzten Stirling-Bombers, dem es zunächst gelungen war, sich von der Absturzstelle abzusetzen.

Als er in Gefangenschaft geriet, versuchte am Nürnberger Bahnhof eine aufgebrachte Menge, ihn an einer Straßenlaterne aufzuhängen. „Er hatte schon den Strick um den Hals“, als deutsche Wachsoldaten einschritten und ihn in letzter Minute retteten.

In den letzten Kriegsjahren häuften sich Fälle von Lynchjustiz an alliierten Piloten. Je länger der Krieg dauerte, desto entfesselter reagierten die Volksgenossen. An den Lynchmorden beteiligt waren nur selten aufgebrachte Zivilisten, meist stammten die Täter aus den Reihen der Gestapo, des Sicherheitsdienstes, der SS, SA, Polizei oder Wehrmacht. Bei Zivilisten waren es fast immer fanatische Nazi-Funktionäre.

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