Flüchtlinge

Höchstadt: Als die Flüchtlinge kamen

14.6.2021, 05:50 Uhr
Der Schullehrer, Heimatforscher und Historiker Klaus Strienz zeigt in seinem Höchstadter Wohnzimmer historische Dokumente aus der frühen Nachkriegszeit, unter anderem von Flüchtlingskommissar Max Martin Brehm.

© Hans von Draminski, NN Der Schullehrer, Heimatforscher und Historiker Klaus Strienz zeigt in seinem Höchstadter Wohnzimmer historische Dokumente aus der frühen Nachkriegszeit, unter anderem von Flüchtlingskommissar Max Martin Brehm.

"Bei den Feiern zum Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai kam ich auf die Idee, mich des Themas einmal von einer anderen Seite zu nähern", sagt Strienz. In Höchstadt-Süd fänden sich bis heute ganz viele Familien mit Namen, die auf eine Herkunft aus den deutschen Ostgebieten schließen lassen - vom vergleichsweise nahen Sudetenland bis zu den ehemals deutschen Gebieten in Schlesien, Pommern und Ostpreußen, die nach dem Zweiten Weltkrieg an Polen beziehungsweise Russland fielen. Ein paar der Höchstadterinnen und Höchstadter, die hautnah die Ankunft der Geflohenen mitbekamen, sind heute noch am Leben.

Max Martin Brehm wird Flüchtlingskommissar

Zu jenen, die sich damals besonders für das Schicksal der Neuankömmlinge aus dem deutschen Osten interessierten, gehörte Max Martin Brehm, Vater des heutigen Höchstadter Bürgermeisters Gerald Brehm. Er engagierte sich mit so viel Energie, dass er von der amerikanischen Besatzungsmacht zum Flüchtlingskommissar ernannt wurde. Wie die obdach- und heimatlosen Menschen in Höchstadt aufgenommen wurden, war eine ambivalente Angelegenheit: "Bei den ersten Ankömmlingen war die Reaktion der Höchstadter durchaus noch offen und freundlich", erzählt Strienz. Es gab aber auch den Fall einer Frau in Etzelskirchen, die knallhart erklärte: "In mei Küch'n kummt ihr ned nei".

Protokolle im Archiv

Bis zur Kapitulation des Deutschen Reiches hatten sich die jeweiligen Ortskommandanten des Nazi-Regimes um die Unterbringung der Ostflüchtlinge gekümmert, deren Zahl mit dem schnellen Vorrücken der russischen Truppen rapide anstieg. Von der Flucht und ihren Umständen existieren unter anderem die Protokolle eines jungen Mannes aus Oppeln (einst die Hauptstadt Oberschlesiens), den seine Mutter bat, alles aufzuschreiben. "Diese Protokolle werden heute bei der Stadt Höchstadt im Archiv verwahrt", weiß Klaus Strienz, der eine elektronische Datenbank zusammengestellt hat, damit diese Erinnerungen nicht verloren gehen. Viele Flüchtlinge wurden mit Fuhrwerken am damals noch existierenden Höchstadter Bahnhof abgeholt und dann nach Etzelskirchen gebracht. Dort ließ man sie in einfachsten Verhältnissen übernachten, etwa in leer stehenden Baracken des Reichsarbeitsdienstes.

Berichterstatter bei der Wehrmacht

Max Martin Brehm war Berichterstatter beim Oberkommando der Wehrmacht gewesen. Er überlebte das berüchtigte Kriegsgefangenenlager der Alliierten in den Rheinauen, in dem unmittelbar nach Kriegsende Hunderte verhungerten. "Es gab einfach nicht genug Vorräte, um die vielen Soldaten zu versorgen", erläutert Klaus Strienz das tragische Geschehen jener Tage. Hintergrund: Zehn Millionen Soldaten von Wehrmacht und Waffen-SS befanden sich Ende Mai 1945 in alliierter Kriegsgefangenschaft. Max Martin Brehm wurde vom US-Militärgouvernement beauftragt, sich um die Unterbringung der deutschen Flüchtlinge zu kümmern. "Bis in den Oktober 1945 hinein machte Brehm das im Altlandkreis Höchstadt ehrenamtlich", berichtet Strienz. Der Journalist und spätere Verleger sei ein zutiefst "sozial denkender Mensch" gewesen, der für die Einweisung der Flüchtlingsströme, die ab 1946 stark anschwollen, einiges habe einstecken müssen. Offizieller Flüchtlingskommissar für die Region war Brehm ab Oktober 1945. Im September hatte das US-amerikanische "Office of Military Government for Germany" (OMGUS) die Arbeit aufgenommen mit dem Ziel, eine Militärregierung zu schaffen, die auch für die Entnazifizierung zuständig war.

500 Kriegsgefangene in Nainsdorf

Die Probleme hatten die Höchstadter gleichsam vor der Tür: "In Nainsdorf gab es in den Reichsarbeitsdienst-Baracken ein Kriegsgefangenenlager mit gut 500 Insassen", so Strienz. Höchstadt selbst zählte bei einer Bevölkerung von damals schon rund 10 000 Menschen um die 1000 Flüchtlinge. Mit wem sich der Flüchtlingskommissar beschäftigen musste? "Heimkehrer, Durchreisende, die ihr Quartier im Weberskeller aufschlugen, Suchtdienst-Klienten, Ausgebombte und Vertriebene", zählt Klaus Strienz auf. Die Amerikaner hätten sich, wie Max Brehm später resümiert, stark für die Deutschen engagiert. So sei der Kommandeur der US-Truppen in Höchstadt bei jeder Sitzung des Flüchtlingsrates dabei gewesen.

Altersheime und Wohnungen gebaut

Das Problem der Wohnungsnot löste Max Brehm unter anderem durch den Bau von Altersheimen, flankiert von Wohnbau. "Es zogen allerdings auch viele wieder weg", sagt Klaus Strienz. So sei das Ruhrgebiet mit seinen Arbeitsplätzen für die Flüchtlinge ein verlockender Magnet gewesen. Manche blieben aber auch, wie die Brüder Wilhelm und Georg Schaeffler, die in Herzogenaurach die Keimzelle des späteren Weltkonzerns pflanzten, der auch für Höchstadt als Arbeitgeber zentrale Bedeutung hat.

Adenauer in die USA begleitet

Max Brehm brachte die Nachkriegs-Situation und das Wesen der jungen deutschen Demokratie in der politischen Bildungsbroschüre "Was nun?" auf den Punkt, die der Höchstadter im Eigenverlag herausbrachte. Später begleitete er Konrad Adenauer auf dessen erster USA-Reise. Und er befragte US-Amerikaner zu ihrer Ansicht über die Deutschen. Das schlug sich in einem ebenfalls selbst verlegten Buch Brehms nieder. Beide Schriften besitzt Klaus Strienz, dem die Seltenheit dieser zeitgeschichtlichen Dokumente wohl bewusst ist.

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