70 Jahre adidas: Dem Tüftler über die Schulter geblickt

7.6.2019, 12:00 Uhr
70 Jahre adidas: Dem Tüftler über die Schulter geblickt

© Foto: Archiv Franz Schacher

Er war von Anfang an dabei: Gemeint ist Franz Schacher. Der heute 85-Jährige war schon vor dem Gründerjahr 1949 in der Firma. Seit dem 18. Juli 1948 gehörte er zum Unternehmen von Adolf Dassler. Sein Vater war selbst Schuhhandwerker. Also half Franz nach Schulende bei der Anfertigung von sogenannten Schlappen. An das Modellieren von Schuhen führte ihn sein Onkel heran. Überdies befand sich sein Elternhaus in Firmen-Nähe der Dasslers, so dass Franz zusammen mit Adi Dasslers Sohn Horst auf wuchs.

Sportliche Gemeinsamkeiten wie Fußball oder Eishockey führten dazu, dass Franz Schacher auch mit der Familie von Horst in Kontakt kam, zumal Vater Adolf immer wieder selbst mitwirkte. Schon in den Anfängen war Schacher beeindruckt von der Kreativität, mit welcher der "Chef", wie auch er Adi Dassler nachfolgend 30 Jahre lang zu nennen pflegte, agierte. Ob beim Anfertigen von provisorischen Spielstöcken aus Ästen oder Zweigen oder auch dem Erstellen von simplen Torkästen und Eishockey-Schuhen: Immer fand man eine Lösung, um dem Freizeitsport nachgehen oder besser: nachlaufen zu können.

Am Anfang seiner Tätigkeit bei adidas führte Schachers Weg in die Oberleder-Zuschneiderei.

"Früh um 6 Uhr war bei einem Stundenlohn von 33 Pfennig Arbeitsbeginn und um 17.20 Uhr hatten wir in der Regel Feierabend. War einer von uns vieren mal wirklich krank, haben die anderen drei halt schon um 5 Uhr angefangen", so Schacher in seinem Blick zurück.

In den Anfängen war die Materialbeschaffung ein besonderes Problem. Zwar gab es noch Oberleder-Restbestände aus der Vorkriegszeit, dann aber musste man extrem improvisieren. So beschaffte man sich von den Amerikanern und Engländern ausrangierte Lkw-Planen, welche vierfach zusammengelegt als Schuhschäfte verwendet wurden.

Ehemalige Benzin-Reservetanks der alliierten Flugzeuge aus einer zentimeterstarken Gummiware wurden zu Sohlen der Sportschuhe umfunktioniert. Aus der gleichen Quelle erhielt man aufgebrauchte farbige Baseball-Handschuhe, die man auftrennte, die Füllungen entnahm und die Lederteile als Rennschuh- Obermaterial verwendete.

Rasch aber führte der geniale Erfindergeist von Adi Dassler und seinem Team zu einem unaufhaltsamen Aufschwung. So fand man leistungsstarke Zulieferer zuerst in Deutschland, bald auch im Ausland.

Da wurden erste Produktionsstätten in Europa aufgebaut, wo der technische Direktor Robert Vogler oder Schacher dann für die fachgerechten Anleitungen unterwegs waren.

Parallel hatte sich die Adi Dassler-Familie ein kompetentes Team für die kaufmännischen Belange aufgebaut. So nahm der Firmenaufschwung atemberaubende Züge an. Das Unternehmen wurde zum weltweiten Marktführer.

Der "Chef" selbst aber blieb seinem Streben nach der Sportschuhperfektion treu: "Er war bemüht, den Aktiven möglichst aller Sportdisziplinen bestmögliche Trainings- und Wettkampfschuhe zur Verfügung zu stellen, und wo erforderlich auch noch angepasste Spezialanfertigungen zu entwickeln", erinnert sich Schacher.

Er öffnete sich für die Hobbysportler ebenso wie für Spitzensportler aus aller Welt, die fortan bei adidas ein und aus gingen, um von ihnen Verbesserungsvorschläge zu bekommen und wenn möglich umzusetzen.

So brauchte ein US-Vertreter der Drei Streifen für den explodierenden Marathonmarkt in den Staaten mal den leichtesten Wettkampfschuh der Welt unter 200 Gramm, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dassler und sein Team lieferten den Schuh mit 180 Gramm in gängiger Größe.

Dieser wurde dann in einem großen Kaufhaus-Schaufenster in Los Angeles gemeinsam mit fünf Konkurrenzmodellen vorgestellt. An jedem Schuh hing ein Luftballon. Der einzige, der nicht am Boden blieb, war das adidas-Modell.

Andererseits veranlasste Adi Dassler immer wieder das Anfertigen von Spezialmodellen für behinderte Menschen. Auch dies ein Geschäftsfeld: Die GSG 9 bekam schwarze Stiefel ohne Metallösen zwecks Geräuschminimierung. Reha-Patienten konnten nach Eingriffen an Beinen oder Füßen in serienmäßigen Spezialstiefeln wieder erste Schritte erlernen. Schacher: "Der Chef war enorm hartnäckig und verfolgte neue Ideen ebenso konsequent wie die Weiterentwicklung bestehender Schuhe."

Bezeichnend war der Fußball- WM-Stiefel 1966 in England, wo im Vorfeld auf den meist nassen Rasenflächen die neuen Nylonsohlen öfter mal gebrochen sind, "was wir jedoch rechtzeitig beheben konnten. Sein Bestreben nach Perfektion war faszinierend für uns alle", so Schacher.

Er deutet an, dass man damals auch mit Werkspionage zu tun hatte. Doch man war letztlich voll auf die eigentlichen Aufgaben fokussiert.

Kein Tag verlief wie der andere mit dem Tüftler Adi Dassler. Dessen Tod am 6. September 1978 hatte für sein Techniker-Team bald durchschlagende Folgen, zumal der aus Frankreich in das Stammhaus zurückkehrende Sohn Horst Dassler seine eigenen Leute mitbrachte. Immerhin war Schacher noch bis 1993 für adidas tätig. Längst ist Sohn Jürgen für die drei Streifen in ähnlicher Funktion aktiv.

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