Artistisch: Nach der Schule auf die Bühne

16.4.2015, 16:36 Uhr
Artistisch: Nach der Schule auf die Bühne

Der Tisch wackelt. Jordan hockt im Wohnwagen und beugt sich über ein Schulbuch. Schildkröten sind dran. Nur ein paar Tage lang besucht der Junge in Röttenbach die 5. Klasse, dann heißt es für ihn: neuer Ort, neue Lehrer, neue Klasse, neue Schulkameraden.

Artistisch: Nach der Schule auf die Bühne

„Wir kennen das nicht anders“, sagt seine Mutter Tanja Kübel. Sie ist in den Zirkus hineingeboren, in sechster Generation. Ihr Mann Renado ist ebenfalls im Zirkus aufgewachsen. In ihrer Familie gibt es Clowns, Akrobaten, Feuerspucker und Tierdresseure. Allen ist eines gemeinsam: Sie sind ein Wandervolk.

Spätestens im Winter, wenn Familie Kübler für zwei, drei Monate pausiert und ihre Zelte in Hanau aufschlägt, dann kribbelt es Tanja unter den Fingern. Fernweh, die Lust auf Abenteuer, auf unentdeckte Orte packt sie. Sie hält es kaum aus, länger an einem Ort zu bleiben. In einem Reihenhaus zu leben, mit Vorgarten und Bürojob, ist für die Mutter von fünf Kindern unvorstellbar.

Lampenfieber – was ist das?

Auch Jordan ist in dieses Leben hineingeboren. „Meine Kinder sind viel offener und haben oft weniger Scheu als Gleichaltrige“, sagt die Mutter. Lampenfieber ist für Jordan ein Fremdwort. Mit zwei, drei Jahren ist er schon durch die Manege gelaufen — und zwar auf Händen. Für den Zwölfjährigen ist es das „schönste“ Gefühl, wenn tosender Applaus durch das Zirkuszelt hallt. „Es gibt nichts Schlimmeres, als ein Publikum, das wenig klatscht.“ Der Applaus ist sein Brot.

Der Bub liebt es ohnehin, im Mittelpunkt zu stehen. Er ist gern der Star. Während Jordan in der Klasse jedes Mal aufs Neue hingebungsvoll erzählt, was er im Zirkus macht und Kunststücke vorführt, ist sein Bruder Cristo davon sichtlich genervt. „Ich hab halt keinen Bock, jede Woche das Gleiche zu erzählen“, sagt er kurz angebunden. Für den Elfjährigen ist völlig klar: „Zirkus ist sowieso viel besser als Schule.“

Er schwingt in der Show das Lasso und gibt den Cowboy. Wie seine Geschwister liebt er seine ungewöhnlichen Haustiere. Lamas — gerade mit Neugeborenen — manchmal Kamele, Pferde, Esel, Ziegen. Und eine Dogge, weiß, mit schwarzen Flecken, ein Schädel so groß wie eine Wassermelone, ein Körper beinahe so hoch wie der Bub.

Cristo kniet gerade neben ihr auf der Wiese und krault ihr den Kopf. „So einen großen Hund brauchen wir, am Wochenende kommen immer öfter betrunkene Jugendliche und wollen irgendwas kaputt machen“, erzählt seine Mutter. Überhaupt steht für sie fest: „Das Zirkusleben hat sich total verändert.“

Früher, erinnert sich Mann Renado, sind während der ein, zwei Tage des Aufbaus, die Dorfkinder in Horden dahergelaufen, um zu gucken. „Heute interessiert das keinen mehr“, sagt der Zirkusdirektor. Und fügt hinzu: „Die sitzen wahrscheinlich alle vor ihrer Playstation.“

Tierschützer und Behörden machen der Zirkusfamilie das Leben schwer, erzählt der Dompteur und Artist. Ihre Ausgaben werden immer höher, um Einnahmen müssen sie kämpfen. Ein Trend, der sich seiner Auskunft nach in der ganzen Zunft abzeichnet: „Letztes Jahr haben bestimmt 20 Familienzirkusse zugemacht.“

Dabei hält er die Familienzirkusse für die wahren Zirkusse. „Bei Krone etwa steht doch da ein Unternehmer dahinter und kein Zirkusmensch, der im Wohnwagen lebt.“ Das Flair das fehlt völlig, zumindest wenn es nach Renado Kübler geht.

Wenn am Abend der Vorhang aufgeht und die Kinder von Tanja Kübler Feuer speien, auf zwei Stühlen Handstand machen, als Clown auf Brettern rollen, oder oben am Zirkuszelt am Trapez Kunsttücke machen oder Seiltanzen — dann ist Kübler wie jede andere Mutter. „Klar, habe ich Angst, dass etwas passiert“, sagt sie, ihr Herz klopft dann höher. Doch meistens geht es gut aus.

Zirkus Renado hat in Zeckern am heutigen Freitag und am Samstag um 16 Uhr eine Vorführung sowie Sonntag um 14 Uhr. Von 30. April bis 3. Mai gastiert er in Höchstadt; Aufführungen sind Donnerstag bis Samstag jeweils um 16 Uhr, Sonntag um 14 Uhr.

Keine Kommentare