Auf neuen Wegen

19.1.2016, 08:00 Uhr
Auf neuen Wegen

© Archivfoto: Harald Sippel

Die Augen von Oliver Reitinger strahlen, wenn er von seinem früheren Beruf erzählt: „Kochen war schon immer meine Leidenschaft.“ 14- bis 18- Stunden-Tage und das sieben Tage die Woche seien in seiner Zeit als Küchenchef in einem Hotel an der Tagesordnung gewesen; zum Ausspannen hätten ihm zwei, drei Wochen am Saisonende genügt. „Ich bin einer gewesen, der als Erster auf- und als Letzter zugesperrt hat“, erinnert sich der 43-Jährige. „Das war mein Leben.“

Überraschend still wird der sonst auskunftsfreudige Mann, wenn es um seine Erkrankung geht. Eine neurologische Störung, die ihm längeres Stehen und Gehen unmöglich mache – mehr will Reitinger dazu nicht sagen, und man hat das Gefühl, er würde auch das am liebsten nicht erwähnen. Ob er denkt, dass die Erkrankung mit dem Stress in seinem alten Beruf zusammenhängt? Er nickt energisch.

Ob er seinen beruflichen Weg wieder so gehen würde, wenn er noch mal wählen könnte? „Ich denke schon, vielleicht mit etwas mehr Ruhephasen“, sagt der Herzogenauracher. „Das Hotel war für mich meine Familie.“ Heute hat er eine im herkömmlichen Sinn – mit einer Frau und einem achtjährigen Sohn.

Mario Kreß, Referent für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit beim bfw Nürnberg, sieht eine wachsende Zahl Menschen, die sich in ihrem Beruf aufgearbeitet haben. „In den 1970er Jahren, als die Berufsförderungswerke bundesweit entstanden sind, ging es vor allem um Fälle wie den des Zimmermanns, der die schweren Balken nicht mehr heben konnte“, berichtet der PR-Mann. „Heute hat zirka die Hälfte der Umschüler psychische Probleme.“

Im Berufsförderungswerk Nürnberg mit seinen 18 Außenstellen werden Umschulungen in 24 Berufen angeboten – eine davon ist die zum Verwaltungsfachangestellten, wie sie Reitinger durchlaufen hat. „Ich habe zuerst Bürokaufmann überlegt, dann aber bessere Chancen als Verwaltungsfachangestellter gesehen“, berichtet der Familienvater, der seit gut fünf Jahren bei der Stadt Herzogenaurach arbeitet.

Dort habe er auch sein achtwöchiges Praktikum absolviert, das zu der zweijährigen Umschulung gehört. Kreß nennt das „Klebeeffekt“, wenn Umschüler während ihres Praktikums ihren späteren Arbeitgeber finden. „Das ist eine wunderbare Probephase, besser als jedes Vorstellungsgespräch“, meint der bfw-Sprecher. Schließlich weiß er, dass so mancher Vorbehalt aus der Welt geräumt werden muss, ehe Unternehmen einen Umschüler einstellen.

Oder sofort in die Rente

In der Öffentlichkeit gelte es ebenfalls, Umschulungen zu legitimieren, schlage doch beispielsweise die Qualifizierung zum Verwaltungsfachangestellten mit zirka 85 000 Euro zu Buche. „Aber nach zehn Jahren Berufstätigkeit hat sich das amortisiert“, berichtet Kreß. „Sie müssen auch die Alternative zur Umschulung sehen: Das wäre eine Sofortverrentung und die würde die Gesellschaft viel mehr Geld kosten.“ Trotzdem schlagen die Agentur für Arbeit, die Berufsgenossenschaften und Deutsche Rentenversicherung, die die Umschulungen bezahlen, immer wieder Verrentungen vor.

So war es auch im Fall Reitingers. Doch der wollte sich als damals 35-Jähriger noch nicht aus dem Berufsleben verabschieden: „Ich bin keiner, der den Kopf in den Sand steckt.“ Beim bfw durchlief Reitinger zuerst ein sogenanntes Assessment, zu dem unter anderem ein psychologischer und ein Intelligenztest gehören. Es soll dazu dienen, den Beruf zu finden, der am besten zu dem jeweiligen Teilnehmer passt.

Anschließend besuchte der Mann einen dreimonatigen „Reha-Vorbereitungslehrgang“. Auch das war aus seiner Sicht gut für ihn: „Wir haben die letzten beiden Jahre Schule wiederholt – war ja doch schon etwas länger her bei mir – und zum Beispiel die neue Rechtschreibung gelernt.“ So gerüstet ging es im Juli 2008 mit der eigentlichen Ausbildung los. 30 fingen in Reitingers Klasse an, 21 erreichten den Abschluss.

Im Mittel liegt die Abbrecherquote bei Umschulungen bei zirka 20 Prozent. „Wenn man sich anschaut, was diese Menschen als Last mit sich herumtragen, sind 80 Prozent Erfolgsquote eine riesige Leistung“, konstatiert Kreß.

„Es sind Menschen, die einen triftigen Grund haben, warum sie ihren alten Beruf nicht mehr ausüben könnten.“ Dazu zählten zum Beispiel Konzentrationsschwierigkeiten nach einem Schädel-Hirn-Trauma, Sprachstörungen und/oder Lähmungen nach einem Schlaganfall.

Seine Ausbilder am bfw, Rita Herbst und Donald Brunner, hätten deshalb nicht nur das Fachwissen vermittelt, sondern auch ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Teilnehmer gehabt, sagt Reitinger. Inhaltlich ging es in der Umschulung unter anderem um die Finanzverwaltung, das Kommunal- und das Verwaltungsrecht. „Du lebst das Gesetzbuch, zumindest das bayerische“, resümiert Reitinger schmunzelnd. Besonders wertvoll in der Ausbildung fand er die Nachmittage in einer „Übungsgemeinde“, anhand der das Gelernte realitätsnah erprobt wurde und etwa anonymisierte Fälle aus der Praxis bearbeitet wurden.

Beruf macht Spaß

Wie zufrieden Reitinger jetzt mit seinem Leben ist? „Wenn man etwas zu tun hat und einem der Beruf Spaß macht, geht es einem gut“, sagt der Verwaltungsfachangestellte. „Ich habe außerdem gar keine Zeit, darüber nachzudenken, ob es mir schlecht geht – schon allein wegen meiner vielen Nebenämter.“

Dazu zählen unter anderem seine Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter, als stellvertretender Ortsvorsitzender der CSU Herzogenaurach und als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen in der Stadtverwaltung Herzogenaurach.

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