Der erschütternde Weg des Doktor Haas

11.11.2008, 00:00 Uhr
Der erschütternde Weg des Doktor Haas

© Jungfer

Geschützt fühlte sich auch der Arzt Manfred Moses Haas vor Repressionen gegenüber jüdischen Bürgern wegen seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Für seinen mutigen Einsatz als Arzt hatte er sogar mehrere Auszeichnungen, auch das Eiserne Kreuz 2. Klasse erhalten.

Aber diese Anerkennung war nur vorübergehend, erfüllte weder bei ihm noch bei vielen anderen jüdischen Kriegsteilnehmern die trügerische Hoffnung auf vollständige Integration in die deutsche - christliche - Gesellschaft. So endete auch der Lebensweg des angesehenen Arztes Haas im Konzentrationslager.

Bewusster Termin

Der Nachmittag vor dem 70. Jahrestag der Reichkristallnacht, des Pogroms gegen die Juden, war von Johann Fleischmann bewusst gewählt. Er, Autor und Motor des Arbeitskreises «Jüdische Landgemeinden an Aisch, Aurach, Ebrach und Seebach« (Heimatverein Reicher Ebrachgrund) hat in der Reihe Mesusa schon mehrere Bände über das Schicksal ehemals ortsansässiger jüdischer Familien herausgegeben.

Aktuell am 9. November stellte er Band 6 einem interessierten und überregionalen Publikum vor - und den persönlich Betroffenen, Deborah und Jacqueline, die mit ihren Ehemännern extra zur Buchpräsentation aus London nach Mühlhausen angereist waren.

Die beiden sind die Enkelinnen von Manfred Moses Haas, der am 3. Januar 1885 in Mühlhausen geboren wird. Seine Eltern sind Babette und Jakob Haas, Lehrer an der israelitischen Mühlhäuser Elementarschule. Manfred, einziges Kind, besucht nach der örtlichen Schule das Humanistische Gymnasium in Erlangen, studiert ab 1903 in Würzburg Humanmedizin, lernt dort seine spätere Frau Olga, Tochter eines holländischen, jüdischen Tuchhändlers kennen.

1914 meldet er sich freiwillig an die Westfront, wird über die Jahre bis zum Oberarzt befördert, wird ausgezeichnet. 1919 scheidet Haas als Stabsarzt aus dem Militärdienst aus, arbeitet als geschätzter Dermatologe in München, wo sein einziger Sohn Hans Otto geboren wird. Die Familie wechselt nach Leipzig, wo nach 1938 Haas bereits mehrmals inhaftiert wird.

Die Schikanen beginnen. Die Approbation wird ihm wie allen jüdischen Ärzten entzogen. Er darf nur noch als «Krankenbehandler« für jüdische Patienten arbeiten. Der Führerschein wird ihm abgenommen genauso der Pass. Bemühungen um eine Emigration in die USA scheitern. Nur Sohn Hans Otto kann gerade noch mit Hilfe eines nicht-jüdischen Freundes im August 1939 nach England entkommen. 1940 muss das Ehepaar seine Wohnung verlassen, das Konto ist gesperrt, Haas wird zum Zwangsarbeiter, 1942 werden sie nach Theresienstadt deportiert, im Oktober 1944 in Auschwitz ermordet.

Ihr Sohn Hans Otto nennt sich in England John Hayes, heiratet eine Londonerin, hat mit ihr die beiden Töchter. Während seine Frau noch heute in London lebt, stirbt er schon 1988. Erst 1971 hatte er die offizielle Bestätigung über den Tod seiner Eltern bekommen.

Wenig erzählt

Über sich selbst und die schrecklichen Vorkommnisse in Leipzig hätte er wenig bis nichts erzählt, sagen seine Töchter. Erst von Johann Fleischmann hätten sie jene ersehnten Informationen bekommen.

Der rührige Heimatforscher hat Kontakte in die ganze Welt. Fragt überall hartnäckig nach, hat damit großen Erfolg und bringt so, nicht nur für Angehörige, sondern auch für die Geschichte, Licht ins Dunkel. Originaldokumente, Fotos, kopierte Schikane-Anordnungen veranschaulichten im Vortrag eindrucksvoll die einsetzenden Repressalien gegen die Juden, zeigen auf beklemmende Weise, wie das Nazi-System ehrenwerten Bürgern allmählich die Würde genommen und sie dann vernichtet hat.

Johann Fleischmanns Verdienst ist es, mit seinen Kontakten und Gesprächen Wunden zu schließen, Gräben zu füllen, für Versöhnung zu sorgen.

Band 6 gibt es bei den Mühlhäuser Banken zu kaufen.