Die Gummizelle gibt es schon lange nicht mehr

18.5.2015, 16:49 Uhr
Die Gummizelle gibt es schon lange nicht mehr

© Ralf Rödel

Graue Mauern, vier Meter hoch. Was dahinter passierte, wussten nur wenige. Und deshalb sprudelte die Fantasie mancher Menschen, die an der Einrichtung der Barmherzigen Brüder in Gremsdorf vorbeikamen. Von den „Irren“ in der „Anstalt“ redeten sie.

Die Mauern gibt es seit zwölf Jahren nicht mehr. Es hat sich viel verändert. Doch bis heute fragen manche bei Führungen: „Wo ist denn Ihre Gummizelle?“

Wohnen, arbeiten, leben. Das alles können rund 280 Menschen mit Handicap in 28 Wohngruppen der Einrichtung der Barmherzigen Brüder. Betreut werden sie dabei von über 400 Mitarbeitern, in eine Gummizelle steckt sie niemand.

„Den typischen geistig Behinderten“ gibt es in Gremsdorf nicht, betont Geschäftsführer Günther Allinger. Menschen mit Downsyndrom, die viele als „klassisch“ ansehen, gehören nur noch selten zur Klientel. Vor allem kommen keine nach. „Da bemerken wir die Veränderung durch die Pränataldiagnostik.“ Betroffene Babys kommen kaum noch zur Welt.

Durch die Fortschritte in der Medizin haben gleichzeitig viele Schwerstbehinderte die Chance zu überleben. Wesentlich mehr Menschen als früher kommen nach Gremsdorf, die schwere Autounfälle, extremen Drogenkonsum oder sexuelle Gewalt hinter sich haben. Dabei fällt auf, dass Gehirnschäden schon in wesentlich jüngerem Alter zum Tragen kommen. „Das liegt daran, dass die Menschen teils schon als Jugendliche stark drogenabhängig sind“, sagt Johannes Salomon, der in Gremsdorf für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. „Früher ging das alles viel später los.“

Es sind auch ganz neue Gruppen hinzugekommen. „Junge Wilde werden sie genannt“, weiß Günther Allinger. Junge Erwachsene, die eindeutig Hilfe brauchen, aber von Institution zu Institution, von Amt zu Amt weitergereicht werden, weil keiner mit ihnen zurechtkommt. „Sie haben oft zerrüttete Elternhäuser und kognitive Beeinträchtigungen oder psychische Störungen, die kaum zu kontrollieren sind.“ Oft landen sie nach Selbstmordversuchen im Bezirkskrankenhaus, bevor sie bei den Barmherzigen Brüdern ein neues Zuhause finden.

Die Einrichtung will künftig auch für Borderline-Patienten da sein, die in ihrem starken Drang zur Selbstverletzung das Personal so stark beanspruchen, dass viele Mitarbeiter nach ein paar Wochen ausgelaugt sind. Im Landkreis denkt man deshalb laut Allinger über ein Rotationssystem nach.

Der Geschäftsführer sieht sich inzwischen gezwungen, zwischen körperlicher und geistig-seelischer Behinderung zu unterscheiden. Eigentlich stört ihn dieses „Schubladendenken“, aber um eine Zuordnung für die Kostenträger zu ermöglichen, wird diese Trennung gemacht. „Es geht eben viel zu oft nur ums Geld“, sagt Allinger.

Inklusion, wie sie immer wieder gefordert wird, habe viele Facetten. „Es ist mehr als nur der gescheiterte Rollstuhlfahrer vor dem Treppenaufgang.“ Deshalb treibt die Behindertenhilfe Gremsdorf auch das Wohnen im Sozialraum voran. Einige Bewohner sind bereits ausgezogen aus der Einrichtung, leben zum Beispiel in Adelsdorf oder Höchstadt und werden dort ambulant betreut.

Doch es sind nur wenige, denn die gesellschaftliche Akzeptanz lässt noch zu wünschen übrig. Zwar arbeiten Firmen wie IMO, Schaeffler oder Siemens mit den Werkstätten der Einrichtung eng und erfolgreich zusammen, wenn es aber für den Privatmann darum geht, seinen Wohnraum an behinderte Menschen zu vermieten, ist er eher skeptisch.

Keine Kommentare