Eiszeit für Totengräber

29.12.2010, 19:55 Uhr
Eiszeit für Totengräber

Lähmende Maulsperre beim Bagger: Die Zähne der Schaufel stecken in der gefrorenen Erde fest. Wenn der Arm durchziehen will, rutscht durch die Hebelwirkung das Hinterteil des Baggers weg. Es hilft alles nichts: Jürgen Mönius wirft den Kompressor an. Der Meisel am Presslufthammer beginnt zu zittern und der Totengräber setzt ihn auf die gefrorene Erde. Stückchen für Stückchen arbeitet er sich durch den vereisten Boden und macht den Weg frei für seinen Kollegen Stefan Schwandner, der im Führerhäuschen des Baggers sitzt.

Eiszeit für Totengräber

© Mark Johnston

Bis zum Einbruch der Dunkelheit müssen die beiden Männer ein Grab geschaufelt haben. Bei den eiskalten Temperaturen ist das keine leichte Aufgabe. Im Winter brauchen die Mitarbeiter von Bestatter Johannes Riegler fast doppelt so lange, um eine Ruhestätte auszuheben wie in den wärmeren Monaten. „Wenn im Sommer alles optimal läuft, dann brauchen wir ungefähr zwei Stunden“, sagt Riegler, „jetzt dreieinhalb“. Seit 29 Jahren ist Riegler Bestattungsunternehmer in Höchstadt und hat Verträge mit 13 Friedhofsverwaltungen in der Umgebung, bis hinüber nach Röttenbach. Außerdem wird er von den Einsatzkräften alarmiert, wenn auf den umliegenden Straßen ein tödlicher Unfall passiert.

Auch wenn ihm in kurzer Zeit mehrere Sterbefälle genannt werden, möchte Riegler die Angehörigen natürlich nicht warten lassen. Da wird es schnell zur zeitlichen Belastung, wenn bei Eis und Schnee alles länger dauert. Hinzu kommt, dass es typische Phasen gibt, in denen die Menschen sterben. „Bei Vollmond oder abnehmenden Mond haben wir mehr Sterbefälle“, sagt Riegler. Anfang Dezember fielen gleich acht Bestattungen auf ein Wochenende. „Manchmal ist es schon brutal.“ Vier feste Mitarbeiter hat das Bestattungsunternehmen, außerdem sechs Aushilfen. Sie haben es im Winter schon nicht leicht, mit den Maschinen überhaupt bis zur Grabstelle vorzudringen. Der Schnee macht die Orientierung schwierig und birgt die Gefahr, dass beim Manövrieren in den engen Gängen andere Gräber beschädigt werden.

Grabplatten sind glatt

Sind die Männer einmal mit ihren Maschinen vor Ort, dann heißt es Schnee schippen. Nicht nur dort, wo das neue Grab entsteht, sondern auch in der Umgebung. Schließlich soll keiner der Trauergäste stürzen. „Die Grabplatten sind im Winter oft sehr glatt“, weiß Riegler. Er ist selbst schon ausgerutscht.

Ist der Schnee bei Seite geschafft, kommt Jürgen Mönius mit dem Presslufthammer und arbeitet sich durch die oberste Frostschicht. „Die dickste vereiste Erddecke, die ich erlebt habe, hatte eine Höhe von 80 Zentimetern“, erinnert sich Johannes Riegler. Das war im Jahr 1987.

Heuer muss Mönius bislang nicht nur einige Zentimeter tief hämmern, bis der Bagger sich wieder durchbeißen kann. Stefan Schwandner gräbt dann mit der Maschine einen bis zu 2,40 Meter tiefen Schacht. Vereiste Steine werden mit der Hand aus der Erde gebrochen.

Sobald die vereiste Schicht abgetragen ist, muss das Erdreich an den Seiten mit Verschalungen stabilisiert werden, damit es nicht nach innen einbricht. „Mir sind solche Unfälle früher schon passiert“, erzählt Riegler. Die Erde ist auf ihn herabgebrochen, als er unten im Schacht stand. „Das ist wirklich schmerzhaft“, erinnert sich der Bestatter.

Um Unfälle beim Grabschaufeln zu vermeiden, müssen Totengräber immer zu zweit arbeiten und nur am helllichten Tag. Das bringt im Winter weiteren Zeitdruck mit sich, weil die Sonne so früh untergeht.

Und es gibt ein weiteres Problem: Oft gefriert auch die Füllmasse in den Erdcontainern, die benötigt wird, um das Grab wieder zu schließen. Dann nimmt Jürgen Mönius noch einmal den Presslufthammer zur Hand. Und das, wenn er nach der Trauerfeier ohnehin schon komplett durchgefroren ist. Es dauert dann oft sogar zehn Minuten, bis der Kompressor überhaupt anspringt. Selbst der Maschine fällt der eiskalte Job dann schwer. CLAUDIA FREILNGER