Furchtbares Leid: Genitalverstümmelung an Mädchen

5.5.2017, 15:48 Uhr
Furchtbares Leid: Genitalverstümmelung an Mädchen

Das Baby ist fünf Tage alt, als es verstümmelt wird. Die Afar, Nomaden in Äthiopien, praktizierten traditionell die schlimmste Form der weiblichen Genitalbeschneidung. Die Folgeleiden sind unvorstellbar, die Geburten durch das vernarbte Gewebe oft katastrophal, die Baby- und Müttersterblichkeit ist hoch.

Das kleine Mädchen, das Sylvia Heuberger in dem afrikanischen Land getroffen hat, ist ein halbes Jahr später tot. Nierenstau.

"Es ist wirklich nicht leicht zu ertragen", sagt Sylvia Heuberger. Sie ist als Hygienefachkraft nach Äthiopien gereist und hatte deshalb keine direkte Verantwortung für die Abläufe im Kreißsaal und im OP, aber sie hat bei ihrem vierwöchigen Aufenthalt viele Schicksale mitbekommen. "Man geht davon aus, dass jede dritte zugenähte Frau bei der Geburt stirbt", erzählt die 56-Jährige, die in Herzogenaurach lebt.

Furchtbares Leid: Genitalverstümmelung an Mädchen

Im Januar und Februar 2016 hat sie schon einmal fünf Wochen lang in der Klinik gearbeitet, die Rüdiger Nehbergs Menschenrechtsorganisation "target" aufgebaut hat, um Frauen mit Genitalverstümmelung die Geburt zu erleichtern. Operationen wie beispielsweise Kaiserschnitte finden hier nur statt, wenn die Ärzte dabei auch die Vernarbungen im Intimbereich lösen dürfen. "Dafür sind teils harte Verhandlungen mit dem ganzen Klan nötig", berichtet Heuberger. "Gerade die Mütter beharren oft auf dem Status quo." Es käme sogar vor, dass Mädchen oder Frauen wieder zugenäht werden, wenn sie das Krankenhaus verlassen haben.

Um dem entgegen zu wirken, setzt "target" auf Aufklärung. "Informationsgespräche über die Gefahren der Verstümmelung gehören immer dazu", berichtet die Krankenschwester vom Höchstadter Krankenhaus. Und als sie jetzt nach einem Jahr wieder kam, hat sie auch schon Erfolge bemerkt. Die Klinik wird inzwischen so gut angenommen, dass mindestens ein Kind am Tag geboren wird. Außerdem gibt es eine lokale Hebamme, die Schwangere direkt auf die Geburtsstation bringt, damit sie im geschützten Rahmen entbinden können.

Überhaupt funktioniert die Zusammenarbeit mit dem einheimischen Personal in der Klinik gut. "Es ist absolut kein Buschkrankenhaus", sagt Sylvia Heuberger. Vielmehr seien die hygienischen Standards den Umständen entsprechend gut, denn die Pfleger seien allesamt gut qualifiziert. Reinlichkeit ist aber trotzdem ein dringliches Thema. Und deswegen hat Sylvia Heuberger vier Wochen lang — neben ihren Schulungen — auch sehr viel geputzt. Mit den Reinigungsfrauen vor Ort hat sie gewischt und gebohnert, damit sie lernen, worauf sie achten müssen. Chlor ist vor Ort das einzige Mittel zur Desinfektion. "Es ist zwar sehr effektiv, aber es macht leider auch viel kaputt", sagt Heuberger. Vom OP-Besteck bis zu den Rädern unter den Betten haben schon viele Materialien unter der Behandlung gelitten.

 

Furchtbares Leid: Genitalverstümmelung an Mädchen

© privat

Ein weiteres Thema ist die Kleiderordnung. Weil viele Frauen noch verschleiert zur Arbeit erscheinen, zeigt sie ihnen wie sie ihr Kopftuch so binden, dass möglichst wenig Keime übertragen werden können. Ganzkörperschleier sollen mit der Zeit durch Uniformen ersetzt werden. Die meisten Angestellten sind bereits umgestiegen. Im Krankenhaus sind verschiedene Religionsgruppen vertreten, denn in Äthiopien leben orthodoxe Christen, Muslime und Protestanten zusammen. "Egal welcher Religion sie angehören", sagt Sylvia Heuberger, "75 Prozent aller Mädchen sind beschnitten." Weil sich die Opfer durch Migartion in der ganzen Welt verteilen (siehe gelber Kasten), "ist das Thema nicht soweit weg, wie wir immer denken." Die Krankenschwester leistet deshalb Aufklärungsarbeit auch in Deutschland leisten — jüngst beim Hygienekongress in Fürth.

50 000 Opfer in Deutschland

75 Prozent der Mädchen in Äthiopien werden an ihren Genitalien verstümmelt. Früher lag die Rate bei 90 Prozent. Die Veränderung bezieht sich allerdings fast nur auf die Städte.

Auf dem Land, wo die Analphabetenrate zum Teil bei nahezu 100 Prozent liegt, hat sich noch nicht viel getan. Hier sehen die Menschen die Beschneidung als religiöse Pflicht. Sie erfolgt oft unsteril mit Rasierklinge, Glasscherben oder Dosendeckeln. Je nach Ethnie werden die Mädchen im Alter zwischen zwei Tagen und 14 Jahren beschnitten.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation sind weltweit 200 Millionen Frauen und Mädchen betroffen. Davon leben mindestens 500 000 in Europa. In Deutschland sind 50 000 Mädchen betroffen oder gefährdet.

Die Organisation "target" setzt sich durch gezielte Aktionen für Menschenrechte ein.

www.target-human-rights.de

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