Hospizverein Höchstadt: "Es gab nie so viel Einsamkeit"

1.11.2020, 08:00 Uhr
Hospizverein Höchstadt:

Es waren tiefe Seufzer, jeden Tag. "Ach, von meinen Lieben ist ja keiner mehr da", hatte Katharina F. (Name geändert) schon geklagt, bevor im Seniorenheim das Besuchsverbot wegen der Corona-Pandemie kam. "Es wäre besser, wenn alles vorbei wäre." Inzwischen ist die 85-Jährige verstorben: Sie wollte nicht mehr essen und trinken, hat ärztlichen Rat ignoriert.

Hat sie Suizid begangen? Diese Frage lässt sich nicht klar beantworten. Klar aber ist: Die Selbstmordrate steigt bei Frauen und Männern mit dem Lebensalter. Fast alle zwei Stunden stirbt in Deutschland ein Mensch im Alter von über 60 Jahren durch eigene Hand. Von mehr als 10 000 Menschen, die sich jährlich in Deutschland das Leben nehmen, sind mehr als 40 Prozent 60 Jahre und älter. Und rein demografisch gesehen wird diese Gruppe in den nächsten Jahren weiterwachsen.

Seit zehn Jahren engagiert sich Anita Wedel im Hospizverein in Höchstadt. Ihr gegenüber hat noch kein Patient Selbstmordgedanken geäußert. Auch Kolleginnen haben nichts dergleichen berichtet. "Sonst hätte es sicher auch schon einen Weg gefunden in die Ausbildung zum Hospizbegleiter", schätzt sie. Mit Blick auf die Corona-Pandemie sieht sie aber auch: "Es gab noch nie so viel Einsamkeit im Alter."

Besuche nicht erlaubt

Die rund 15 Helferinnen und Helfer im Hospizverein haben momentan so gut wie keine Möglichkeit, Menschen am Lebensende zu begleiten. "Es gibt auch keine Anfragen", sagt Wedel, die die Angst vor Ansteckung natürlich gut verstehen kann. Besuche in den Altenheimen sind den Sterbebegleitern nicht erlaubt. Auf die Palliativstation Lichtblick im Höchstadter Krankenhaus St. Anna konnten die Ehrenamtlichen zwischenzeitlich wieder gehen – selbstverständlich unter Einhaltung der Hygieneauflagen.

Körperkontakt – "das ist so wichtig" – ist nicht möglich. Das Gefühl, isoliert zu sein, kann Depressionen und Lebensüberdruss auslösen. Wer Anzeichen dafür bemerkt, sollte nachfragen. Diesen zentralen Rat gibt Dr. Ulrike Wegner. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie bildet für den Caritas Verband der Erzdiözöse Bamberg Fachkräfte fort, die in der stationären oder der ambulanten Altenpflege arbeiten. Man bringe durch eine Nachfrage niemanden auf die Idee, sich umzubringen, meint sie. "Aber so lässt sich herausfinden, ob er einfach unzufrieden ist oder sich wirklich selbst töten möchte."

Schmerzen, die nicht aufhören

Von anderen Menschen abhängig zu sein, ist für viele Senioren die größte Belastung. Bei manchen verletzt es auch den Stolz, wenn sie sich helfen lassen müssen, meint Wegner. Andere treibt die Angst um, den Angehörigen und Mitmenschen zur Last zu fallen. Dazu kommen oft Schmerzen, die sich allenfalls noch lindern lassen, aber nie mehr ganz aufhören. "All diese Umstände können einen Suizidwunsch auslösen."

In der Corona-Krise haben das Gefühl, isoliert zu sein, und der erzwungene Verzicht auf Nähe und menschliche Kontakte das Risiko noch verstärkt. Zumal Demenzpatienten nicht einordnen können, warum sie nicht besucht und nicht in den Arm genommen werden. Sie haben dann den Eindruck, nichts mehr wert und überflüssig zu sein.

Dr. Ulrike Wegner weist aber auch darauf hin, dass alte Menschen ganz eigene Ressourcen haben. Sie haben in ihrem Leben Krisen gemeistert, haben gelernt, mit Belastungen umzugehen und sich Einschränkungen anzupassen. Hellhörig solle man sein, wenn konkrete Nachfragen kommen, wie sich das Leben beenden lasse, rät die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. "Kann der Arzt mir nicht etwas geben, damit es schneller geht?" Das sei ebenso ein Signal wie mehrfache Ankündigungen wie: "Ich stürze mich die Treppe hinunter." Aufpassen heißt es, wenn jemand zum Beispiel Tabletten hortet, sich vernachlässigt, Arzttermine absagt, keine Pläne mehr macht und sich abkapselt.

"Ich möchte das nicht"

Dann solle man nachfragen, sagt Wegner, die seit zehn Jahren in München bei der Beratungsstelle "Die Arche" für Menschen in suizidalen Krisen arbeitet.

"Es wird einem selten übelgenommen, sondern eher als Entlastung erfahren." Für entscheidend hält sie die Haltung, wissen zu wollen, was die Menschen beschäftigt, was sie umtreibt, welche Gedanken sie sich machen.

Ebenso offen solle man einem gefährdeten Menschen sagen: "Ich möchte nicht, dass Sie sich umbringen." Oder ihm das Versprechen abnehmen: "Wenn ich morgen wiederkomme, sind Sie aber noch da."

 

Vorboten und Signale einer Suizidgefährdung:

- Gefühl der Einengung

- Grübeln, Suizidgedanken

- Aufgeben gewohnter Interessen und Aktivitäten

- Rückzug aus zwischenmenschlichen Beziehungen

- Ankündigung des Suizids (direkt oder indirekt)

- Unerwartet auftretende Ruhe nach Suizidäußerungen ("Ruhe vor dem Sturm")

 

Sie haben suizidale Gedanken? Sofortige Hilfe erhalten Sie rund um die Uhr bei der Telefonseelsorge unter der bundeseinheitlichen kostenlosen Rufnummer 0800 - 111 0 111 oder 0800 - 111 0 222 und unter www.telefonseelsorge.de im Internet.

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