Im Höchstadter Museum werden nachts Märchen lebendig

16.9.2019, 06:57 Uhr
Im Höchstadter Museum werden nachts Märchen lebendig

© Foto: Christian Enz

"Es ist unsere Aufgabe, das Heimatmuseum mit Leben zu füllen", sagt Christian Plätzer. Eine Herausforderung in einer von Medien überfluteten Welt. Deshalb setzt der Leiter des Höchstadter Heimatmuseums auf neue Impulse. Bei der Stadtspitze trifft dies auf Wohlwollen – weshalb der Zunftsaal im Storchenrathaus nun mit ausreichend Sitzgelegenheiten ausgestattet wurde. "Künftig werden wir hier verschiedene Angebote machen", erklärt Plätzer.

Zum Auftakt hatte er die Europäische Märchengesellschaft eingeladen. Immerhin hätten Volksmärchen viel mit der Identität unserer Gesellschaft zu tun. Gleichzeitig hat Plätzer aber auch einen persönlichen Bezug. "Bereits seit über 20 Jahren bin ich selbst Märchenerzählerin", erklärt seine Ehefrau Susanne Becker-Plätzer.

Das freut vor allem die eigenen Kinder. "Immer wenn Papa abends nicht da ist, erzählt sie uns Geschichten", freut sich Sohn Otto. Doch auch als professionelle Märchenerzählerin ist Becker-Plätzer mit ihren Kolleginnen deutschlandweit unterwegs. Da lag ein gemeinsamer Auftritt in Höchstadt natürlich nahe.

So finden sich neben der Gastgeberin am Samstagabend Claudia Thumfart (Bad Tölz), Jacqueline Jakob (München), Martina Weigert (Grafrath), Monika Bartenstein (München) und Daniela Suttner (Bad Tölz) in Höchstadt ein. Im Gepäck jeweils ein Märchen, das sie selbst besonders bewegt. Wer bei einer Märchenerzählerin eine vom Leben gezeichnete, strickend im Lehnstuhl sitzende Oma erwartet hat, ist freilich überrascht.

Denn die Mitglieder der Märchengesellschaft sind allesamt moderne Frauen – die es sich allerdings noch zutrauen, ohne technische Unterstützung ein Abendprogramm zu bestreiten. Eine Idee, die für einen voll besetzten Zunftsaal sorgt.

Phantasie-Geschichten bewegen

Christian Plätzer ist davon ein wenig überrascht. Anders Alice Grimm. "Game of Thrones, Star Wars – all diese Phantasie-Geschichten sind nichts anderes als moderne Märchen und sehr gefragt", erläutert die Gymnasiallehrerin.

"Natürlich rümpfen die Fünftklässler erst einmal die Nase, wenn wir anfangen, klassische Märchen durchzunehmen", gibt Grimm zu. "Aber dann fangen sie plötzlich an, Bilder zu den Geschichten zu malen oder eigene Bücher mitzubringen. Das zeigt: Märchen bewegen auch heute noch."

Eine Sicht, die Susanne Becker-Plätzer und ihre Kolleginnen bestätigen. Dazu greifen sie tief in die Märchentruhe und holen neben Grimms Märchen auch Raritäten aus Ludwig Bechsteins Sammlung sowie russische, chinesische und slowakische Geschichten ans Licht.

Diese werden nicht etwa aus einem schmuckvollen Buch vorgelesen. Nein, die ausgebildeten Märchenerzählerinnen sprechen frei und halten direkten Blickkontakt mit ihrem Publikum. So entsteht ein sehr intimes Erlebnis, zumal die Protagonistinnen mit Mimik und Gestik die Wirkung ihrer Worte perfekt unterstreichen. Das sorgt über Generationen hinweg für Gänsehaut-Momente im Zuhörerraum. Auch, wenn alle Geschichten gut ausgehen.

So wird in "Baba Yaga" die Tochter von der bösen Schwiegermutter erlöst. In "Die Blaue Rose" setzt sich der leidenschaftliche Jüngling im Werben um die Prinzessin erfolgreich gegen standesgemäße, aber herzlose Mitbewerber durch. Und auch der Künstler in "Vom Maler, der den richtigen Teufel malte" kommt mit dem Leben davon – anders als sein König, der das Volk drangsaliert.

Umrahmt werden die stimmungsvollen Präsentationen durch die souveränen Violinisten Dominik Schwägerl und Jesko Fröhlich. Durch geschickte Auswahl der Zwischenmusik gelingt es den beiden, die höfische Atmosphäre von einer in die nächste Geschichte weiterzutragen. Ein wohltuender Gegenentwurf zu den Werbeblöcken im privaten Fernsehen

Kein Wunder, dass die Zuhörer am Ende nicht mit Applaus sparten – und sich eine Fortsetzung von "Abends im Museum" wünschen.

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