Intime Verbrechen in Erlangen-Höchstadt

22.3.2020, 16:38 Uhr
Wenn sich Erwachsene an Kindern vergreifen ist das Machtgefälle groß.

© Patrick Pleul/dpa Wenn sich Erwachsene an Kindern vergreifen ist das Machtgefälle groß.

Und sie kennt die Schwierigkeiten, denen die Opfer begegnen. So wie Caroline S. (Name von der Redaktion geändert) im Landkreis Erlangen-Höchstadt.

Zwei Mitarbeiterinnen des Weißen Rings haben sie mehr als ein Jahr lang begleitet. Ihr Mann hatte sie in ihrer Wohnung angegriffen, eingesperrt und schwer sexuell misshandelt. Tagelang flehte sie ihn an, zum Arzt gehen zu dürfen, weil sie unter großen Schmerzen litt. Als Herr S. Sie schließlich frei ließ, stellte ein Mediziner neben großen Wunden und Bissverletzungen auch einen Oberschenkel-Halsbruch fest. Caroline S. kam ins Krankenhaus und war einige Zeit auf den Rollstuhl angewiesen. Obwohl das Gericht ihrem Mann den Kontakt verbot, tyrannisierte er sie solange weiter, bis sie sich an den Weißen Ring wandte und einen Platz im Erlanger Frauenhaus bekam. Weil sie sechs Wochen nach ihrer Verletzung keine Lohnfortzahlung mehr bekam und das Krankengeld noch nicht genehmigt war, übernahm die Hilfsorganisation unter anderem die Kosten für das Frauenhaus.

Als Caroline S. in die Reha-Klinik Herzogenaurach kam, musste sie trotzdem weiter Miete zahlen, konnte die Summe aber nicht ganz aufbringen. Als der Vermieter mit Rauswurf drohte, schalteten sich die Mitarbeiterinnen vom Weißen Ring wieder ein und handelten eine Stundung der Schulden aus, sodass sie nach Hause zurückkehren konnte.

Das Gericht verurteilte den Ehemann zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten, doch er ging in Berufung und blieb auf freiem Fuß. Caroline S. war wieder nicht sicher. Er drang über die Terrassentür in ihre Wohnung ein und setzte sie unter Druck, ihre Aussage zurückzunehmen. Es kam zu stundenlangen Streits und wieder Aufforderungen zum Sex, glücklicherweise ohne körperliche Gewalt. Als er einschlief, alarmierte die Frau eine Freundin per SMS, dass sie die Polizei rufen solle. Der Täter bekam einen Platzverweis, die Geschädigte musste wieder ins Frauenhaus, bis auch die Berufung abgelehnt war. Von dem Urteil allerdings erfuhr sie erst vier Wochen später – Zeit, die sie lieber Zuhause verbracht hätte.

Man sieht: Die Hilfe des Weißen Rings kann in schwierigen Zeiten Erleichterung bringen. Doch sexualisierte Gewalt trifft natürlich nicht nur Erwachsene. Schätzungen zufolge erfährt jedes fünfte Mädchen und jeder neunte Junge vor dem 18. Geburtstag (mindestens) einmal sexuelle Gewalt, die der Gesetzgeber als Straftat einstuft – also Nötigung, Missbrauch, Exhibitionismus oder Vergewaltigung. "Wir haben auch ziemlich viele Fälle", sagt Elke Yassin-Radowsky. Begünstigt wird der Missbrauch durch das Macht- oder Wissensgefälle zwischen dem Täter und seinem kindlichen Opfer. Aktuell berät sie zum Beispiel eine Mutter, deren neuer Partner, ihre beiden Töchter missbraucht hat und vorher bereits seine Stiefgeschwister. "Persönliche Gespräche sind sehr wichtig, um helfen zu können – auch nach dem Opferentschädigungsgesetz", sagt die Leiterin der Außenstelle. Seit 20 Jahren erfüllt Elke Yassin-Radowsky, die bei Gremsdorf wohnt, diese Funktion nun ehrenamtlich. "Mir liegt sehr viel daran, dass der Weiße Ring noch bekannter wird", sagt sie. "Sexualisierte Gewalt sei extrem schambehaftet und werde noch immer gesellschaftlich tabuisiert. "Viele Betroffene bringen nicht die Kraft auf, den sexuellen Übergriff zu thematisieren, vor allem, wenn er in den eigenen vier Wänden geschieht. Opfer sollten sich jedoch nie selbst die Schuld für das Verhalten des Täters geben."

Die rund 2900 professionell ausgebildeten Opferhelferinnen und Opferhelfer in den 400 Außenstellen des Weißen Rings stehen allen Betroffenen in der Notlage persönlich zur Seite. Zum "Tag der Kriminalitätsopfer 2020" hat der Weiße Ring auch eine neue Broschüre mit dem Titel "Intime Verbrechen: Hilfe bei sexualisierter Gewalt" herausgegeben. Wer diese Broschüre haben möchte oder sonstige Hilfe braucht, erreicht Elke Yassin-Radowsky, die Leiterin der Außenstelle Weißer Ring e.V., unter Tel. (0 91 95) 79 99 oder radwosky@t-online.de.