Landtagswahl: Wie wählen eigentlich blinde Menschen?

26.9.2018, 14:14 Uhr
Landtagswahl: Wie wählen eigentlich blinde Menschen?

© Foto: Edgar Pfrogner

Gerhard Freunscht ist ein sehr politikinteressierter Mensch. Jetzt vor der Landtagswahl versucht sich der Weisendorfer so gut wie möglich über alle Kandidatinnen und Kandidaten zu informieren. Alleine hätte er dabei aber keine Chance. Der 70-jährige Weisendorfer ist blind, vor vielen Jahrzehnten nahm ihm eine Krankheit das Augenlicht. Wie wählt er?

Pünktlich vor den Wahlen bekommt er Post vom Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund (BBSB). Darin enthalten: eine CD, auf der alle wichtigen Informationen über die Kandidaten gespeichert sind. "Ich kann mir vorlesen lassen, welche Positionen ein Kandidat vertritt oder was sein Beruf ist", erklärt Freunscht. Ihm ist das oft – gerade bei Wahlen mit vielen Kandidaten – zu kompliziert. Er lässt sich die Programme lieber von seiner Frau erklären.


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Keine Lösung in Sicht

Lange Zeit hätte er ohne sie auch gar nicht wählen können. Doch seit der Bundestagswahl 2002 sind Wahlschablonen im Einsatz. Sie sind identisch mit dem Stimmzettel – nur in Blindenschrift geschrieben und mit kleinen ausgestanzten Löchern für die Stimmkreuze versehen. "Das ist eine prima Sache, so können wir selbstständig wählen", freut sich Freunscht. Die Sache hat allerdings einen gewaltigen Haken: Bei den Bundestagswahlen werden die Schablonen zwar verschickt, für die kommende Landtagswahl wurden aber keine gedruckt. Der Grund: "Durch die vielen Kandidaten bei der Landtagswahl und der zusätzlichen Bezirkswahl wäre das eine Riesen-Schablone, die für uns Blinde unglaublich schwer zu handhaben wäre", erklärt Elke Runte, Pressesprecherin des BBSB. Es gibt noch ein weiteres Problem: Für beide Wahlen müssten zusammen 341 unterschiedliche Schablonen für die Stimmzettel erstellt und gedruckt werden.


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Eine andere Lösung, wie blinde Menschen ohne Hilfe wählen können, gebe es bislang schlichtweg nicht. Der Verband appelliert deshalb an die Landeswahlleitung, gemeinsam nach einer Alternative zu suchen. "Wir wissen, dass es nicht am guten Willen der Verantwortlichen fehlt", teilt Steffen Erzgraber, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenverbundes mit. "Dennoch reicht dies nicht aus: Es wird höchste Zeit, dass die Staatsregierung das Thema nachhaltig angeht."

Wahlleitung ist ratlos

Dort ist man ebenso gesprächsbereit wie ratlos. Die Betroffenen könnten zusammen mit einer Vertrauensperson per Brief wählen oder in das Wahllokal kommen, empfiehlt der stellvertretende Landeswahlleiter Werner Kreuzholz. So handhabt es auch Gerhard Freunscht. Seine Frau wird für ihn das Kreuz setzen. Zuhause im Wohnzimmer, denn in ein Wahllokal geht er nicht. "Hier habe ich Ruhe und Zeit. In der Kabine geht das nicht, da will sich schon der Nächste vordrängeln."

Eine komfortable Situation, die nicht jeder der 80 000 blinden Wähler hat. Die Wahlhelfer seien zwar verpflichtet, in der Kabine zu helfen und können auch "so leise sprechen, dass keiner die Wahlentscheidung mitbekommt", so Kreuzholz. Doch ein Problem bleibt dabei: "Wer keine Vertrauensperson hat, die für ihn das Kreuz setzt, der hat auch keine, mit der er oder sie ins Wahllokal kommt", sagt Runte. "Ich kenne keinen Blinden, der sich in der Wahlkabine den Stimmzettel vorlesen lässt."

Zumindest bei den Landtagswahlen scheint die Situation vorerst nicht lösbar zu sein. Das Kreuz online setzen zu können, wäre zwar ein enormer Fortschritt. Dass dies in absehbarer Zeit möglich sein wird, ist nicht in Sicht. "Dort wären Manipulatoren Tür und Tor geöffnet", fürchtet Runte.


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Kann das Netz trotzdem helfen?

Der Verband und die Landeswahlleitung wollen deshalb an anderer Stelle nachbessern: "Wir arbeiten daran, bis 2023 möglichst viele Wahlinformationen für blinde Menschen im Internet zur Verfügung zu stellen", so der stellvertretende Landeswahlleiter. Was paradox klingt, wäre ein enormer Fortschritt: Denn für Blinde gibt es spezielle Computer-Programme, die unter anderem den Text auf Webseiten vorlesen. Das Informations-Angebot werde bei dieser Wahl bereits getestet, bei der Landtagswahl 2023 soll es dann bayernweit zur Verfügung stehen.

Dann wird auch Gerhard Freunscht seine Kandidaten wieder ganz genau analysieren können. Doch bis zumindest dieses Hilfsmittel verfügbar ist, fürchtet er: "Viele werden einfach nicht wählen – und das ist schade."

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