Mit 69 Jahren: Alexander Zernickel radelte durch die USA

10.6.2019, 16:56 Uhr
Mit 69 Jahren: Alexander Zernickel radelte durch die USA

© Foto: Alexander Zernickel

Alexander Zernickel könnte sozusagen Führungsarbeit leisten, um beim Multisparten-Breitensportverein ASV auch eine Radsport-Gruppe einzuführen. Der 69-Jährige ist ein gutes Vorbild: Allein ist er in 39 Tagen quer durch die USA gefahren – auf der Südroute von San Diego in Kalifornien bis San Augustine in Florida.

Mit 69 Jahren: Alexander Zernickel radelte durch die USA

© Foto: Zernickel

Solche Leistungen, sagt ASV-Vorsitzender Michael Persang, sind auch in einem Breitensportverein hervorzuheben: Der Vorsitzende setzt, um in der Sprache des Radsports zu bleiben, auf den Sog, den Zernickels Windschatten hoffentlich auf Radler ausübt. Mit dem einstigen BMX-Star Michael Hösch, sagt Persang, hat der Verein schon einen Mann gewonnen, der eine solche Radsport-Gruppe trainieren würde.

Alexander Zernickel nimmt seine Anfahrer-Rolle natürlich gern in Kauf. Für die Tour von immerhin 4600 Kilometern auf der Südroute vom Pazifik an den Atlantik hat ihn aber nur sein eigener innerer Antrieb motiviert. Er ist beim ASV eigentlich in der Alpinsport-Abteilung, aber die USA-Tour hat dem Radler in ihm keine Ruhe gelassen.

Zernickel ist kein Pionier. Seit langem wird die Strecke befahren, sie ist – fast wie die Route 66 bei den Autofahrern – gut beschrieben, per GPS kann man navigieren. Die Tour wird, schätzt Zernickel, im Jahr von mindestens 300 Radlern gefahren. Sie ist sogar als Gruppenreise der harten Sorte bei speziellen Veranstaltern buchbar.

Mit 69 Jahren: Alexander Zernickel radelte durch die USA

© Foto: Alexander Zernickel

Es bleibt dennoch ein Abenteuer. Aus der Sicht des Sportlers, der es erlebt, sowieso. Und dass es herausfordernd ist, trotz aller Hilfen nur bedingt planbar, das hat Zernickel gleich am ersten Tag erlebt, dem 20. Februar.

Da startete er am Dog Beach von San Diego in Südkalifornien und hatte sich 120 Kilometer vorgenommen, sogar ein Motel in dieser Distanz schon gebucht.

Mit seinem alten Mountainbike ist der 69-Jährige auf Tour gegangen, "an dem ich jede Schraube kenne", 20 Kilo Gepäck in Taschen lasteten auf dem Hinterrad.

Gleich östlich der Stadt freilich zieht sich ein Küstengebirge hin, und beim Bergfahren hat der Alpinsportler schon am Beginn seines Abenteuers den Winter in den Bergen erfahren. Erst Regen, dann Schnee: Er konnte nicht ständig pedalieren, musste öfters schieben und verlor Zeit.

Als Zernickel bei dem widrigen Wetter auch noch den ersten Platten hatte, da sei er nahe an der Panik gewesen, sagt er. Zu dunkel und die Finger zu klamm zum Reparieren, schob er das platte Rad, bis einer jener ebenso neugierigen wie freundlichen Amerikaner in ein Spielcasino wies, wo man ihm sicher helfen würde. Mit einiger Verspätung konnte Zernickel so den ersten Tag der Tour im gebuchten Motel beenden.

Dies sei so ziemlich die widrigste Erfahrung auf der Reise gewesen, sagt er. Weiter auf dem Weg durch Arizona, New Mexico, Texas, Louisiana, Mississippi und Alabama nach Florida ist er ohne dramatische Zwischenfälle gerollt. Von den insgesamt 16 Reifenpannen und dem Ärger mit der schlechten Qualität amerikanischer Fahrradschläuche abgesehen. Die Strecke führt zwar ab und zu auch auf dem vierspurigen Interstate Highway Nummer 10, meistens auf nicht immer befestigten Nebenstraßen. "Da musst du", sagt Zernickel, "ständig aufpassen auf Dornen oder Drähte, die sich in die Reifen bohren."

Sogar Rückenwind habe er die ersten zwölf Tage lang genossen. Dann aber stellte sich die in diesen Breiten häufigste Windrichtung ein und er musste gegen leichten Ostwind antreten.

Seinen Routenplan hat er eingehalten. Knapp 120 Kilometer pro Tag musste er zurücklegen, um bis zum 30. März an der Fragler Bay bei San Augustine anzukommen – rechtzeitig, um daheim den Geburtstag des Enkels mitzufeiern.

Viele prägende Erlebnisse hat Alexander Zernickel gehabt, an die er sich lange erinnern werde – auch an die an manchen Abenden stundenlange Suche nach einem Zimmer, an das Wohlstandsgefälle, das er vor allem in Arizona, New Mexico und Teilen von Texas bemerkte. Und an den Status, den man als Radfahrer in den USA genießt: Verkehrsteilnehmer dritter Klasse.

 

RAINER GROH

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