Mit Sprache fängt es an

15.9.2015, 14:00 Uhr
Mit Sprache fängt es an

© Mark Johnston

Mohammed zieht sich eine Krawatte über. Der Schlips bedeutet, sein Träger ist mit „Sie“ anzureden. Die Höflichkeitsform ist eine der unerklärlichen Schwierigkeiten der deutschen Sprache. Vor allem, wenn man aus Äthiopien kommt, wo sie alles andere als höflich mit einem umgehen.

Suudi hat mit dem Würfel, der entscheidet, wer sein Gegenüber mit welcher Grußformel anzureden hat, eine Fünf gewürfelt. „Guten Tag, Herr Mohammed“, sagt er schon sehr flüssig, „wie geht es ihnen?“ „Danke, sehr gut“, antwortet der Schlipsträger. Mit „Auf Wiedersehen“ endet der Dialog, und Klaus Hahn fordert Abdu und Soudi, die nächsten beiden jungen Männer am Unterrichtstisch, auf zu würfeln. Die beiden dürfen sich per du begrüßen.

Klaus Hahn ist der Herr über die Würfel. Er hat im Helferkreis die Aufgabe übernommen, den acht Flüchtlingen aus Afrika, die in der kleinsten Landkreisgemeinde leben, Deutsch beizubringen. Mit Hans Pöllmann teilt er sich in diese zentrale Integrationsaufgabe. Hahn, kein gelernter Lehrer, sondern ein Wirtschaftsmann, unterrichtet nach dem Lehrbuch für Deutsch für Ausländer. Pöllmann ist öfters mit ihnen im Ort unterwegs, übt Situationen: wie man einkauft oder nach dem Weg fragt.

Fünf Mal in der Woche haben die Flüchtlinge mindestens zwei Stunden Unterricht. Die beiden Räume im Gebäude der ehemaligen Seeland-Fabrik stellt ihr Besitzer Alexander Teherani gratis zur Verfügung, andere Unternehmen und eine Stuttgarter Stiftung haben Rechner, Beamer, Tische, Stühle, Ordner und Papier beigesteuert.

Hahn, der seinen Unterricht mit klarer Ansage, aber kameradschaftlichen Ton führt, hat es mit sehr unterschiedlichen Schülern zu tun. Kadir zum Beispiel, ein 20-jähriger Bauernsohn, hat in Oberreichenbach zum ersten Mal in seinem Leben einen Stift in der Hand gehalten. Vor zwei Monaten war das. Sein Freund Sufian dagegen kann perfekt lesen und schreiben und verständigt sich bereits mehr als leidlich auf Deutsch. Große Unterschiede im Bildungsniveau haben die Helfer festgestellt. Der Weg nach Oberreichenbach war für sie gleich: Mit dem Fluchthelfer-Auto durch den Sudan nach Libyen, 21 Mann auf einem Land Rover. Dann die fürchterliche Bootsfahrt übers Mittelmeer nach Italien. Kadir und Sofian saßen im gleichen Boot, erzählen sie, mit 200 anderen. 80 kamen in Europa an, sagt Kadir. Ihn selbst hätten die Retter buchstäblich aus dem Meer gefischt.

Wie so einer es wohl sieht, wenn im Deutschunterricht gewürfelt wird und die Stunde mit einem Bingo-Spiel ausklingt zum Kennenlernen der Zahlen? Wahrscheinlich sehr gelassen. Die acht jungen Afrikaner wirken jedenfalls ausgesprochen zufrieden damit, wie bis jetzt die Würfel für sie gefallen sind. Sie lernen zwar unterschiedlich schnell, aber mit der gleichen Konzentration, und Klaus Hahn ist optimistisch, dass einige gleich, die anderen etwas später auch Fuß fassen könnten auf dem Arbeitsmarkt.

Zur Arbeit gehen die Männer schon jetzt. Gemeinnütziges erlaubt das Asylgesetz, und so hat Bürgermeister Klaus Hacker alle für den gemeindlichen Bauhof engagiert. Hacker und der Helferkreis sehen dies als Integrationsmaßnahme. Das Entgelt dafür ist auf 1,50 Euro die Stunde gedeckelt. Mit Klaus Dambeck und Herbert Reiß pflegen sie die Gemeinde-Anlagen, besonders den Friedhof. Mit guten Erfahrungen beiderseits. Mohammed, Sufian, Jamal, Kadir, Soudi, Abdu, Anwar und Suudi haben bei der Arbeit die ersten Bekanntschaften geschlossen und müssen auf diese Weise ihr Deutsch auch anwenden.

Dies allerdings könnte, so Klaus Hahn, noch besser werden, wenn sich noch Mentoren fänden, die einen der acht ab und zu einladen. Dann würden die Flüchtlinge schneller lernen, wie die Leute mit dieser schweren Sprache sind. Im normalen Alltag.

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