Multiple Sklerose: „Das Leben wird anders, aber nicht schlechter“

19.5.2016, 18:36 Uhr
Multiple Sklerose:  „Das Leben wird anders, aber nicht schlechter“

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„Ich habe heute keine Angst mehr vor MS“, sagt Friedel Ertel. Das Auseinandersetzen mit der Krankheit, der Austausch mit anderen sowie alternative Behandlungsmethoden haben ihr dabei geholfen. Doch der Weg bis dahin war kein leichter.

Multiple Sklerose:  „Das Leben wird anders, aber nicht schlechter“

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1985 war es, als Friedel Ertel beim Wandern plötzlich ein Kribbeln und eine Taubheit in Füßen und Bauch verspürte. Die körperlichen Missempfindungen wurden in der Folgezeit immer schlimmer, „ich konnte nachts kaum noch schlafen“.

In der Neurologie in Erlangen gab es erst einmal Cortison, doch ihre Belastbarkeit wurde immer geringer. Mit der Diagnose einer „chronischen Entzündung“ wurde Friedel Ertel entlassen. Erst bei der Reha ein halbes Jahr später wurde das Kind beim Namen genannt: Multiple Sklerose. „Ich war verzweifelt, aber die Zeit in der Klinik war sehr wichtig“, sagt die 72-Jährige heute.

Denn einerseits habe sie dort Patienten mit schweren Krankheitsverläufen kennen gelernt, aber auch solche, denen es gut ging. Eine schwerst betroffene Frau habe ihr „so viel Mut gemacht“, erinnert sich Friedel Ertel. „Das war eine ganz starke Frau, die sich von ihrer Krankheit nicht hat unterkriegen lassen.“ In diesen sechs Wochen Reha habe sie sich intensiv mit MS beschäftigen können. Ihre Devise lautete: „Heute geht‘s mir gut und morgen auch, und wie es in zehn Jahre ist, weiß auch der Gesündeste nicht.“

Nicht heilbar

Der schubförmige Verlauf von MS, wie ihn Friedel Ertel erlebt hat, kann nach einiger Zeit in einen chronischen Verlauf übergehen. Es gibt heute zwar Medikamente, MS ist also behandelbar, jedoch nicht heilbar. Es handelt sich um eine entzündliche Erkrankung des Nervensystems. Symptome sind vor allem Sehstörungen, Ermüsungserscheinungen und körperliche Beeinträchtigungen. Viele Betroffene brauchen Gehhilfen oder sind auf den Rollstuhl angewiesen.

Mit Schüben hatte auch Friedel Ertel immer wieder zu kämpfen. „Ich habe diese Schübe aber eher als kleine Auszeiten gesehen.“ Sie nahm keine Medikamente, die Schübe klangen nach etwa sechs Wochen von alleine wieder ab. „Doch nach einem Schub 1991 war es nicht mehr das gleiche. Meine Belastbarkeit war viel geringer, ich konnte kaum mehr laufen.“

Das war der Zeitpunkt, als Friedel Ertel auf Dr. Uwe Fratzer aufmerksam wurde, einen Mediziner aus Kirchheim in der Pfalz, der wegen seiner unkonventionellen Behandlungsmethoden sehr umstritten war. Sein Konzept basiert auf einer speziellen Diät, nämlich auf einer linolsäurearmen Ernährung mit gleichzeitiger Zufuhr von Fischölkapseln (Omega-3-Fettsäure), Muschelextrakten, Selen, Vitamin E und B-Vitaminen. Mit Beginn dieser Ernährungsumstellung ging es Friedel Ertel auch besser, eine Brustkrebs-Operation im Jahr 1993 warf sie dann allerdings noch einmal zurück. „Danach hatte ich einen schwersten Schub“, erzählt sie. Es sollte der bis heute letzte sein.

Schon ein halbes Jahr später konnte sie mit ihrem Mann Manfred wieder auf Wandertour gehen. Was sie immer noch mit besonderer Vorliebe tut. Die Fratzer-Diät hat sie beibehalten und schwört darauf. Dass sie heute keine Beschwerden hat, führt Friedel Ertel auch darauf zurück, „dass ich eine Aufgabe habe“. Im Februar 1995 nämlich waren MS-Erkrankte zu einem Gedankenaustausch eingeladen — und daraus entstand eine feste Gruppe.

Die „Kontaktgruppe für alternative, medikamentöse und begleitende MS-Therapien“ mit Friedel Ertel als Leiterin trifft sich einmal im Monat in der Pfarrei St. Bonifaz in Erlangen. Ein fester Stamm von etwa 25 Betroffenen tauscht sich hier aus — inklusive der Angehörigen. Denn „für die ist es auch nicht leicht“, weiß Ertel. Dabei sei deren Rückhalt für die Betroffenen besonders wichtig.

Freundschaften entstehen

So finden beispielsweise Petra und Helmut Burlein „das familiäre Miteinander und die freundschaftlichen Begegnungen sehr bereichernd“. Zu den „Stammgästen“ zählen auch Angelika und Werner Reithinger. Sie schätzen den Gedankenaustausch mit Gleichgesinnten, loben die abwechslungsreichen und informativen Referate von Fachleuten und freuen sich über entstandene Freundschaften. Dem kann auch Günter Willert nur beipflichten. Außerdem habe er „in der MS-Gruppe viel mehr zu der Krankheit, den Behandlungsmöglichkeiten und deren Vor- und Nachteilen erfahren“. Durch die Gruppe habe er auch einen Arzt für eine Ernährungstherapie gefunden.

Ein Punkt, den alle Gruppenmitglieder in den höchste Tönen loben: Friedel und Manfred Ertel organisieren regelmäßig Urlaubsreisen für die Gruppe. Gar nicht so einfach, da auch etliche Rollstuhlfahrer dabei sind. Es wird deshalb vorher ausgekundschaftet, ob alles behindertengerecht ist. Diese Reisen seien unvergessliche Erlebnisse, man könne Kraft schöpfen für den Alltag, sagt Friedel Ertel. Und die Reithingers fügen an: „Bei diesen von den Ertels organisierten Reisen fühlt man sich sicher und geborgen.“

Doch Friedel Ertel macht noch mehr: Sie leitete sechs Jahre lang die MS-Selbsthilfegruppe „Burgtreff“ in Nürnberg, bevor sie diese in andere Hände abgab. Seit 1995 engagiert sie sich ehrenamtlich bei der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG), Landesverband Bayern, war dort Patientenbeirätin, heute stellvertretende Patientenbeirätin.

Sie wirkt seit 20 Jahren im Redaktionsteam der Zeitschrift „Mach mit“ der Beratungsstelle Nürnberg mit. Sie organisiert Feldenkrais- und QiGong-Kurse — denn durch bewusstes Wahrnehmen und Bewegung könne man seinen Körper zurückerobern, ist sie überzeugt. Vor allem aber leistet sie Aufklärung und unterstützt Neuerkrankte und deren Angehörige, weiß sie doch selbst, wie niederschmetternd die Diagnose MS am Anfang sein kann.

Dennoch möchte Friedel Ertel das Bild von MS in der Öffentlichkeit gerade rücken, die Stigmatisierung findet sie schlimm. „MS-Erkrankte brauchen vielleicht ein Hilfsmittel, vor allem aber Verständnis.“ MS sei kein Makel und bedeute heute nicht zwangsläufig den Rollstuhl.

Friedel Ertel betont: „Das Leben mit MS wird anders, aber nicht schlechter.“ Und bei all ihrem Engagment schwingt auch ein Stück Dankbarkeit mit — „dafür, dass es mir selbst heute so gut geht.“

Wer sich für die MS-Gruppe interessiert, kann sich bei Friedel Ertel melden, * (0 91 32) 48 38.

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