Nicht alle Regeln gefallen den Experten

17.8.2016, 06:00 Uhr
Nicht alle Regeln gefallen den Experten

© dpa

Zum 1. Juli trat ein umfassendes Änderungs-Paket des DHB in Kraft – mit viel neuem Lernstoff für Trainer, Schiedsrichter, Aktive und Zuschauer. Volker Schneller, Ex-Nationalspieler, erfolgreicher Trainer und NN-Handball-Berichterstatter, gibt einen Einblick in die wichtigsten Inhalte und möglichen Auswirkungen, die teils schon bei den Olympia-Partien zu verfolgen sind.

Bisher galt: Ist bei der ballführenden Mannschaft kein Zug zum Tor zu erkennen, hoben die Schiedsrichter die Hand. Den Angreifern blieb eine kurze Zeitspanne, die im Ermessen des Unparteiischen lag, um die passive Tendenz aufzugeben und zum Abschluss zu kommen. Nun wurden die Kriterien auf maximal sechs Pässe konkretisiert. Schneller: „Das ist sinnvoll und auch für die Zuschauer transparenter. Zudem ist diese Regel nicht mehr ganz so sehr von der Willkür der Schiedsrichter abhängig. Es war oft unerträglich zu erleben, wie die Angreifer trotz der erhobenen Arme der Unparteiischen fast endlos weiter wursteln durften, bei ähnlichem Verhalten auf der anderen Seite aber schon nach wenigen Sekunden der Ballbesitz wechselte.“

Auch diese Neuerung zielt auf die Förderung eines dynamischeren Verlaufs ab und richtet sich gegen übermäßige Zeitverzögerungen sowie Unsportlichkeiten. Verletzte Spieler (nicht der Torwart), die den Einsatz eines medizinischen Betreuers auf dem Feld benötigen, müssen dieses verlassen und dürfen erst nach drei Angriffen ihres Teams zurückkehren. Das sieht Schneller kritisch: „Gut gemeint, aber fragwürdig und realitätsfremd. So wird quasi im Zweifel von vornherein gegen den Verletzten/Gefoulten entschieden, ihm unterstellt, dass er schauspielert, was aber gerade im Handball extrem verpönt ist, wie selbst Aktive und Anhänger anderer Sportarten immer wieder hervorheben. Also völlig ohne Not geboren!“

Nicht mehr nur in der Schlussphase einer engen Partie tauschen Mannschaften ihren Keeper gegen einen zusätzlichen siebten Feldspieler, um in nummerischer Überzahl noch einen späten Treffer zu erzielen. Der Zusatzakteur musste bislang ein Leibchen in der Farbe des Torwarttrikots tragen und nach Ballverlust/Abschluss der Wurfaktion durfte nur er wieder mit dem Stammtorwart wechseln. Darin bestand ein hohes Risiko, wenn der Weg zur eigenen Bank lang war. Nun muss der Bonus-Spieler kein Leibchen mehr tragen, beim Gegenangriff darf ein der Spielerbank naher Kollege mit dem Torhüter tauschen. Der Nachteil: Der Zusatzmann im Leibchen durfte zur Not zurücksprinten und wie ein Torwart im eigenen Kreis agieren, die Modifizierung verbietet dies. Der Einsatz eines Spielers mit Leibchen ist weiterhin zulässig. Schnellers Kommentar: „Unnötig und destruktiv, da dies den Spielcharakter negativ beeinflusst. Die Zuschauer wollen schon bald keine Spiele mehr sehen, in denen acht bis zehn Mal der Ball im leeren Tor landet. Zudem wird das Spielfeld mit dem siebten Spieler noch enger, die sowieso kaum noch erkennbaren Serienfouls beim Gerangel rund um den Wurfkreis, die immer öfter die Schiedsrichter überfordern, nehmen weiter zu. Auch die Offiziellen am Kampfgericht bekommen durch das ständige Hin- und Hergerenne von Torleuten und Feldspielern zu den Wechselbänken zusätzlichen Stress, aber auch Einfluss aufs Spiel, indem sie in Sekundenbruchteilen entscheiden müssen, ob der Torwart bei seinem Sprint zurück ins Tor die Seitenauslinie tatsächlich erst in der Sekunde Richtung Tor verlassen hat, in der der Feldspieler umgekehrt mit beiden Füßen nach den Sprint eben diese Linie passiert hat. Man mag kaum daran denken, wie dies vor allem in den unteren Klassen regelkonform gelöst werden soll.“

Spielverzögerungen und verhinderte Abwürfe des Gegners wurden in den letzten 60 Sekunden automatisch mit einer Roten Karte und einer persönlichen Sperre für den Einzelnen geahndet. Die benachteiligte Mannschaft bekam häufig nicht mehr als einen Freiwurf zugesprochen. Ab sofort wird das Kollektiv mit einem Siebenmeter bestraft, der Spieler hingegen mit einer einfachen Matchstrafe ohne weitere Konsequenz. Schneller: „Realitätsfremd, ein böses oder taktisches Foul in der 52. Minute ist dann weniger schlimm als in der 58. Minute? Es war schon in der Vergangenheit oft unerträglich zu sehen wie Vergehen 50 Minuten legerer behandelt wurden als in der Endphase. Zweierlei Maß ist nicht hilfreich. Die aus Rio übertragenen Spiele zeigen zwar eine generell spürbar konsequentere Regelauslegung schon von den ersten Minuten an, doch das dürfte im Ligaalltag unrealistisch sein.“

Jugendliche durften bislang pro Wettkampftag am Wochenende zwei Partien über die volle Spielzeit in verschiedenen Mannschaften mitwirken. Unter günstigen Umständen kamen vier Einsätze zusammen. Dieser Praxis wird ein Riegel vorgeschoben. Innerhalb von 48 Stunden sind maximal zwei Spiele erlaubt.

Eine Regelung, über die einhelliger Konsens herrscht. Pendler und Studenten sollen ihrem Heimatklub erhalten bleiben können. Auf Amateurebene ist die Teilnahme am Spielbetrieb für zwei Vereine erlaubt, wenn die Distanz mindestens 100 Kilometer beträgt und die Mannschaften nicht in der selben Spielklasse antreten.

Bis zur D-Jugend war es den Vereinen im Bezirk Ostbayern bisher freigestellt, gemischte Mannschaften in den Spielbetrieb zu schicken. Mädchen kompensierten in manchen Jahrgängen den Mangel bei den Jungen. In der D-Jugend müssen in Bayern die Geschlechter nun wieder strikt getrennt auflaufen, obwohl der DHB Abweichungen zulässt. Bis zur D-Jugend dürfen dafür neuerdings Schulmannschaften am Wettbewerbsbetrieb teilnehmen.

Keine Kommentare