Niko Paech: Wie gelingt ein plünderungsfreies Leben?

22.2.2017, 08:57 Uhr
Niko Paech: Wie gelingt ein plünderungsfreies Leben?

© Foto: Matthias Kronau

Schon eine Viertelstunde vor Beginn ist der Saal der Musikschule proppenvoll. "Wir hatten 70 Voranmeldungen", sagt vhs-Leiter Oliver Kundler. Noch 30 freie Plätze also, und die sind schnell weg. Viele müssen stehen, oder setzen sich auf Pianostühle oder auf den Boden.

Woher kommt dieses Interesse? Der Volkswirt Niko Paech hat sich in den letzten Jahren durch wissenschaftliche Gründlichkeit, vor allem aber kompromisslose Thesen zum Thema Zukunft der Menschheit einen Namen gemacht.

Im Kern: Das ökonomische Wachstumsmodell führt unweigerlich in die ökologische Katastrophe, auf technische Lösungen wie die Energiewende darf man nur unter einer Voraussetzung hoffen: "Erst kommt sparen, dann kommt wieder sparen, und dann können wir vielleicht über die technische Energiewende reden." Eine Energiewende, die bislang nur einen Bruchteil das gesamten fossilen Energieverbrauchs einsparen hilft.

Genug Erzähl- und Gesprächsstoff also, die eine "Postwachstumsökonomie als Basis für ein plünderungsfreies Leben" hergibt. So lautet der Titel des Vortrags.

Irgendwie passt die Überbevölkerung im Saal sehr gut zum Thema. Die Volkshochschule will natürlich niemanden abweisen, also wird es eng. Der Sauerstoffgehalt der Saalluft sinkt im Verlauf der zweieinhalb Stunden. Technische Lösungen wie gekippte Fenster helfen nur wenig.

Was also tun? Solidarisch sein, ab und an den älteren Zuhörern den Platz anbieten, oder weniger atmen, damit es für alle reicht? Das funktioniert bestens am Montagabend, weil die Gesamtbevölkerung im Saal den Wunsch und Willen hat, konzentriert zuzuhören. Und jeder weiß auch, dass am Ende der Veranstaltung die frische Luft am Kirchenplatz lockt.

Ob die Erde mit ihrer Überbevölkerung auch so einen Ausweg findet? Ende der Veranstaltung, wir wechseln den Planeten?

Nein, geht natürlich nicht. "Der Engpass für das weitere Leben ist die Ökologie", konstatiert Niko Paech. Der 56-Jährige, der an der Universität Siegen lehrt, nennt die passenden Zahlen dazu. Statt rund elf Tonnen Kohlendioxid dürfte jeder Mensch nur etwa 2,7 Tonnen verbrauchen, damit das Klima einigermaßen stabil bleibt.

Doch noch genieße der reiche Teil der Welt die Konsumparty, und der arme Teil habe auf alle Fälle den berechtigten Wunsch nach mehr materieller Teilhabe. Wie kann da die Welt bei bald 8,5 Milliarden Menschen in eine sozial-ökologische Balance gebracht werden? Und vor allem: Wer soll das schaffen?

Technische Lösungen haben bislang nicht viel gebracht, wie wäre es mit den Politikern? Da seien viele Heuchler unterwegs, aber: "Da muss man auch fair bleiben, sie spiegeln uns als Gesellschaft nur wider."

Also dann doch der Einzelne, die kleine Gemeinschaft, das Kollektiv, die Bewegung, also die, die einfach anfangen mit Veränderung: "Es fängt immer an mit einem avantgardistischen Zirkel." Also Menschen, die sparsamer und genügsamer leben, die regionale Wirtschaftskreisläufe in Gang setzen, Tauschbörsen organisieren, handwerkliche Fähigkeiten zurückerobern.

Übrigens: Vielleicht hätte man im Saal noch ein paar mehr Stühle organisieren können. Doch Oliver Kundler betont, dass das aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt gewesen sei. Alles bleibt im Rahmen des Legalen, zumindest, was die Zahl der Stühle angeht.

Auch Niko Paechs Konzept basiert darauf, nur das Erlaubte zu tun. Illegalität, gar Revolution oder ökologischer Kampf kommen nicht vor in seiner Handlungsanleitung. Paech will Demokratie, Diskurs und Humanismus nicht preisgeben. Der Ökonom schlägt drei Handlungsschwerpunkte vor. Zum einen müsse die globalisierte Wirtschaft mit ihren langen Wertschöpfungsketten nicht abgeschafft, aber doch halbiert werden. Im Gegenzug sollten regionale Kreisläufe gestärkt werden, und drittens jeder Einzelne genügsamer leben. Dazu gehöre auch, die Arbeitszeit im herkömmlichen Produktions- und Dienstleistungssystem deutlich zu reduzieren. "Nur wer Zeit hat, kann die Dinge auch genießen." So gesehen bedeute Verzicht in den reichen Ländern allemal den Gewinn an Lebensqualität.

Niko Paech, der selbst nur halbtags arbeitet und natürlich mit Bahn und Bus an die Aurach gekommen ist, hat da alle Besucher auf seiner Seite. "Der spricht mir aus der Seele", murmelt ein Gast zum Nachbarn. Allerdings fragt auch ein Zuhörer: "Was soll ich jetzt mit dem SUV machen, den ich gekauft habe?" Nun ja, meint Paech, da man den Kauf nicht rückgängig machen könne: "Fahren Sie wenig damit. Mehr können Sie im Moment nicht tun." Es ist im Prinzip so einfach.

Reicht die Zeit?

Doch sind da auch skeptische Fragen: "Wie lang ist noch Zeit?", will eine Zuhörerin wissen. "Es heißt doch, es ist schon 5 vor 12." Oder soll man sich lieber schon mal auf eine globale Krise (Krieg, Finanzcrash, Kampf um Kultur und Ressourcen) einstellen. Niko Paech lässt das offen.

Ungeklärt bleibt, ob es hinreichend Lebenssinn ergibt, auf dem Sterbebett zufrieden sagen zu können, man habe den 2,7-Tonnen-Durchschnitt an Kohlendioxid geschafft? Fehlt da nicht vielleicht eine dazugehörige Meta-Erzählung des Lebens, wie sie früher die Religion (nicht ganz zwangsfrei) lieferte und heute von Rechtspopulisten oder religiösen Fanatikern neu angeboten wird?

Werden also die ökologischen Akzente vieler sich vernetzender Individuen ausreichen, um als Anschub für den großen Umbau zu dienen? Niko Paech ist in Herzogenaurach so zu verstehen: Vielleicht. Allemal "sollten wir die Chancen nutzen."

Was die Zuhörer am Schluss auf alle Fälle nach draußen auf den Kirchenplatz mitnehmen, ist zumindest dies: "Die einzige Möglichkeit, die Welt zu verändern, ist das gelebte Beispiel." Ein erfrischender Gedanke in frischer Luft.

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