Nur mit Pinzette in den Wald

19.6.2019, 07:00 Uhr
Nur mit Pinzette in den Wald

Der Förster stellte die bei Borreliose symptomatische Wanderröte fest, hinzu kamen ein grippaler Infekt und üble Muskelschmerzen, die Oberschenkel und Waden befielen, so dass der Patient kaum noch stehen konnte. Stefan Stirnweiß begab sich in die Innere Medizin an der Uniklinik in Erlangen. Hier habe man ihn in einem Ausschlussverfahren regelrecht "auf den Kopf" gestellt, bis nur noch Borreliose übrig blieb.

20 Tage lang Infusion

Bei der Hausärztin erhielt der Patient schließlich drei Wochen lang täglich eine Infusion mit einem Antibiotikum. Seit wenigen Tagen erst ist er zurück im Dienst – und gewarnt.

Nur mit Pinzette in den Wald

© Foto: Michael Müller

Zecken gibt es in dieser Saison so viele wie seit zehn Jahren nicht mehr. "Es ist Spekulation", sagt Försterin Heike Grumann, wenn jemand die Trockenheit des vorigen Jahres dafür verantwortlich machen will. Heike Grumann, zuständig für das Forstrevier Erlangen, berichtet, dass man in ihrem Gebiet gerade dabei sei, den überwiegenden Nadelwald umzubauen in einen Mischwald, weil Forstwissenschaftler davon ausgehen, dass der dem Klimawandel besser gewachsen sein könnte.

Von Zecken war auch Heike Grumann in dieser Saison seit März schon "mindestens fünf bis sechs Mal" befallen, während sie in den Jahren vorher "höchstens ein bis zwei Mal während der ganzen warmen Jahreszeit" Zeckenbegegnungen am eigenen Leib hatte. Heike Grumann ist es gelungen, die lästigen Giftsauger rasch wieder loszuwerden: Mittels Zeckenpinzette konnte sie die Parasiten herausdrehen.

Nur mit Pinzette in den Wald

© Foto: Michael Müller

Wenn sich dann keinerlei Symptome zeigen und die Bissstelle nicht gerötet ist, muss der Betroffene vier Wochen lang seinen Körper sehr genau kontrollieren, rät der Hausarzt Ingo Kehrt. Es können sich nämlich auch an anderen Körperstellen Hautveränderungen ergeben. Grippeähnliche Symptome, allgemeine Schwäche und Muskelschmerzen können vom Zeckenbiss verursacht sein, wie Stefan Stirnweiß bestätigen kann.

Der Allgemeinmediziner Ingo Kehrt, selbst passionierter Jäger, der sich häufig im Freien aufhält, hat in seiner Praxis derzeit täglich mit Patienten zu tun, die von der Zecke gebissen worden sind. Als Naturmensch rät der Arzt zu besonderer Vorsicht im hohen Gras, "im kurzen Gras halten sich die Zecken nicht auf".

Feste Regeln gäbe es freilich nicht, man muss sich jeden Abend sorgfältig absuchen. Zum Glück, so der Mediziner, habe er in diesem Jahr noch keinen Fall von FSME-Erkrankungsfällen (Frühsommer-Meningoenzephalitis) diagnostizieren müssen, die müssen nämlich als meldepflichtige Erkrankungen dem Landratsamt mitgeteilt werden.

"Es gilt immer: Die Zecke muss raus", sagt Ingo Kehrt, "ohne Rücksicht auf Verluste." Zeckenentfernung vergleicht der Mediziner mit dem "Hantieren mit dem Akkuschrauber, wenn er abbricht, hat man nur noch ein kosmetisches Problem. Der giftspendende Teil der Zecke, der Magen, ist weg".

Die aktive mittelfränkische Zecke, der "Holzbock", wie Försterin Heike Grumann den Parasiten mit volkstümlichem Namen nennt, entwickelt sich aus der "Nymphe", die aus dem Ei der Mutterzecke schlüpft. Es handelt sich um Spinnentiere, wobei der sechsbeinigen Nymphe im Verlauf ihrer weiteren Entwicklung zwei weitere Beine wachsen. Die Nymphen überfallen erst einmal das Kleingetier: Sie holen sich ihre "Blutmahlzeit" bei Mäusen und Igeln.

Rehe leiden besonders

Heike Grumann stellte hierzulande eine immer stärker werdende Zeckenplage bei Rehen fest. Ob das auch Folgen für Menschen hat, etwa beim Genuss von Wildfleisch, weiß man noch nicht. "Aber auf alle Fälle leiden die Rehe unter der Parasitenplage."

Einen passiven FSME-Befall beim Menschen hat man übrigens kürzlich in der Schweiz diagnostiziert. Durch den Genuss von Ziegen-Rohmilch-Käse! Dabei waren Zecken noch vor einigen Jahren in der Alpenregion nicht anzutreffen, über 700 bis 800 Meter über dem Meeresspiegel kamen sie nicht vor, doch mittlerweile haben sie sich alpinen Gegebenheiten angepasst und treiben bis auf 1500 Meter ihr Unwesen.

Betrüblich ist auch die Nachricht, die aus der Universität Hohenheim kommt. Dort haben Wissenschaftler die Existenz einer exotischen Zecke, Hyalomma marginatum, festgestellt. Das Tier, drei Mal so groß wie der gemeine fränkische Holzbock, hat erstmals den Winter in Deutschland überlebt und wurde in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen gesehen (siehe Interview auf dieser Seite).

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