Seit 25 Jahren schafft Laufer Mühle Perspektiven

8.4.2015, 06:00 Uhr
Seit 25 Jahren schafft Laufer Mühle Perspektiven

© Claudia Freilinger

Keine weißen Kittel mehr, kein passiver Tagesplan. „Unser Gedanke war es, älteren Suchtkranken zu helfen, die immer wieder rückfällig werden, in dem wir sie emotional unterstützen – in einer familiären, ländlichen Umgebung“, sagt Michael Thiem. Als Angestellter der damaligen bundesweiten Suchthilfeeinrichtung Daytop geht er 1990 in die Stationen der Krankenhäuser und spricht mit den Ärzten, erklärt den Ansatz: Hilfe zur Selbsthilfe. „Die Mediziner waren skeptisch, aber pragmatisch“, erzählt der Sozialpädagoge. „Dann nehmt sie halt mit und versucht euer Glück“, sei der Tenor gewesen, sagt Thiem. Auch die Kostenträger hätten sich gefreut, denn ein Platz außerhalb sei wesentlich günstiger als in der Psychiatrie.

Die Daytop-Gesellschaft kauft 1990 die Laufer Mühle von einem Industriellen aus Adelsdorf. Also können Thiem, die Krankenschwester Inge Weber und zwei weitere Mitarbeiter ihre Arbeit aufnehmen. 20 Alkoholkranke ziehen als Bewohner ein. Ihre Aufgabe: Gemeinsam den Tag gestalten. „Wir haben einfach einen kleinen Bauernhof betrieben“, erzählt Thiem, „und konnten zwischenzeitlich 20 bis 30 Prozent unseres Bedarfs als Selbstversorger decken“. Inge Weber erinnert sich an den Bewohner Otto, der immer stolz mit dem alten Bulldog übers Feld gefahren ist. „Er ist richtig aufgeblüht“, erzählt sie. Jetzt war er kein Patient mehr, sondern ein Mensch, dessen Fähigkeiten in der Gemeinschaft gebraucht werden. Bis heute lebt Otto in der Laufer Mühle. Eine Handvoll Bewohner sind schon seit 25 Jahren dort. „Sie brauchen das suchtfreie Umfeld“, sagt Weber.

Anfängliche Vorurteile der Nachbarn in Lauf und Adelsdorf haben sich nicht bestätigt. Die „Säufer“ plünderten nicht das Dorf, stahlen nicht und vergewaltigten nicht. Vielmehr seien inzwischen zahlreiche Freundschaften entstanden.

Natürlich gibt es immer wieder auch Rückfälle. „Wir versuchen uns vor dem Schmerz zu schützen, wenn Bewohner entscheiden zu gehen und wir hören ein paar Wochen später, dass sie verstorben sind“, sagt Thiem. Der „klassische“ Alkoholiker ist in der Laufer Mühle inzwischen „schon fast der Exot“. Die Soziotherapie-Einrichtung hat jetzt 130 Behandlungsplätze, die Bewohner sind zwischen 21 und 80 Jahren alt. Viele sind mehrfach-abhängig, zum Beispiel von Medikamenten. Computerspielsüchtige sind dabei, Essgestörte und viele, die zusätzlich zur Sucht eine psychische Erkrankung mitbringen. Für die meisten ist das Ziel die soziale und berufliche Wiedereingliederung. Ein kleinerer Teil braucht einen dauerhaft geschützten Aufenthalt in suchtfreier Umgebung. Für beide Gruppen gibt es unter anderem Arbeit im Garten, in der Wäscherei, bei den Tieren oder im Handwerk.

Neben dem soziotherapeutischen Unternehmensteil besteht die Laufer Mühle aus der Beschäftigungsgesellschaft, den Sozialen Betrieben, die Plätze bieten für langzeitarbeitslose, psychisch kranke und suchtabhängige Menschen. Insgesamt hat die Mühle 150 angestellte Mitarbeiter und wird seit Jahren national und international immer wieder als „Bester Arbeitgeber“ ausgezeichnet.

Für die Menschen vor Ort allerdings ist es viel wichtiger, dass die Einrichtung sich nach außen immer geöffnet hat. „Wir laden gerne ein“, sagt Thiem. Auch hochkarätige Politiker nahmen und nehmen diese Einladung immer mal wieder gerne an. So kamen als Bundesfamilienministerin Renate Schmidt , als Bundesvorsitzender der Grünen Reinhard Bütikofer und als Innenminister Günter Beckstein.

Aber auch viele Anwohner kommen zu den alljährigen suchtfreien Johannisfeuern oder dem Sommerfest. „Und wir haben viele ehrenamtliche Unterstützer, die uns teils schon seit Jahren helfen“, sagt Thiem. Ohne diese Helfer und das Engagement der Mitarbeiter säßen viele Menschen vielleicht sogar heute noch in der Psychiatrie — abgestempelt als hoffnungsloser Fall.

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