Spielgemeinschaften als Ausweg

9.8.2019, 16:56 Uhr
Spielgemeinschaften als Ausweg

© Foto: Christoph Benesch

Manfred Schmidt, Jugendleiter des ASV Weisendorf, sitzt auf der Terrasse des Vereinsheims. Seit 20 Jahren kümmert er sich um den Nachwuchs des Fußballklubs. "Früher konnten wir Mannschaften noch selbst stellen", sagt er.

Spielgemeinschaften als Ausweg

© Foto: ASV Höchstadt

Er blickt auf das vor ihm gelegene Spielfeld. Dort kicken gerade zwei Mannschaften – ausgerechnet die beiden A-Jugenden des Klubs – gegeneinander. Dass sie überhaupt noch Fußball im Verein spielen können, haben sie dem Konstrukt der Spielgemeinschaft (SG) zu verdanken. Mit fünf weiteren Vereinen, der SpVgg Heßdorf, dem FSV Großenseebach, dem ASV Niederndorf, dem SC Oberreichenbach und dem Hammerbacher SV stellt der ASV Weisendorf bei den A- und B-Junioren jeweils zwei Mannschaften. Ganz einfach, um den Spielbetrieb in diesen Altersklassen am Leben zu erhalten.

Denn so wie der ASV Weisendorf klagen viele andere Vereine in Deutschland, dass immer weniger Kinder im Verein Fußball spielen wollen. Die Folge: Genügend Spieler in einem Jahrgang für eine komplette Mannschaft zusammenzubekommen wird schwieriger – oder gar unmöglich. In Fachkreisen spricht man von einem Drop-out, also Abmeldungen der Spieler vom Vereinsfußball.

Spielgemeinschaften als Ausweg

© Foto: ASV Höchstadt

Das Ergebnis schlägt sich in der Zahl der gemeldeten Mannschaften nieder. Waren es bayernweit 2008 bei den 15- bis 18-Jährigen noch 3866 Mannschaften, die am Spielbetrieb teilnahmen, sind es 2018 nurmehr 2838. Um den Spielbetrieb trotz zu geringer Spieleranzahl aufrechterhalten zu können, schließen sich mehrere Vereine zusammen und gründen eine sogenannte Spielgemeinschaft.

Die wird immer für ein Jahr geschlossen, nutzt vereinsübergreifend Synergien und bietet für viele Nachwuchsabteilungen mehr Flexibilität als vereinsorganisierte Jugendfördergemeinschaften. Durch solche Spielgemeinschaften können Spieler einer Altersklasse aus mehreren Vereinen in einem Team am Wettbewerb teilnehmen. Und das ganz ohne einen Vereinswechsel.

Diesen Schritt ging auch der ASV Weisendorf vor gut zwei Jahren. Spieler fehlten, doch der Fußballklub stand nicht allein da. Es habe auch den Nachbarn schlicht an der Mindestanzahl an Spielern gefehlt, sagt Schmidt. Auf einer Jugendleitersitzung sei man zum Entschluss gekommen, für die Jugend zusammenzustehen und eine SG zu gründen.

Je älter Jugendfußballer werden, desto häufiger treten sie aus dem Fußballverein wieder aus – eine Alterspyramide entsteht. Im Freistaat gibt es zurzeit 38 000 E-Junioren. Bei den A-Junioren spielen nur noch 19 600.

Kinder würden das leicht zu erlernende Fußball zunächst ausprobieren, im höheren Alter sei oft schnell Schluss damit, hat auch Manfred Schmidt beobachtet. Andere Interessen stünden bei einem Großteil der Jugendlichen heute höher im Kurs.

Über den bisherigen Verlauf des Korrektivs Spielgemeinschaft kann Schmidt alles andere als klagen: "Wir sind sehr zufrieden", sagt er und wirkt dabei überzeugt, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Dass es in der Gemeinschaft so gut funktioniere, sei aber nur möglich, weil die SG zwischen den beteiligten Vereinen auch sauber geregelt sei.

Für alle Belange der neu gebildeten Teams gäbe es unabhängig vom Spieleranteil pro Verein für alle gleiches Stimmrecht. Und den gleichen Finanzaufwand. Auch habe man sich in diesem "Ehrenkodex", wie Schmidt ihn nennt, darauf geeignet, das Abwerben von Spielern im ersten Jahr nach der Jugend zu verbieten.

Durch die Spielgemeinschaft konnte der hochklassig spielende ASV Weisendorf auch den anderen fünf Vereinen ermöglichen, in höheren Ligen zu agieren. "Das ist wichtig", erklärt Schmidt, "um für die Herren gut ausgebildete Spieler zu haben und auch dort höherklassig spielen zu können." Und das funktioniert in den Augen von Schmidt gut. "Die SG ist für uns ein Modell, das Zukunft hat."

Dass SGs den Spielermangel kompensieren können, sieht auch Torsten Schlesinger von der Ruhr-Universität Bochum. Er ist Professor für Sportmanagement und Sportökonomie. Außerdem ist er einer der Autoren einer wissenschaftlichen Arbeit, die sich mit dem Drop-out von Spielern im Nachwuchsfußball beschäftigt.

Zunächst sorge dieses Konstrukt dafür, dass Vereine den Spielbetrieb aufrechterhalten können. Doch die SG berge auch potenzielle Gefahren. Durch einen Zusammenschluss regionaler Vereine würde der Spielbezirk größer, nicht nur bei wechselnden Trainingsplätzen gäbe es für Spieler weitere Wege und dadurch mehr Zeit- und Kostenaufwand. Auch fehlende Identifikation mit einem Verein könne zum Problem werden, erklärt der Experte.

Ein Problem also, wenn gar der Lokalfeind von nebenan plötzlich Teil des eigenen Teams ist? Im nördlichen Landkreis Erlangen-Höchstadt gibt es das seit knapp zwei Jahren: Der ASV Höchstadt und der Stadtrivale TSV Höchstadt bilden zusammen mit dem SC Gremsdorf eine Spielgemeinschaft. G-, F 3-, D- und C-Jugend kicken unter gemeinsamer Flagge.

Doch die Rivalität gebe es in diesen Jugendmannschaften eigentlich nicht, erklärt Diana Köppen. Sie ist seit drei Jahren Jugendleiterin des ASV und begeistert vom Zusammenhalt innerhalb der Teams. "Bei unseren Spielern, vor allem den Jüngeren, gibt es nur eine SG", erklärt sie. "Wie der Verein heißt, ist denen egal."

Ein gemeinsamer Spruch, ein Logo mit Vereinsfarben, die bewusst keiner der drei beteiligten Klubs sonst trägt – Identifikation pur. Und der Schritt zu einer Spielgemeinschaft sei notwendig gewesen: Vor allem bei den älteren Jahrgängen hatten die beteiligten Vereine hart zu kämpfen. "Da hätten wir ohne Spielgemeinschaft nichts mehr machen können".

Etwas anderes als der Schulterschluss im Nachwuchs bleibt Vereinen nicht übrig. Vereine müssen sich auch in Zukunft unter die Arme greifen, um gemeinsam dem Nachwuchsschwund Einhalt gebieten zu können. Rivalität hin oder her.

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