Von Aikido bis zum Boxen: Kein Mensch ist unverwundbar

10.7.2016, 17:28 Uhr
Von Aikido bis zum Boxen: Kein Mensch ist unverwundbar

© Edgar Pfrogner

Josef Sträußl weiß das ganz genau. Der 49-Jährige, der eine Baseball-Mütze über seinen grauen Haaren trägt, ist Ausbilder an der Justizvollzugsakademie in Straubing, Er bringt dort unter anderem den Beamten der Sicherungsgruppen, den Männern, die im Gefängnis dann zum Einsatz kommen, wenn es richtig gefährlich wird, Kampfsport bei. 15 Jahre lang war er selbst Leiter der Gruppe. „Es gibt immer einen der stärker, geschickter oder schneller ist“, sagt er: „Den besten Kampfsport gibt es nicht.“

Bei „Out“, dem Kampfsport-Event, das der Ju Jutsu Verein Herzogenaurach auf dem Gelände der Turnerschaft ausrichtet, zeigt Sträußl wie man einen Angreifer mit einem Messer in der Hand entwaffnen kann. Es ist als Vorbereitung für Ju Jutsu-Prüfungen gedacht, wo die Verteidigung gegen Stichwaffen dazugehört, nicht fürs echte Leben. „So etwas ist immer nur die letzte Bastion“, sagt er. Viel wichtiger sei es, Situationen, in denen man angegriffen werden kann, von vornherein zu vermeiden, auf Warnsignale zu achten. „An Silvester in Köln zum Beispiel, als da erst die Raketen in die Leute geschossen wurden – in dem Moment hätte ich mir gedacht, dass hier etwas nicht stimmt und wäre sofort gegangen.“

In seinem Job kann Sträußl nicht gehen, wenn es gefährlich wird. Bis zu 800 Einsätze hatte er in seiner Zeit als Gruppenleiter, zu keinem Zeitpunkt hat er sich daran gewöhnt. „Es ist immer Angst dabei. In dem Moment, in dem es Routine geworden ist, müsste ich aufhören.“ Wettkämpfe hat er nie bestritten: „Mein Wettkampf war immer das Leben.“

Ju Jutsu dient als Basis für die Ausbildung der Justizvollzugsbeamten, nicht zu verwechseln übrigens mit dem japanischen Jiu Jitsu, aus dem es sich allerdings einige Techniken geborgt hat. Ju Jutsu ist noch keine 50 Jahre alt und stammt tatsächlich: aus Deutschland. Es wurde im Auftrag des Innenministeriums entwickelt und vereint Elemente aus Judo, Karate und Aikido. Beamte, die im Gefängnis arbeiten, lernen noch einmal eine besondere Variante der Selbstverteidigungskunst, schließlich müssen sie in der Regel in engen Räumen handeln – manche Wurftechniken etwa funktionieren dort nicht. Ju Jutsu eignet sich auch deshalb so gut dafür, weil der Sport fast alles beinhaltet, was man im Kampf braucht: Man lernt zu werfen, zu schlagen, zu treten, zu fallen, Gegner auszuhebeln.

Ju Jutsu, sagt Carina Neupert, ist so etwas wie der „Zehnkampf des Kampfsports“. Wenn man sich also einen Sport aussuchen möchte, der einen möglichst nahe an die Illusion der Unbesiegbarkeit bringt, ist er vielleicht keine schlechte Wahl. Neupert ist extra für „Out“ aus Staffelstein angereist, die dreifache Weltmeisterin, die im November den Titel in Polen noch einmal gewinnen will, demonstriert in einem Workshop, wie man von Kicks in den Infight, also aus der Distanz in den Nahkampf übergeht.

Inzwischen hat Ju Jutsu allerdings Konkurrenz durch die Mixed Martial Arts (MMA) bekommen. Die Käfigkämpfe, bei denen Box-, Tritt-, Wurf- und Hebeltechniken aus den verschiedensten Sportarten kombiniert werden, sind dank der Ultimate Fighting Championship (UFC) unglaublich populär.

Auch in Deutschland, obwohl sie hier bis 2014 nicht im Fernsehen übertragen werden durften. Ein Verbot, das mittlerweile jedoch aufgehoben wurde.

In seiner Allkampf-Variante ist Ju Jutsu so etwas wie eine sanftere, geregeltere Version von MMA. Der Deutsche Ju Jutsu Verband liebäugele momentan sogar damit, dass sein Sport olympisch werde, sagt Holger Heubeck, Organisator von „Out“. Die Karateka haben das gerade geschafft, in Tokio 2020 können sie um Goldmedaillen kämpfen. Aber die Konkurrenz ist groß, vor allem Brazilian Jiu Jitsu, die südamerikanische Bodenkampf-Variante des japanischen Jiu Jitsu, hat eine einflußreiche Lobby.

Wilder geht es dagegen beim philippinischen Boxen zu, das Andreas Güttner in Herzogenaurach eine Stunde lang unterrichtet. Panantukan oder Suntukan ist Teil von Eskrima, den philippinischen Kampfkünsten. Es kommt von der Straße, feste Regeln gibt es nicht. Im Prinzip ist erlaubt, was weh tut, in philippinischen Hinterhöfen auch Beißen, in den Mund langen, in die Haut krallen und daran reißen. In Deutschland werden diese Mittel aber in der Regel nicht gelehrt.

Hauptsache man selbst ist am Ende der, der noch steht. „Man versucht, schnell und effektiv seinen Gegner auszuschalten. Je schneller und effektiver, desto besser“, sagt Güttner. Es ist eine Art Ganovensport, der sich deshalb aber hervorragend zur Selbstverteidigung eignet. Obwohl: „In den dunklen Straßen von Manila ist keiner richtig gut oder böse“, sagt Güttner. Auf dem Rasen der Turnerschaft sieht es aber ganz geordnet und harmlos aus, wenn die Teilnehmer ihre Geraden üben.

Knapp 100 Menschen sind zu „Out“ gekommen. Die Einnahmen und die Trainergehälter spendet der Ju Jutsu Verein komplett an die Opferhilfe „Weißer Ring“ – und hat sie sogar noch auf 5000 Euro aufgerundet. Auf dem Sportplatz ist auch die Initiative „Nicht mit mir“ des deutschen Ju Jutsu Verbandes zu Gast, es geht darum Kindern zu zeigen, wie sie sich selbst behaupten können. Aber vor allem um Prävention, darum gefährliche Situationen zu vermeiden – und gar nicht erst in die Verlegenheit zu kommen, sich verteidigen zu müssen. Denn jeden Kampf, den man eingeht, kann man auch verlieren.

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