Wie entstand der optimale Handball-Schuh?

9.8.2019, 07:00 Uhr
Wie entstand der optimale Handball-Schuh?

© Foto: Ludvig Thunman/Bildbyran via ZUMA Press/dpa

  Im Folgenden erzählt er, wie die Entwicklung eines Sportschuhs – in diesem Fall für Handballer – bei adidas häufig ablief:

Vorab, als ich im April 1968 von der Dassler-Familie eingestellt wurde, gehörte ich natürlich nicht mehr zur ersten Generation. Dennoch hatte ich noch zehn Jahre lang die Ehre als ein Bindeglied zu den deutschen Sportverbänden, ihren Vereinen und Athleten dem Seniorchef Adi Dassler immer mal wieder zuzuarbeiten.

Es war vom ersten Tag an faszinierend mitzuerleben, wie der "Chef" konsequent die Entwicklung in Sachen funktionsgerechte Sportschuhe von quasi null auf 100 für fast alle Sportdisziplinen voranbrachte.

Was diesbezüglich vor allem in den 60er und 70er Jahren aus Herzogenaurach für die Sporttreibenden weltweit auf den Markt kam, ist der Inbegriff an Pionierarbeit und revolutionierte den Sportschuhsektor.

Ein Beispiel für die Nachhaltigkeit sind aus adidas-Sicht die Klassiker "Stan Smith" (Tennisschuh), benannt nach dem Wimbledon-Gewinner 1972, der Badeschuh "Adilette", 1972 rund um die Olympischen Spiele von München auf den Markt gebracht sowie der "Handball-Spezial", der 1976 seinen damaligen Erfolgsweg bei den meisten Handballer/Innen weltweit startete.

Als ich im Januar die Handball- WM in Deutschland und Dänemark verfolgte, stellte ich fest, dass mein einst 16 Jahre lang geschulter Blick für die getragenen Spielschuhe doch noch funktioniert, denn ich sah sofort, dass sowohl Deutschlands Torwart Andreas Wolff als auch der Torhüter des Weltmeisters Dänemark Niklas Landin diesen Spezialschuh von adidas ebenso wie mindestens vier weitere Akteure trugen.

Am Beispiel dieses Modells möchte ich aufzeigen, wie einst Adi Dassler mit seiner Genialität für die Sportschuhentwicklung in der Regel zu Werke ging:

1975 hatte er ein Handballspiel im Fernsehen gesehen und fragte mich am nächsten Tag, warum die Protagonisten mehrfach auf dem Boden ausrutschten, obwohl sie in den damals aktuellen adidas-Modellen "Olympia" oder dem Nachfolgemodell "Gazelle Blau" unterwegs waren. Ich war unter anderem für die Betreuung der Handballer zuständig und konnte auch noch ausgiebige Selbsterfahrungen einbringen.

Ein Profil-Problem

So machte ich die Sohle und speziell dessen Profil als Ansatz für eine Verbesserung der Probleme aus. Der "Chef" holte seinen engsten Mitarbeiter im Bereich Entwicklung, Franz Schacher, hinzu und beauftragte uns mit einer entsprechenden Neukonstruktion. Er forderte aber, wie zuvor bei allen Neuentwicklungen von Spezialschuhen, einen aktuellen Topakteur zwecks Beratung hinzuzuziehen. Das war sein absolutes Credo in solchen Situationen.

Ich konnte hierfür den späteren bundesdeutschen Weltmeister von 1978 Arno Ehret gewinnen, der mit seiner exzellenten Dynamik für eine umfassende Einschätzung und Bewertung stand.

Schacher empfahl für die Sohle zunächst ein etwas weicheres Gummimaterial zwecks besserer Haftung, dann haben wir im Fersenbereich eine Profilierung verwendet, welche in sich eine gewisse Dämpfung bot.

Unter dem Vorderfuß-Ballen (Verlängerung Großzehe) wurde ein kleiner Kreis in das Profil installiert, welcher einerseits den am meisten strapazierten Sohlenbereich widerstandsfähiger machte, den Nutzern aber gleichzeitig schnelle Drehungen erleichterte.

Eine Rille war der Clou

Der Clou aber war eine kleine durchgängige Rille am äußersten Rand der Schalensohle, denn die Erfahrung hatte mir gezeigt, dass die Handballer gerade im Grenzbereich des Bodenkontaktes meist auf den Sohlenrändern wegrutschten.

Hier nun legt sich der äußerste Rand kurzzeitig wie ein winziger "Bremsklotz" zwischen den Boden und den Sohlenabschluss. Drei weitere "Saugnäpfe" in der Sohle verteilt trugen zusätzlich zu Standfestigkeit bei.

Als wir dann noch den Mittelfuß mit ein im Schaft unter den drei Streifen verdecktes Textilband zusätzlich stabilisiert hatten, konnten wir das Modell zum Einsatz bringen, und schon bald wurde der "Handball- Spezial" der meist getragene Handballschuh, nicht zuletzt auch weil das deutsche Weltmeisterteam von 1978 mit Heiner Brand und Joachim Deckarm der denkbar glaubwürdigste "Multiplikator" wurde und ihr Team dieses Modell ebenso komplett trug wie ihr Endspielgegner UdSSR.

Die Sohle selbst fand später auch bei anderen adidas-Modellen Verwendung, so beim damaligen "Samba", dem ersten Spezialschuh für den Hallenfußball beziehungsweise für den Kunstrasen. Dass dieses erste Handballmodell leicht modifiziert noch heute verwendet wird, lässt erkennen, wie Adi Dassler und sein Team quasi mit "Handarbeit" schon vor vielen Jahrzehnten technische "Trendsetter" waren.

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