Frust ist groß

Impf-Ansturm in Bayern: Regierung gesteht Probleme ein - Warum weiter Schlangen drohen

28.11.2021, 15:02 Uhr
Das Zentrum in Nürnberg in der Großreuther Straße bietet vormittags Impfungen ohne Termin an. Schon in den frühen Morgenstunden warten Interessierte - und müssen immer wieder abgewiesen werdenn. 

© Stefan Hippel Das Zentrum in Nürnberg in der Großreuther Straße bietet vormittags Impfungen ohne Termin an. Schon in den frühen Morgenstunden warten Interessierte - und müssen immer wieder abgewiesen werdenn. 

Waren es die Warnungen vor Intensivstationen, die kurz vor dem Kollaps stehen? Der Lockdown für Ungeimpfte? Die Booster-Empfehlung der Ständigen Impfkommission? So richtig kann sich das wohl auch die Staatsregierung nicht erklären. Darauf gehofft haben Bayerns Spitzenpolitiker aber sicherlich. Auf einen "Impfruck", wie es etwa Ministerpräsident Markus Söder formulierte, auf eine neue Euphorie, den Wunsch, Schutz gegen das Coronavirus zu erhalten. Wirklich vorbereitet ist Bayern aber nicht.

Fast so viele Spritzen wie zur Hochzeit der Impfkampagne

Seit einigen Wochen erlebt der Freistaat ein kleines Impfwunder. Es werden wieder fast so viele Spritzen gesetzt, wie zur Hochzeit der Kampagne. In den ersten drei Novemberwochen hat sich die Anzahl der verabreichten Dosen mehr als verdoppelt, beim Booster sogar vervierfacht. Trotzdem drehen vor den Impfzentren viele Interessierte genervt ab. Termine sind teils über Wochen ausgebucht, in Nürnberg warten bereits am frühen Morgen Dutzende auf eine Spontanimpfung - und müssen vertröstet werden. Bei den Hausärzten sieht es oft nicht besser aus.

Jetzt gesteht die Staatsregierung Probleme ein. "Nach unseren Informationen ist die Nachfrage nach Impfungen örtlich so schnell und so erheblich gestiegen, dass trotz des Vorhaltens von Reservekapazitäten die Kapazitätserhöhung mancherorts nicht so schnell geschehen kann, wie es erforderlich wäre, um allen Impfwilligen sofort ein Impfangebot machen zu können", sagt eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums auf Nachfrage unserer Redaktion. Konkret heißt das: Nicht jeder, der will, bekommt auch sofort eine Dose.

Personal ist zurück in alten Jobs

Das hat mehrere Gründe. Verwaltungen kämpfen damit, die vor Monaten heruntergefahrenen Impfzentren wieder zu reaktivieren. Nürnberg etwa baut seine Kapazitäten massiv aus, stößt aber immer wieder an Grenzen. "Das Personal ist ein großes Thema", sagt Stadtsprecher Markus Hack. Die Mitarbeiter, die in den Zentren aushalfen, sind wieder in ihren alten Jobs. Sie kamen aus der Gastronomie, der Hotellerie, aus dem Einzelhandel. Jobs, die während der Lockdowns wegbrachen, jetzt aber wieder verfügbar sind. Sie jetzt noch einmal vom Dienst an der Spritze zu überzeugen, ist schwierig.

Auch das Gesundheitsministerium bestätigt das. "Der Aufbau weiterer Impfkapazitäten wird bisweilen auch dadurch erschwert, dass nicht genügend Fachpersonal auf dem Arbeitsmarkt verfügbar ist", erklärt die Ministeriumssprecherin. Mancherorts unterstützt mittlerweile das Technische Hilfswerk die Mitarbeiter, das aber ist oft nur ein Tropfen auf den heißen Stein. "Die Impfzentren wurden aufgerufen, sämtliche Kräfte vor Ort zu bündeln." Kommunen, so das Ministerium, dürfen Außenstelle und mobile Impfteams zusammenstellen. Der Freistaat übernimmt dafür die Kosten, nur: Wo kein Personal vorhanden ist, hilft auch Geld nicht.

Bald mehr Termine frei?

Auch Nürnberg erlebt den Impfansturm. Tatsächlich mehr Spritzen gesetzt werden aber nicht. "Das bewegt sich seit Anfang Oktober zwischen 3000 und 3300 Impfungen pro Woche", sagt Stadtsprecher Hack. Bis die Erhöhung der Kapazitäten umgesetzt werden kann, dauert es. Auch das Gesundheitsministerium gesteht ein, dass es derzeit mehr Impfwillige als Angebote gibt. "Sobald noch weitere Kapazitäten vor Ort geschaffen werden konnten, sollten noch mehr Impftermine verfügbar sein."

Inzwischen wird aber auch der Impfstoff selbst knapp. Am Freitag schlugen mehrere Landkreise in Franken Alarm. "Wir hatten die maximale Menge an Impfstoff bestellt, sollen jedoch nur gut die Hälfte bekommen, bei Biontech sogar nur 44 Prozent der bestellten Menge", sagt etwa Felix Wallström vom Bayerischen Roten Kreuz, das ein Impfzentrum in Unterfranken betreibt. Deshalb werden jetzt deutlich weniger Termine angeboten. "Das kann man niemanden erklären", sagt die Kitzinger Landrätin Tamara Bischof, "und ich verstehe, wenn die Bürger sauer sind."

Auch das Bayerische Rote Kreuz berichtet von Problemen. "Für uns als 'Impfende' ist es absolut unbefriedigend, wenn Menschen abgewiesen werden müssen, weil wir schon wieder eine Knappheit haben", sagt Sprecher Sohrab Taheri-Sohi. Die Verunsicherung bei den Menschen sei kontraproduktiv, viele hätten lange mit der Impfentscheidung gehadert. "Diese Menschen schicken wir jetzt wieder nach Hause, weil der Kühlschrank leer ist." Teilweise habe es bereits verbale Ausschreitungen und tätliche Angriffe auf das Personal in den Zentren gegeben. "Es ist unerklärlich, warum nicht alles daran gesetzt wird, die Impfstofflieferungen auf die Straße zu bringen."

"Genug Impfstoff zur Verfügung" - doch es gibt Probleme

Die Staatsregierung bestätigt die Engpässe - sieht die Verantwortung dafür aber in Berlin. "Wir brauchen ein Ende jedweder Kontingentierung", sagte Gesundheitsminister Klaus Holetschek. Erst kürzlich ließ Jens Spahn die Lieferungen des Vakzins von Biontech an die Länder deckeln - weil andere Dosen drohen zu verfallen.

Genau das hat die Probleme wohl produziert. "Wir haben in Deutschland und in Bayern, das hat uns der Bund fest zugesagt, grundsätzlich genug Impfstoff zur Verfügung", sagt Holetschek. Bis Jahresende stehen etwa 50 Millionen Dosen für Erst-, Zweit- und Auffrischungsimpfungen zur Verfügung.

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