Kohnen stellt klar: So geht die SPD in die Landtagswahl

18.6.2018, 05:57 Uhr
Bayerns SPD-Parteichefin setzt Wahlkampf auf die Themen Wohnen, Familie und Arbeit.

© Armin Weigel/dpa Bayerns SPD-Parteichefin setzt Wahlkampf auf die Themen Wohnen, Familie und Arbeit.

Wie fühlt es sich für die SPD an, engagiert Wahlkampf zu betreiben, aber es niemand so richtig wahrnimmt?

Natascha Kohnen: Ich bin viel im Land unterwegs und wir haben als zentrales Veranstaltungsformat eine Bühne gewählt, die nennt sich "Kohnen Plus". Da unterhalte ich mich etwa eine Dreiviertelstunde mit einer interessanten Person. Das war hier in Nürnberg Renate Schmidt, das war aber auch schon mal ein Kreisbrandmeister von der CSU, und nächste Woche treffe ich mich zum Beispiel mit Urban Priol. Und dann spreche ich sofort mit dem Publikum. Da darf alles gefragt werden, egal ob privat oder politisch. Damit kommen wir intensiv mit den Menschen ins Gespräch, und ich bin sehr nah an den Herausforderungen in einzelnen Regionen. Da ist der Wahlkampf schon spürbar, sehr spürbar sogar.

Sie werden jetzt in Weiden ein Programm verabschieden. Ist ein solches Papier noch zeitgemäß, um Wähler anzusprechen?

Kohnen: Davon bin ich überzeugt. Mir ist es wichtig, vor allem auf soziale Themen zu setzen, die den Menschen auf den Nägeln brennen. Egal, wo sie in Bayern derzeit hinkommen, das meist angesprochene Thema ist Wohnen. Kann ich mir mein Dach über dem Kopf noch leisten? Auch Integration, Asyl und Flucht kommen zur Sprache, aber deutlich weniger. Ich will vermeiden, dass wir, wie bei der Bundestagswahl 2017, permanent über diese Themen reden. Davon profitiert nur eine Partei, die sich auch jetzt hier in Bayern zur Wahl stellt. Ich will eine sachliche Debatte über Migration. Wir haben einen handlungsfähigen starken Rechtsstaat. Diesen müssen wir auch zukünftig den Menschen garantieren.

Auch deshalb steht die SPD für einen starken Rechtsstaat. Und wir brauchen eine Debatte, die die Menschen zueinander führt und nicht gegeneinander ausspielt. Deswegen setze ich Themen, welche die Menschen im Alltag beschäftigen. Und ich bin mir sicher, die werden in den nächsten vier Monaten mehr Aufmerksamkeit bekommen. Das ist notwendig, wenn wir es hinkriegen wollen, dass unsere Gesellschaft zusammenhält.

Mit zwei Quadratmeter großen "Wohnkäfigen" hat die evangelische Diakonie in Düsseldorf gegen die Wohnungsnot protestiert, die viele Menschen vor allem in Großstädten plagt. Das gilt auch für Bayern. Hier werfen die Sozialdemokraten der CSU schweres Versagen vor. Sie habe nicht den Ansatz einer Idee vom Wohnungsbau.

Mit zwei Quadratmeter großen "Wohnkäfigen" hat die evangelische Diakonie in Düsseldorf gegen die Wohnungsnot protestiert, die viele Menschen vor allem in Großstädten plagt. Das gilt auch für Bayern. Hier werfen die Sozialdemokraten der CSU schweres Versagen vor. Sie habe nicht den Ansatz einer Idee vom Wohnungsbau. © Foto: Hans-Jürgen Bauer/epd

Und da braucht es einen Programmparteitag?

Kohnen: Die SPD muss ihr Programm diskutieren, muss zu Entscheidungen kommen. Das macht Parteien aus und ist dringend nötig für die Demokratie.

Sie liegen mit der Partei, die Sie nicht nennen wollten, nämlich die AfD, in den Umfragen etwa gleichauf. Tut das nicht weh? Wie wollen Sie das ändern?

Kohnen: Genau dadurch, dass wir über das reden, was die Menschen bewegt, wo ich ihnen Sorgen und Ängste nehmen kann, die sie im Alltag haben. Und da sind wir bei sozialen Fragen.

"Wir müssen in das Bildungssystem investieren"

Dieser Wunsch ist verständlich, aber die SPD kommt doch in den Umfragen damit nicht voran.

Kohnen: Sind Sie sich da sicher? Da kann sich noch viel ändern. Es geht dabei auch darum, worüber berichtet wird. Ich war kürzlich zu einer Talkshow im Fernsehen eingeladen. Schauen Sie sich mal an, wie oft es in den vergangenen zwei Jahren um die Themen Asyl oder Islam ging und wie oft soziale Themen angesprochen wurden. Das steht in keinem vernünftigen Verhältnis.

Das kann man bedauern, aber es ist in der Öffentlichkeit nun mal so.

Kohnen: Ich bin da nicht so gottergeben. Sie können davon ausgehen, dass ich in den nächsten vier Monaten knallharten Wahlkampf mache. Ich spreche dabei auch über Asyl, Migration und Integration. Wir müssen in das Bildungssystem investieren, insbesondere an den Berufsschulen, wir brauchen Sozialpädagogen an den Schulen, damit Integration gelingt, wir müssen anerkannte Asylbewerber in Arbeit bringen. Da brauchen wir keine hysterische Debatte, sondern eine sehr klare Sicht. Aber wir müssen nicht ständig über "den Islam" diskutieren. Die Politik hat sich aus Religionsdebatten tunlichst rauszuhalten. Über all dem darf man andere Politikfelder wie eben Wohnen, Arbeit oder Familie keinesfalls vernachlässigen.

In Berlin steht des Thema Asyl ganz oben auf der Tagesordnung. Was sagt die bayerische SPD dazu?

Kohnen: Zu den Forderungen von Bundesinnenminister Horst Seehofer liegt uns kein Plan vor. Wir haben in Berlin aber einen Koalitionsvertrag. Darin sind Flucht und Migration klar geregelt. Daran halten wir uns. Ich fordere die Union auf, ihren internen Machtkampf zu beenden und zur Regierungsverantwortung zurückzukehren. Klar ist und bleibt: Wir werden es nicht zulassen, dass die CSU die Europäische Union aufs Spiel setzt, nur um vermeintliche schnelle Wählerstimmen zu holen für die Landtagswahl in Bayern. Das nenne ich verantwortungslos. Die SPD steht klar zu Europa und beweist sich als Stabilitätsfaktor in Deutschland.

Im nächsten Landtag sind vielleicht fünf oder sechs Parteien vertreten. Muss sich die SPD in ihrer gegenwärtigen Lage nicht strategische Partner unter den Parteien suchen?

Kohnen: Im Moment haben sich so ziemlich alle Parteien der CSU mit einer möglichen Koalition angedient. Wir müssen es hinbekommen, dass wir nicht immer über Farbenspiele oder Personenkonstellationen reden, sondern über die thematischen Inhalte. Ich komme aus der Kommunalpolitik, da ist das übrigens guter Brauch und Pflicht. Das tut auch der Nürnberger OB Ulrich Maly. Der spricht über Dinge, die diese Stadt braucht. Ich will darüber reden, was dieses Land braucht. Und das sind auf keinen Fall irgendwelche Koalitionsspielchen. Erst entscheidet der Wähler, welche Partei gute Lösungsvorschläge für seine Probleme hat. Das will ich erreichen.

Sie wollen doch auch nicht, dass die SPD bei zwölf Prozent hängenbleibt.

Kohnen: Ich will, dass die SPD am Ende mit einem starken Ergebnis dasteht. Dafür haben wir gute Kandidaten, wir haben ein knackiges Programm und wir haben noch vier Monate Zeit. Ab heute heißt es: laufen, laufen, laufen und reden, reden, reden.

Wohnungsbau und Umweltschutz

War es nicht klug von den Grünen oder den Freien Wählern, mit Volksbegehren etwa zur Straßenausbaubeitragssatzung (Strabs) oder zum Flächenfraß nach vorne zu gehen?

Kohnen: Bei diesen beiden Themen wurde sehr populistisch vorgegangen. Solange eine Abschaffung der Strabs nicht zulasten der Kommunen geht, machen wir da mit. Überhaupt kein Problem.

Beim Flächenverbrauch dürfen sie auf keinen Fall in die kommunale Selbstverwaltung hineingehen. Die Kommunen müssen schon Gestaltungsmöglichkeiten haben. Warum? Weil wir bezahlbaren Wohnraum brauchen und dafür ist Bauland nötig. Man darf nicht Wohnungsbau und Umweltschutz gegeneinander ausspielen, nur weil man denkt, das passt gerade politisch so gut.

Was stimmt Sie so zuversichtlich, dass Sie das Blatt bis Oktober noch wenden? Was haben Sie, was Ihre Vorgänger als SPD-Spitzenkandidaten nicht hatten?

Kohnen: Ich sitze seit zehn Jahren im Landtag. Die SPD hat lange Zeit einen unheimlich großen Bauchladen mit den unterschiedlichsten Themen vor sich hergetragen. Viele Menschen haben da nicht ganz zu Unrecht gefragt: Wofür steht ihr denn zuallererst? Deshalb haben wir in der SPD viel Zeit und Arbeit investiert, um herauszufinden, was die Erwartung in der Bevölkerung an die SPD ist und welche Kompetenzen man uns zuschreibt. Da kamen über die Jahre hinweg immer wieder drei Themen: Bezahlbares Wohnen, Entlastungen für Familien etwa mit der kostenfreien Kita und der Umgang mit Veränderungen in der Arbeitswelt. Hier müssen wir die Beschäftigten über Weiterbildungsmöglichkeiten fit machen. Bayern ist das vorletzte Land, das noch kein entsprechendes Gesetz hat. Es gibt hier kein Recht auf Weiterbildung. Da wird der SPD zukunftsfähige Politik zugetraut. Auf diesen Dreiklang haben wir deshalb unseren Wahlkampf zugespitzt.

Was gegen Wohnungsnot?

Ihr politischer Hauptkonkurrent, die CSU, wird da müde lächeln, weil sie sagt: Das haben wir alles im Griff. Da sind wir unschlagbar.

Kohnen: Da sage ich Nein, Nein, Nein. Ministerpräsident Markus Söder trägt da einen ganz schweren Rucksack mit sich herum. Das sind die GBW Wohnungen. Das war der Sündenfall, die zu verkaufen und den Kräften des Marktes zu überlassen. Die Zeche zahlen die Mieter.

Wir haben schon damals gesagt, da muss ein staatliches Unternehmen her. Wissen Sie, wie viele Wohnungen er jetzt pro Kommune in Bayern bauen will? Im Durchschnitt ist das nicht mal eine. Das nenne ich ziemlich grotesk.

In den Umfragen wirkt sich das noch nicht günstig für die SPD aus.

Kohnen: Die Umfragen wurden zu einem Zeitpunkt gemacht, als die Bundes-SPD in einer wirklich schwierigen Phase steckte. Wir in Bayern werden ja als ein Teil der gesamten SPD wahrgenommen. Wir sind durch ein tiefes Tal gegangen und sind da auch noch nicht ganz raus. So was schlägt sich in Umfragen nieder. Mein Blick geht entschlossen nach vorne.

Wohnen, Arbeit, Familie. Gut und schön. Worüber haben Sie den all die Jahre gesprochen?

Kohnen: Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn an Schulbüchern mitgearbeitet. Da gibt es eine wichtige Richtschnur: Sie müssen etwas so oft wiederholen, bis Sie das Gefühl haben, es ist beim anderen angekommen. Das heißt für die Politik, man muss die Themen tagtäglich ansprechen. Die Landesentwicklung ist in den vergangenen Jahren schiefgelaufen. Die ländlichen Regionen wurden nicht genügend ausgestattet mit Infrastruktur, Schulen mussten schließen, Kultureinrichtungen werden zum Teil nicht mehr ausreichend finanziert, viele Kommunen gehen finanziell am Krückstock. Und die Landflucht geht zulasten der Städte.

Was wollen Sie dagegen tun?

Kohnen: Es geht zum Beispiel um eine Schulstandortgarantie in ländlichen Räumen, um einen Einstieg in den kostenfreien öffentlichen Personennahverkehr und um Hilfe für die Städte, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dazu brauchen wir eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft. Es ist absolut machbar, pro Jahr 5000 bezahlbare Wohnungen zu bauen. Wir können als Freistaat die Landkreise befähigen, Wohnungen zu bauen. Dazu wäre es doch super, wenn der Freistaat endlich wüsste, welche staatlichen Flächen ihm zur Verfügung stehen, die man bebauen kann.

Wie, das weiß man noch nicht?

Kohnen: Die CSU hat noch nicht einmal eine Ahnung, wie viele Flächen das sind. Es gibt kein aussagekräftiges Kataster dazu. Das wurde noch nie erhoben. Das ist völlig verrückt. Unter diesen Umständen kann mir niemand sagen, dass die Staatsregierung auch nur den Ansatz einer Idee vom Wohnungsbau hat, oder in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hatte. Mit der preiswerten Abgabe staatlicher Grundstücke könnte man die Kommunen oder Wohnungsbaugenossenschaften unterstützen. Da gibt es einen ganzen Reigen von politischen Möglichkeiten. Den werden wir heute in Weiden auch beschließen.

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