Kommentar: Ramelows Vorstoß ist lehrreich

25.5.2020, 16:43 Uhr
In Thüringen gäbe es keine One-Man-Show kommentiert Chefredakteur Michael Husarek.

© Martin Schutt, dpa In Thüringen gäbe es keine One-Man-Show kommentiert Chefredakteur Michael Husarek.

Bodo Ramelow zum schlechtest denkbaren Regierungschef abzustempeln, hat Tradition. Schließlich gehört der Mann den Linken an. Ramelow als unverantwortlichen Politiker darzustellen ist dagegen gewagt. Denn in Thüringen endet weder die Maskenpflicht noch soll dort in die distanzlose Prä-Corona-Zeit zurückgekehrt werden. Bei dem aus Sicht führender Polit-Epidemiologen Unfassbaren, handelt es sich schlicht um einen Vorschlag, den Ramelow seinem Kabinett machen will.

Thüringen, das ist wichtig zu verstehen, wird nicht von einer One-Man-Show regiert, sondern von einer Koalition. Ab 6. Juni, so Ramelow, könne auf "allgemeine Schutzvorschriften" verzichtet werden. Es darf davon ausgegangen werden, dass weder Grüne noch CDU dazu "Ja" sagen werden.

Lehrreich ist Ramelows Vorstoß dennoch: So viel Selbstverantwortung wie in Erfurt trauen die Regierenden in München und Berlin ihrem Volk offenbar nicht zu. Und, fast noch bemerkenswerter, Ramelow schaut seinen Wählern aufs Maul: Er macht eine Mehrheit aus, die genug hat von all den Einschränkungen.

Dass er sich dafür von populistischer Neigungen nicht ganz unverdächtigen Kollegen schelten lassen muss, überrascht. Oder war es weniger populistisch den — natürlich nicht umsetzbaren — Vorschlag für Reisegutscheine im eigenen Land zu äußern? Warum sollte ein mit Urlaubern übervolles Bayern im Sommer mehr Schutz von Ausbrüchen bieten als ein Trip nach Thüringen?

Höchste Zeit für ein Umdenken

Tatsächlich war der Lockdown richtig, mittlerweile ist es aber höchste Zeit für ein Umdenken. Das Tempo dabei darf genauso unterschiedlich sein wie beim Herunterfahren. Das Delegieren von Verantwortung in die Regionen kann sich dabei sogar Blaupause für eine Zukunft erweisen, die noch sehr lange von der Pandemie geprägt sein dürfte.
Wer Ramelows Idee verteufelt, ohne darüber nachzudenken, kann genauso gut all diejenigen verurteilen, die noch heuer einen Impfstoff in Aussicht stellen. Niemand, das ist die Wahrheit, kennt den "richtigen" Weg aus der Krise. Und vieles von dem, was wir jetzt praktizieren, kann sich in der Post-Corona-Phase als falsch herausstellen.

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