Familie ausgelöscht

Mittelfranke verlor seine Liebsten bei Zug-Unglück von Eschede - und ist nicht daran zerbrochen

Hans Böller

Redakteur der Nürnberger Nachrichten

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5.6.2023, 06:00 Uhr
Erwin Weidmann - Bildender Künstler aus Schwabach-Wolkersdorf

© Hans Böller, NN Erwin Weidmann - Bildender Künstler aus Schwabach-Wolkersdorf

Ein gebrochener Radreifen hatte die Tragödie ausgelöst, die Erwin Weidmann - wie so viele andere Betroffene auch - um seine Liebsten brachte. Seit 15 Jahren war er nicht mehr an dem Ort, der sein Leben für immer verändern sollte. Doch zum Gedenktag reist der heute 63-Jährige ins niedersächsischen Eschede an. Über seinen Verlust hat er unmittelbar nach der Tragödie berührende Gedichte verfasst - Titel: "ÜberLebensGedichte", die er heute nicht mehr ansehen will. Gedichte über jenen Tag, der - wie er sagt - "jetzt um so viele Kapitel zurückliegt".

Die Namen der Opfer sind an der Gedenkstätte auf Betonstelen nachzulesen, wo sich Hinterbliebene, Überlebende, Helfer und Anwohner 25 Jahre nach der größten Tragödie der gesamtdeutschen Bahngeschichte versammeln. Erinnerungen kommen hoch an jenen verhängnisvollen 3. Juni 1998: Um 10.59 Uhr rast der ICE 884 "Wilhelm Conrad Röntgen" mit 200 Kilometern pro Stunde gegen eine Betonbrücke bei Eschede. Der Ort erlangt daraufhin traurige Berühmtheit, ob des immensen Trümmerfeldes, der vielen Opfer und der unsichtbaren Narben, die das Unglück hinterlassen hat - bis heute.

Strafverfahren gegen Bahn und Radreifenhersteller wurden nach langem juristischen Tauziehen 2003 eingestellt, 30.000 D-Mark pro Todesopfer als Entschädigung an die Hinterbliebenen gezahlt. "Und wenn ich eine Million bekommen hätte, was hätte es geändert?", sagt Weidmann. Und doch hat er geschafft, was sich unsereins kaum vorstellen kann - weiterzumachen nach diesem Schicksalsschlag. Wie sein Leben heute aussieht, warum er sich trotzdem nicht als "Vorbild" fühlt und wie Kunst sein Leben gerettet hat, erfahren Sie im Hintergrundartikel bei NN.de.