„Die Fixierung im Krankenbett ist verbannt“

3.12.2015, 05:55 Uhr
„Die Fixierung im Krankenbett ist verbannt“

Vertreter des Amtsgerichts, Betreuer, Vertreter von Pflegeeinrichtungen und behördlicher Betreuungsstellen zogen gestern im Landratsamt Bilanz eines Modellversuchs: Seit zweieinhalb Jahren gehen diese Akteure gemeinsam den „Werdenfelser Weg“. Heime, das Gericht und speziell geschulte Verfahrensbetreuer setzen alles daran, „freiheitsentziehende“ Maßnahmen so weit wie möglich zu verringern.

Nach Angaben des Betreuungsrichters Dr. Gerrit Stadler ist dies gelungen: Die Zahl der Genehmigungsbeschlüsse des Amtsgerichts ist von 279 im Jahr 2012 auf 215 und 218 in den beiden Folgejahren zurückgegangen. Im laufenden Jahr stieg die Zahl allerdings wieder auf etwa 250 an. Die Fixierungsquote liege im Landkreis Neumarkt mit sieben bis acht Prozent der Heimwohner deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt von 12,5 Prozent.

Verpönter „Zimmerverschluss“

„Die Fixierung im Bett ist verbannt“, stellte Betreuungsrichter Stadler fest. Auch andere körpernahe, mechanische Maßnahmen zum Ruhigstellen von Patienten seien „auf Null reduziert“, versicherte der Amtsgerichtsdirektor Dr. Harald Müller. Verbreitete Fixierungsmethoden, wie sie bisher eingesetzt wurden: Bettgitter, ein Gurt am Stuhl, eine Sitzhose, Tisch am Stuhl, der „Zimmerverschluss“ oder das Fixieren von Armen oder Beinen.

Alternativen zu den auch rechtlich problematischen Zwangsmaßnahmen sind beispielsweise Niederflurbetten, geteilte Bettgitter, Sturzmatten idealerweise mit Alarm-Sensoren oder GPS-Systeme mit Alarmfunktionen, die den Patienten viel Bewegungsspielraum ermöglichen.

Fazit von Betreuungsrichter Stadler: Alle Beteiligten wollen mit weniger Fixierungen auskommen und stellen weniger Anträge. Ein Verfahrenspfleger mahnte allerdings an, dass viele der freiheitsentziehenden Maßnahmen verzichtbar wären, wenn die Heime besser ausgestattet wären. Amtsgerichtschef Müller erklärte, Pflegealternativen seien nur dann umsetzbar, wenn die Einrichtungen bereit seien, in eine neue Ausstattung wie Niederflurbetten zu investieren.

Praktiker in Pflegeeinrichtungen berichteten bei der Veranstaltung, dass es nicht selten die Angehörigen seien, die ein Mehr an freiheitsbeschränkenden Maßnahmen bei den zu pflegenden Patienten forderten — bis hin zur sehr freizügigen Gabe von Beruhigungsmedikamenten, die ja auch ein selbstbestimmtes Handeln der Menschen blockieren können.

Zuvor hatte Gertrud Heßlinger von der Betreuungsstelle des Landratsamtes genau dieses „Tabuthema“ der „medikamentösen Fixierung“ angesprochen. Sie brachte von einer Fachtagung die Information mit, dass nach Expertenangaben die meisten Psychiatrie-Patienten gleichzeitig mehrere Medikamente bekommen und häufig auch noch selbst unkontrolliert Arzneimittel einnehmen. Patienten über 65 erhalten im Durchschnitt fünf, in vielen Fällen bis zu zehn verschiedene Medikamente verabreicht. Im Extremfall sei dies mit starken Wechselwirkungen der Arzneimittel verbunden.

Mehrere Vertreter von Pflegeeinrichtungen bestätigten eine „große Dunkelziffer“: Weil es für mechanische Fixierungen inzwischen weniger Akzeptanz und höhere Hürden gebe, neigen angeblich Pflegende dazu, mehr Medikamente einzusetzen. Ein solcher Einsatz von Pharmazeutika wäre aber „völlig kontraindiziert“, lautete der Befund von Amtsgerichtsdirektor Müller. Er erkannte hier eine „gewisse Grauzone“. Die Justiz könne ja nicht jede Beruhigungsmittelgabe einer richterlichen Entscheidung unterziehen.

Die Anstrengungen stehen nach Einschätzung des Vize-Landrates Helmut Himmler im Spannungsfeld der Grundrechtsgarantie von Menschenwürde und Freiheit des Einzelnen. Ein würdevolles Leben und Ableben sei letztlich auch für die regionale und lokale Politik ein ständiges und leider vernachlässigtes „Megathema“.

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