Eiskalte WM-Taufe im Brunnen vorm Rathaus

13.7.2014, 06:00 Uhr
Eiskalte WM-Taufe im Brunnen vorm Rathaus

© Etzold

Ich war der erste. Der erste, der damals im Brunnen bei der Eisdiele am Oberen Markt gelandet ist. Nach mir kamen noch viele, nach einer Stunde war der Brunnen so gut wie leer; das Wasser aufgesogen von den Klamotten der klatschnassen, aber noch immer siegestrunkenen Fans.

„Public viewing“ in der heutigen Form war vor 24 Jahren noch unbekannt. Die meisten sahen die Spiele der deutschen Nationalmannschaft zuhause, oft zusammen mit Familie und Freunden, allenfalls in der Wirtschaft. Bei mehr als zehn Leuten wurde es schwierig, Breitbild war damals noch recht kostspielig.

Eiskalte WM-Taufe im Brunnen vorm Rathaus

© privat

Ich schaute das WM-Finale gegen Argentinien im Haus von ASV-Veteran Georg „Bubi“ Laube, im Zimmer seines Sohnes. Der französische Austauschschüler, den wir zu dieser Zeit beherbergten, musste wohl oder übel mit. Auch danach zur Sause vorm Rathaus. Kein Pardon. Ludovic schaute dem seltsamen Treiben entgeistert zu.

Mindestens 1000 Neumarkter feierten ausgelassen den Triumph am Oberen Markt. Die Polizei hielt sich dezent zurück, scheuchte gelegentlich einen betrunkenen Jubler vom Gerüst, das das neu zu streichende Rathaus umgab.

Bad im Brunnen

Der Zeitungsbericht der NN über den nationalen Taumel suggeriert, dass die Fans freiwillig ein Bad im Brunnen vorm Rathaus genommen hätten. Das stimmte so nicht. Es war eher eine Zwangstaufe. Nur wer bereits hineingeworfen wurde und eh schon nass war, watete weiter in der Brühe, in der zunehmend Scherben zerdepperter Bierflaschen lauerten.

Freiwillig wollte da keiner rein, denn jener Juliabend war ungewöhnlich kühl. So fror auch ich ganz schön nach dem Stoß ins Nass. Die Folge war, dass sich die grölende Menge ängstlich vom Brunnen wegdrückte. Alle drei Minuten hörte man laute „Nein, nein“-Schreie ,und eine Gruppe von vier, fünf Burschen trugen einen wild Strampelnden zum Bade Verurteilten zum Becken.

Wasser spielte schon 1974 beim deutschen WM-Sieg „dahoam“ eine Rolle. Das Finale gegen Holland war ein Straßenfeger, die NN fotografierten damals verwaiste Verkehrsknotenpunkte. Von größeren Feiern im öffentlichen Raum hingegen wussten die Zeitungen nichts. Nur in Lauterhofen kam es zu einem mittleren Menschenauflauf, einige wenige kühlten ihr erhitztes Gemüt in der knöcheltiefen Lauterach ab.

Das Schwenken von Deutschlandfahnen war in den 70er Jahren eher unüblich. Fanartikel in den Landesfarben waren auch noch 1990 rar. Also ließ ich mir von meiner Mutter eine Trikolore aus Stoffresten nähen. Die Fahne nagelte ich an einen alten Besenstiel. Ich hatte sie noch in der Hand, als sie mich in den Brunnen warfen.

Danach war sie voller Wasser und kaum mehr schwenkbar, ein tropfender Lappen. Ich habe sie – ganz unpatriotisch – noch am selben Abend an einen Betrunkenen verkauft. Der lallte mir mit gezücktem Geldbeutel zu, wie viel ich dann für die Fahne haben wolle. Ich stutzte, er drückte mir einen Zwanzig-Mark-Schein in die Hand und verschwand glücklich johlend mit dem Textil in der Menge.

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