Beratung

Experte: "Eltern müssen beim Homeschooling die Ansprüche herunterschrauben"

7.5.2021, 11:49 Uhr
Experte:

© Foto: Jochen Tack/imago

Die Resonanz war groß: Auf Facebook kommentierten viele Eltern, hauptsächlich Mütter, den unseren Artikel "Corona-Chaos bringt Eltern ans Limit". Der Tenor: Die Eltern geben im Homeschooling ihr Bestes, damit die Kinder nicht den Anschluss verlieren. Doch allmählich liegen die Nerven blank.

Direkt an die Redaktion gewandt hat sich eine Mutter, die ihren Alltag mit zwei Schulkindern beschreibt. Das ältere geht in die 4. Klasse und darf somit jeden zweiten Tag in die Schule. Das jüngere besucht die zweite Klasse und ist "sehr traurig, dass es jeden Tag zu Hause Distanzunterricht machen muss", erzählt sie. Es sei ihr unverständlich, warum ihre Kinder trotz Maskenpflicht und regelmäßiger Schnelltests nicht in den Unterricht dürften.

Betrübt zeigte sich die Mutter angesichts einer Aufgabe, die die Zweitklässlerin zu bearbeiten hatte. Sie sollte sich fünf Fragesätze zum Thema "Uhr" ausdenken, einer lautete: "In wie vielen Stunden darf ich wieder in die Schule gehen?"

Andere Kinder hätten ähnliche Fragesätze geschrieben, berichtet die Mutter und fragt sich: "Wie lange soll das noch so weiter gehen?"

Stresslevel in den Familien ist auf dem Höhepunkt

Die Belastung und das Stresslevel in den Familien haben offenbar den Höhepunkt seit Beginn der Corona-Krise erreicht. Das bekommen auch Einrichtungen wie die psychologische Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche der Caritas in Neumarkt zu spüren.

Deren Leiter, Dr. Thomas Schnelzer, spricht von "erhöhten Anmeldezahlen". Häufig bewegen Angst, Verzweiflung oder Aggression die Leute dazu, professionellen Rat einzuholen. Konflikte, die bereits vor dem Lockdown existierten, würden durch die Einschränkungen, das Homeschooling und vor allem die fehlende Perspektive verstärkt, erklärt Dr. Schnelzer.

Die Beratung der Caritas findet am Telefon oder – "nach wie vor unersetzlich" (Dr. Schnelzer) – persönlich unter Einhaltung der Hygienevorschriften statt. Einer von Homeschooling und Lockdown gebeutelten Mutter würde der Diplom-Psychologe raten, die Ansprüche an sich und das Kind herunter zu schrauben: "Das vorgegebene Pensum ist oft nicht zu schaffen. Der Druck ist groß, die Motivation sinkt und der Lernerfolg leidet."

Dr. Thomas Schnelzer beschreibt einen Teufelskreis, der sich nur durchbrechen ließe, wenn der Unterrichtsstoff realistisch dosiert würde. "Es ist wichtig, mit einer soliden Basis aus der Krise zu gehen, auf den die Lehrer später im Präsenzunterricht aufbauen können." Wie dieses Basisprogramm aussehen könnte, sei von Kind zu Kind und Klasse zu Klasse unterschiedlich. Schnelzer empfiehlt, sich mit anderen Eltern abzusprechen und eine Vereinbarung mit der Klassenleitung zu treffen.

Er ergänzt: "Schulleistungen sind nicht alles. Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass psychische und physische Gesundheit höhere Werte darstellen." Für viele Beratungssuchende sei es hilfreich, die Vogelperspektive einzunehmen: "Zu akzeptieren, dass die aktuellen psychischen Probleme tatsächlichen Belastungen einer krisenhaften Situation geschuldet sind, und, dass man mit diesen Problemen nicht alleine ist", so Dr. Schnelzer. Wichtig sei es, zu begreifen: Der Löwenanteil der Schüler werde wohl mit einem Lerndefizit ins Klassenzimmer zurückkehren.

Nicht ohne Grund hat das Bundeskabinett diese Woche das Corona-Aufholprogramm für Kinder und Jugendliche auf den Weg gebracht. Zwei-Milliarden-Euro sollen in Nachhilfe- und Sozialmaßnahmen investiert werden, um die Corona-Langzeitfolgen für Kinder und Jugendliche abzumildern.

Andere Regeln für die Grundschüler

Für die zweifache Mutter ist zumindest Entlastung in Sicht: Liegt die Sieben-Tage-Inzidenz fünf Tage am Stück unter dem Wert von 165, ist an den Grundschulen Wechselunterricht erlaubt. Für die weiterführenden Schulen gilt weiter die Schwelle von 100.

"Wir versuchen, die Kinder so gut es geht zu motivieren", sagt die Mutter, die auch Eltern-Klassensprecherin ist. Am vergangenen Dienstag war daher ein online-Treffen für die Kinder vereinbart, "damit die sich wenigstens mal wieder sehen". Die Technik spielte nicht so recht mit, ein neuer Versuch folgte am Donnerstag.

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