Hungerbekämpfung muss vor eigener Haustür beginnen

16.4.2010, 00:00 Uhr
Hungerbekämpfung muss vor eigener Haustür beginnen

© Stich

Das wissenschaftliche Dossier, das über 500 Forscher, Experten und Autoren von 2003 bis 2008 erarbeiteten, ist das Ergebnis des 60-köpfigen Weltagrarrats (International Assessment of Agricultural Science and Technology for Development, kurz: IAASTD), einem Zusammenschluss verschiedener UN-Organisationen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und der Weltbank.

Die Kernforderungen des Berichts und die damit verbundenen Paradigmenwechsel bei der globalen Landwirtschaft verdeutlichte Dr. Anita Idel, die als Wirtschaftsmediatorin für Ökonomie, Tierschutz, Landwirtschaft und Naturschutz sowie Projektmanagerin und Beraterin im Bereich nachhaltige Landwirtschaft, Ökologiesierung der Tierzucht und Agrobiodiversität tätig ist: »Wir können nicht so weitermachen wie bisher, wir alle müssen uns ändern. Nur eine radikale Wende der Agrarpolitik und Forschung hin zu kleinbäuerlichen Strukturen, angepassten Technologien und gerechter Land- und Ressourcenverteilung kann die Ernährung der Weltbevölkerung sichern, ohne die ökologischen Grundlagen der Landwirtschaft zu zerstören.»

Laut Dr. Anita Idel hungern derzeit über eine Milliarde Menschen auf unserem Planeten, während ebenso viele Menschen in den reichen Industrienationen an krankmachender Fettleibigkeit leiden. Einher mit dem Hunger gehen Krankheit, fehlende Bildung, mangelhafte Ausbildung und weitere soziale Aspekte, die einem nicht enden wollenden Teufelskreis gleichkommen. »In Indien sind über die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren gefährlich unterernährt. In Afrika herrschen Armut, Wasserknappheit und Hungersnöte ebenso wie in Asien, dem traurigen Spitzenreiter, wenn man die absoluten Zahlen vergleicht», erklärt Idel.

Gleichzeitig überraschte die Rednerin alle Anwesenden im nahezu vollbesetzten großen Saal mit einem aktuellen Vergleich der landwirtschaftlichen Ertragsverteilung. 95 Prozent aller Bauern leben und arbeiten demnach in Asien und Afrika. 85 Prozent davon gelten als »Kleinbauern», da sie weniger als zwei Hektar Land besitzen. »Jedoch werden über die Hälfte der Ernten weltweit von eben diesen Kleinbauern eingefahren, die damit nicht nur sich selbst versorgen», sagte die Rednerin. Hunger und Armut zu reduzieren, nachhaltige Landwirtschaft zu betreiben, Bevölkerung und Ressourcen zu schonen und Lebensgrundlagen im ländlichen Raum zu verbessern seien die erklärten Ziele des Weltagrarrats. »57 Länder haben den Weltagrarbericht angenommen und unterschrieben. Deutschland war aber offiziell nicht daran beteiligt», so Idel in der anschließenden Diskussion.

Die Notbremse ziehen

Wichtig sei, dass alle Nationen nicht nur zu Gunsten der Bekämpfung von Welthunger und Armut umdenken, sondern auch im Hinblick auf Umweltverschmutzung, Klimawandel, Temperaturanstieg, Trinkwasserverbrauch und Bodenerosion durch Ausbeutung, Monokulturen und einseitige Düngung die Notbremse ziehen.

Die Bekämpfung des Welthungers sollte vor der eigenen Haustür beginnen. »Solidarität muss auch über Ländergrenzen hinaus herrschen. Allein durch Bodenerosion gehen in Deutschland pro Jahr und Hektar zehn Tonnen an fruchtbarem Boden verloren. Wir müssen umdenken», appellierte Idel an die Landwirte im Saal.

Mehr Informationen gibt es im Internet unter: www.weltagrarbericht.de