Neumarkter Oskar Breindl: Aus heiterem Himmel in die Hölle

11.4.2015, 16:00 Uhr
Neumarkter Oskar Breindl: Aus heiterem Himmel in die Hölle

© Fritz-Wolfgang Etzold

Auch vor 70 Jahren war der 11. April in Neumarkt ein wunderschöner Frühlingstag. Doch am Mittag heulen die Sirenen auf. Wie bei jedem Fliegeralarm der vergangenen Wochen eilt die Familie von Oskar Breindl - er wohnte in einem der Genossenschaftshäusern in der Stroberstraße, sein Vater war Eisenbahner - zur gleichen Stelle im Wald an der Nordseite des Mariahilfbergs.

Einige 100 Meter unterhalb des Waldes liegt die „Hamburger Siedlung“, die wenige Monate zuvor für einige vor dem Bombenhagel geflüchtete Hansestädter errichtet worden ist. Sie wähnen sich im kleinen Neumarkt in Sicherheit. Doch der Krieg holt sie auch hier wieder ein.

Neugierig wie ein zwölfjähriger Bub nun mal ist, schleicht sich Oskar Breindl mit seinem Fernglas auf eine nahe Lichtung und sucht den blauen Himmel ab. Das Unheil kommt, anders als im Februar, diesmal von Osten: „Weil sich die Bomber in großer Höhe befanden, befürchtete ich eigentlich nicht Schlimmes“, schreibt Breindl in seinen Erinnerungen, die er als Buch veröffentlicht hat. Doch dann wirft das Führungsflugzeug, der „Pfadfinder“, genau wie beim Angriff am 23. Februar, eine Rauchbombe ab - das Zeichen für die nachfolgenden Flugzeuge: „Sie öffneten ihre Bombenschächte.“

Oskar rennt schnell wieder in den Wald zur Familie, sie legen sich in eine Mulde. Dann bricht das Inferno herein. Der Großteil der Bomben geht über der Altstadt nieder, einige werden zu früh abgeworfen und krachen in die Wälder östlich von Neumarkt.

Laut Breindl soll es allein in dem Waldstück, in dem er ausharrte, 13 Tote gegeben haben. Er selbst kommt glimpflich davon: „Durch den Luftdruck der berstenden Bomben wurden wir in die Höhe gehoben und wieder zurück auf den Boden geschleudert“, erinnert er sich. Und dass die Familie kaum einen Kratzer abbekam. „Zum Glück lagen wir nicht im Zentrum der Angriffe.“

Mit schlotternden Knien

Seinem Vater, der in Dienstuniform in den Wald geflohen ist, fliegt die Mütze mit solcher Wucht vom Kopf, dass dadurch der metallene Adler an der Stirnseite abgerissen wird. „Nach dem Angriff strebten wir an den Bombentrichtern vorbei mit schlotternden Knien nach Hause“, erzählt Breindl.

Seine Tante, die sie aus den Augen verloren hatten, kehrte kurz danach mit nur einem Schuh zurück. „Mein Cousin fand ihn wenig später in einem Bombenkrater.“ Breindls Siedlung war nicht getroffen worden, doch flüchtete die Familie am nächsten Morgen per Fahrrad aufs Land. Auch die Hamburger hatten Glück, nur knapp verfehlten die Fliegerbomben ihre Behelfsheime.

Keller boten keinen Schutz

Schlimm erging es stattdessen den Menschen in der Altstadt. Zum Zeitpunkt, als Breindl sich am Mariahilfeberg in die Mulde duckte, suchten sie Zuflucht in den Kellern ihrer Häuser. Nur, bei einem Volltreffer boten diese auch keinen Schutz mehr. Als schreckliches Beispiel sei hier die Metzgerei Hiereth an der Ostseite des Oberen Marktes erwähnt.

Fünfzehn Tote, darunter auch Kinder, hat es dort am 11. Februar gegeben, als eine Bombe im Gebäude einschlug, sagt Resi Simon, eine geborene Ehrnsberger. In der Nachbarschaft wird auch ihr Geburtshaus, die Gastwirtschaft zum Goldenen Engel (heute S. Oliver, zuvor Weltbild), völlig zerstört.

Riesenglück hat ihr Großvater Karl Völkl, der für Resi Simon, deren Vater und Stiefvater beide gestorben waren, der Ersatzvater war. Der Wirt verschanzte sich zum Zeitpunkt des Angriffs im Hinterhaus, wo er, wie damals noch viele Anrainer der Marktstraße, „seine Landwirtschaft“ hatte.

Glück hatte auch seine Frau. „Die Großmutter war genau an diesem Vormittag mit dem Wagen - zwei Kühe vorne, zwei hinten und ein Schwein drauf – von Neumarkt nach Günching gefahren. In der Kräfft sind die Kühe wie angewurzelt stehen geblieben, als die Flugzeuge über sie hinweg sind.“ Die Wirtsfamilie, die viel bäuerliche Kundschaft hatte, hatte schon vor dem Angriff eine Notbleibe gesucht und in einem Weiler bei Günching gefunden.

Die damals neunjährige Resi, die zum Zeitpunkt der Attacke bei Verwandten in Trautmannshofen wohnte, kam wenig später mit ihrer Mutter nach. Von dramatische Szenen erzählte der Großvater: Kurz vor dem Angriff sei ein Knecht vom Hiereth rüber ins Gasthaus gekommen, um sich Bier zu holen.

Als die Sirene ging, wollte er zurück, schlug das Angebot Karl Völkls aus, doch gleich mit in seinen Keller zu kommen.

Der Knecht bezahlte die fatale Entscheidung mit dem Leben.

Nachdem der Wirt des Goldenen Engels aus seinem Keller heraus gekrochen war, galt seine erste Sorge seinem Pferd, das im Stadel hinter dem Haus an der Kastengasse stand. „Von dem Pferd schauten nur noch die Ohren aus dem Schutt“, berichtete Völkl später seiner Familie. Mit den Händen grub er das lebende Tier aus. Laut Resi Simon war es „an jeder Stelle des Körpers verwundet“. Die Familie pflegte es gesund, rieb die Wunden täglich mit Kamillientee ein. „Es hat später den ganzen Schutt weggefahren.“

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