"Rübenretter": Dieser Oberpfälzer verkauft krummes Gemüse

19.1.2020, 06:00 Uhr
Der "Rübenretter" Pascal Nießlbeck (Mitte) verschickt Obst und Gemüse, das zwar nicht der Norm entspricht, jedoch für den Teller bestens geeignet ist.

© Foto: Roland Fengler Der "Rübenretter" Pascal Nießlbeck (Mitte) verschickt Obst und Gemüse, das zwar nicht der Norm entspricht, jedoch für den Teller bestens geeignet ist.

Kerzengerade, gleich lang und dick, die Oberfläche glatt und ohne den winzigsten Fehler präsentieren sich Gurken und Karotten. Bei den quietschroten Tomaten haben alle den identischen Durchmesser, und die Äpfel glänzen wie mit Bohnerwachs poliert. In den Supermärkten verkauft sich nur makelloses Obst und Gemüse gut.

Dumm nur, dass die Natur kein Langweiler ist, sondern ein hoch kreativer Designer, der die unterschiedlichsten Formen und Farbschattierungen entwirft; und die fallen beim "Model Casting" der Supermärkte durch. Was nicht der Norm entspricht, landet im Müll oder bestenfalls in Tiermägen. Pascal Nießlbeck hat dazu einen Gegenentwurf: Der "Rübenretter" verschickt Kisten mit Obst und Gemüse, das zwar nicht der Norm entspricht, jedoch einwandfrei und für den Teller bestens geeignet ist.

Auf die Geschäftsidee, krummes Obst und Gemüse zu vermarkten, ist Nießlbeck durch Gespräche mit einem Landwirt gekommen. Der klagte darüber, dass er gerade mal 60 Prozent seiner Feldfrüchte verkaufen könne. Der Rest werde zur Energiegewinnung genutzt oder nicht geerntet. Das war 2016. Im Mai 2017 startete der Verkauf zunächst in Nießlbecks Gemüseladen in Neumarkt. Mittlerweile hat sich der 24-Jährige einen Traum erfüllt: Er vermarktet sein Obst und Gemüse der besonderen Art online.

DHL liefert Kartons mit Obst und Gemüse aus

Es gibt fünf- und 7,5 bis acht-Kilo-"Retterboxen" wöchentlich im Abonnement, wahlweise mit Obst und saisonalem Gemüse oder gemischt sowie Kisten speziell für Firmen. Darin enthalten ist, was gerade geerntet wurde und somit immer eine Überraschung. Die Ware kommt in Kartons mit Karton-Trennwänden und wurde klimaneutral mit DHL GoGreen versandt.


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Nießlbeck ist in Obst- und Gemüseläden aufgewachsen und somit kein Greenhorn in der Branche. Die Landwirte, von denen er seine krumme Ware bezieht, hat er, wie er sagt, in erster Linie auf dem Nürnberger Großmarkt kennengelernt. Das sind unter anderem aus dem Knoblauchsland Gartenbau Drechsler, Scherzer Gemüse und Ruff-Häring Gemüsebau. Von ihnen stammen Tomaten, Gurken, Paprika, Auberginen, Radieschen, Wintergemüse, Karotten, Salat und Rettiche.

 

Die Eltern des Gärtnermeisters für Gemüsebau, Gerhard Herboldsheimer, sortieren momentan für Nießlbeck Karotten aus, die wie siamesische Zwillinge zusammengewachsen sind, weiße Rüben mit jeder Menge Beinen, herzförmige Rote Bete, etwas zu klein geratene schwarze Rettiche und was die Felder sonst noch an natürlich Gewachsenem, aber nicht Normgerechtem, hergeben.


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Nicht alles, was der "Rübenretter" in die Kisten packt, wächst in der Region. Die Südfrüchte kommen aus biologischem Anbau in Griechenland. Aber wie gerät ein kleiner fränkischer Händler an einen griechischen Obstbauern, der den gleichen Gedanken hat wie er: optisch nicht Perfektes vor dem Wegwerfen bewahren? "Die haben uns gefunden", sagt Nießlbeck lakonisch.

Und wie kommt er an seine Kunden? "In erster Linie durch Instagram, Influencer, Social Media." Verkanntes Obst und Gemüse ist besonders hip bei jungen Leuten, die sich für das Thema "Nachhaltigkeit" interessieren und gegen Lebensmittelverschwendung sind. Die Versuche großer Handelsketten, auf den Zug aufzuspringen, blieben bisher erfolglos, laut Verbraucherschützer nicht etwa wegen mangelnder Nachfrage, sondern, wegen des als zu groß erachteten Aufwands.

Vermarktungsnormen der Europäischen Union haben es in sich

Dass die Händler sich so stark auf Äußerlichkeiten konzentrieren, liegt aus Sicht der Verbraucherschützer auch daran, dass die Gewinnmargen bei Hochglanzprodukten wesentlich höher sind und sich großes und gleichmäßiges Gemüse und Obst in den Supermarktregalen besser macht als kleines und krummes. Auch hätten die Händler oft eigene Vorgaben, die weit über gesetzliche Normen hinausgingen. Dabei haben es schon die Vermarktungsnormen der Europäischen Union (EU) in sich. Die Verordnung schreibt detailliert vor, wie europäisches Obst und Gemüse auszusehen haben.


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18 Seiten davon beschäftigen sich allein mit den Äpfeln. Bei manchen Sorten muss beispielsweise mindestens die Hälfte der Gesamtfläche rot gefärbt sein. Und auch die berühmte zulässige Gurkenkrümmung ist definiert.

Laut einer Studie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gehen jährlich 1,3 Milliarden Tonnen der für den Menschen auf dem Acker produzierten Lebensmittel auf dem Weg zum Teller verloren.

Ein Großteil lande auf dem Müll. Jede zweite Kartoffel und jeder zweite Kopfsalat würden bereits vom Bauern aussortiert. "Rübenretter" Pascal Nießlbeck bewahrt zumindest pro Woche sechs bis sieben Tonnen Obst und Gemüse, indem er sie an Kunden verschickt, die sie zu schätzen wissen.

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