Tränen, Masken-Zoff und DNA: Prozess um Kindsmissbrauch in Neumarkt

4.3.2021, 17:53 Uhr

Für Staatsanwältin Lisa Rackl wog ein am Tatort weg geworfener Zigarettenstummel mit eindeutiger DNA schwer als Indiz, die Marschrichtung von Verteidiger Stephan Lucas war Freispruch.

Das Gericht fand am ersten Verhandlungsmarathon zu keinem Ergebnis. Am Mittwochabend um 19 Uhr wurde auf Montag vertagt. Das hatte auch der Münchener Anwalt mit zu verantworten, der nicht nur auf Grund von Zugverspätungen nicht pünktlich eingetroffen war. Er weigerte sich auch, wie von Richter Marcel Dumke angeordnet, eine Maske zu tragen und eröffnete so einen Nebenkriegsschauplatz.

Juristisches Hickhack 

Das juristische Hickhack zwischen dem Richter und dem prominenten Anwalt zog sich über Stunden. Stephan Lucas ist dem Fernsehpublikum aus der Serie Richter Hold bekannt, in der er unter seinem richtigen Namen mitspielte, und er vertritt auch die Angehörigen des vom NSU im Jahre 2000 in Nürnberg ermordeten Enver Simcek.

Derweil standen sich auf dem Flur des Amtsgerichts zahlreiche Zeugen die Beine in den Bauch, aber auch eine massive Abordnung der Neumarkter Polizei. Die hatte Richter Marcel Dumke angefordert, weil er davon ausging, dass eventuell der eine oder andere Zeuge wegen einer Falschaussage festgenommen werden müsste. Einen der Entlastungszeugen, den Verlobten des Angeklagten, erwischte es tatsächlich. Staatsanwältin Lisa Rackl eröffnete ihm noch im Gerichtssaal, dass er die Nacht in einer Gefängniszelle verbringen werde. Der Angeklagte brach in Tränen aus.

Uneinig beim Mundschutz

Nachdem Stephan Lucas seine zunächst nur mündlich vorgetragene Weigerung, in der Verhandlung einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, mit ausführlicher Begründung schriftlich nachgereicht hatte, nahm sich Richter Dumke Zeit für eine gründliche Lektüre und eine ebenfalls schriftliche Begründung, warum er den Antrag ablehne. Für ihn gehe die Gesundheit der am Verfahren Beteiligten vor. Stephan Lucas ist überzeugt, dass das Funktionieren einer Gerichtsverhandlung Vorrang haben müsse. Die Maske verstoße gegen das allgemeine Vermummungsverbot vor Gericht und erschwere die Kommunikation.

Am Ende und nach etlichen Unterbrechungen erwiesen sich die beiden Kontrahenten dann doch nicht als unnachgiebige Prinzipienreiter. Dumke stellte es den Zeugen frei, die Maske abzunehmen, weil auch ihm die Physiognomie des Gesichts bei den Aussagen wichtig ist, und Stephan Lucas setzte eine Maske auf. Das Gericht habe auf seinen Antrag sportlich reagiert, das wolle er nun auch tun, sagte er.

Zu Oralsex aufgefordert

Darüber sollte aber der Fall nicht in Vergessenheit geraten. Am 8. August 2019 hatte ein damals zwölfjähriger Bub, der mit dem Familienhund Gassi war, beobachtet, wie ein Mann im Kofferraum seines Wagens sitzend Hand an sich legte, ohne sich von der Anwesenheit des Kindes stören zu lassen. Vielmehr habe er den Jungen auch noch aufgefordert, ihm für 20 Euro einen zu blasen. Das Kind lehnte natürlich ab, ging einfach weiter, erzählte aber den Eltern von dem Vorfall. Die informierten die Polizei.

Der Bub konnte Automarke und -farbe benennen, vom Kennzeichen war ihm nur ein Fragment in Erinnerung geblieben. Auf dieser Grundlage wurden die Halter in Frage kommender Fahrzeuge ermittelt und bei der Vorlage von Bildern zeigte das Kind eindeutig auf den Angeklagten: "Der war es."

So sicher war sich der Knabe aber in seiner Aussage unter Ausschluss der Öffentlichkeit nicht mehr. Er könne sich nach dieser langen Zeit nicht mehr so genau erinnern und erkenne den Angeklagten auch nicht mit Sicherheit als Täter wieder. Soviel verriet der Verteidiger, nachdem die Öffentlichkeit wieder hergestellt war. Ein Einstellungsangebot des Gerichts hatten er und sein Mandant, der auf "unschuldig" bestand, abgelehnt.

Zigarettenstummel am Tatort

Die ermittelnden Polizeibeamten hatten allerdings keine Zweifel daran, dass der Bub die Wahrheit gesagt hatte. Er habe erstaunlich gefasst und reif gewirkt für sein Alter. Die Eltern sind überzeugt, dass er das Erlebnis unbeschadet überstanden hat. "Er spricht darüber und wird es verarbeiten."

An der Stelle, wo das Auto gestanden haben muss, fand die Polizei einen Zigarettenstummel mit intaktem Ascherest. Da es am Vortag geregnet hatte, war sicher, dass er noch nicht lange dort gelegen haben konnte. Die DNA-Untersuchung bestätigte: Geraucht hatte die Kippe der Angeklagte.

Staatsanwältin ordnet Festname an

Dessen Verlobter beteuerte in einer akribischen und von Richter Marcel Dumke über diverse verschlungene Pfade geführten Aussage, dass sein Lebenspartner zum angegebenen Tatzeitpunkt mit ihm zusammen im Garten gesessen und geplaudert habe.

Er war völlig perplex, als ihm die Staatsanwältin die Festnahme eröffnete. Nicht ganz so überrascht war Verteidiger Lucas. Das Polizeiaufgebot vor dem Gerichtssaal hatte ihm solche Schritte verraten. Er fand aber auch, dass diese Drohkulisse eine faire Verhandlung unmöglich mache. Die übrigen Zeugen der Verteidigung wüssten nun, dass sie, sollten sie ihren Bekannten entlasten, die Nacht hinter Gittern verbringen müssten.

Von Freunden bedroht

Auch aus diesem Grund und weil alle Beteiligten keine richtige Pause hatten und allmählich ermüdeten, regte er an, die Verhandlung zu vertagen. Richter Dumke hatte ein Einsehen und setzte den Folgetermin auf Montag, 8. März, 10.30 Uhr fest.

Eine letzte Zeugin, die an dem fraglichen Tag, aber Stunden vor der Tat ihr Auto dem Angeklagten gebracht hatte, um einen Blick auf den Auspuff zu werfen, klagte zwar, dass sie sich seit geraumer Zeit von dessen Freunden bedroht fühle, Erhellendes konnte sie aber nicht beitragen.

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