Vom Wunder der »Hand Gottes«

9.6.2010, 00:00 Uhr
Vom Wunder der »Hand Gottes«

© dpa

Tagtäglich werden wir von einer etwa 30 Zentimeter großen Stoff-Figur darauf gestoßen: auf den letzten WM-Gewinn der deutschen Auswahl 1990 in Italien. Seit 20 Jahren steht »Ciao«, das WM-Maskottchen, in der Sportredaktion der Neumarkter Nachrichten. Etwas eingestaubt erinnert es uns an das legendäre Elfmetertor von Andreas Brehme im Finale in Rom zum 1:0 gegen Argentinien, an das mitreißende Achtelfinale gegen Holland und freilich auch an das Elfmeterschießen gegen England im Halbfinale.

Das Problem: Egal, wen wir fragten, alle erinnerten sich spontan zumeist an eine der drei Weltmeisterschaften, bei denen Deutschland den Titel holte – also 1954, 1974 und 1990, wobei wir keinen aktiven Spieler fanden, der sich an die WM 1974, geschweige denn an die WM 1954 erinnerte.

Dafür aber einen Trainer: Karsten Wettberg, »der Unabsteigbare« und Übungsleiter des Bayernligisten SV Seligenporten. Es sprudelt auf ihm heraus: »1954 war ich zwölf Jahre und erlebte im Stadion in der Schweiz die 3:8-Niederlage gegen Ungarn mit, als eine deutsche B-Elf auflief, um den Gegner für das spätere Finale zu verwirren. Hätte ich da gewusst, dass wir Weltmeister werden, hätte ich mich irgendwie durchgeschlagen und wäre nicht wieder mit nach Hause gefahren.«

Begehrte Fehldrucke

Nachgeholt hat er das Finale mit deutschen Sieg dann 1974. Damals war er sogar beruflich am Ort. Nicht als Spieler oder Trainer, sondern als Leiter des Außensonderpostens der Post. »Wir hatten ein Büro im Münchner Olympiastadion, und ich saß beim Finale auf der Tribüne.«

Eine witzige Anekdote am Rand weiß Wettberg auch zu berichten: Im Vorfeld wurden sowohl Briefköpfe mit dem Aufdruck »Deutschland Vizeweltmeister« als auch mit »Deutschland Weltmeister« angefertigt. »Für die Fehldrucke mit dem Vize-Titel wurden mir damals gehörige Summen von Sammlern und Spekulanten geboten.« Doch Wettberg blieb standhaft und rückte nichts raus.

Schweigen über Wembley

Erinnern kann sich Wettberg freilich auch an die WM 1966 in England. Lediglich reden will er über das berühmte Wembley-Tor nicht. Vielmehr und viel lieber wird bei allen Befragten da schon über einen anderen Punkt im Zusammenhang mit England gesprochen – genauer gesagt über den Elfemeterpunkt und den fast schon sisyphosgleichen Versuch englischer Nationalspieler, den Ball von dort ins Tor zu schießen und dann auch mal ein solches Elfmeterschießen zu gewinnen.

Darüber kann dann auch Karsten Wettberg wieder schmunzeln, profitierte die deutsche Mannschaft doch 1990 (und übrigens auch 1996 bei der EM in England) direkt von der englischen Unfähigkeit, ein solches unbedrängtes Tor-Wettschießen zu gewinnen.

An eine WM ohne deutschen Titel erinnert sich spontan nur der ehemalige Holzheimer Coach und Ex-ClubProfi Thomas Brunner: »1970 war ich sieben Jahre, und wir haben die Spiele in Mexiko mit Pele, Seeler, Beckenbauer und Co. im Fernsehen verfolgt. Nach dem Spiel ging es dann raus auf den Bolzplatz, jeder hat sich den Namen seines Idols gegeben, und wir haben gekickt, bis es dunkel war.«

Live dabei

Doch dann schwingt auch Thomas Brunner in den Trend ein: »Die besten Erinnerungen habe ich wohl an die WM 1990 in Italien. Ich war bei drei Spielen live im Stadion. Unter anderem in der Partie Deutschland gegen Holland. Das Spucken von Rijkaard gegen Völler haben auch wir auf der Tribüne sehr gut gesehen. Ich habe mich nur gewundert, wie Rudi Völler da so ruhig bleiben konnte. Erst später kam raus, dass es in den Katakomben wohl schon noch etwas handgreiflicher zur Sache ging.«

Seine wirklich erste Erinnerung hatte er allerdings schon an die WM 1966. Brunner war damals erst vier Jahre, erinnert sich aber an das Finale: »Wir hatten den einzigen Fernseher, und so war das Wohnzimmer voll mit Bekannten.«

Ganz ähnlich klingen da auch die Erinnerungen von ASVer Hubert Kirsch: »Bei mir ist es die WM 1974. Ich weiß noch genau, dass das Finale am Sonntag der Woffenbacher Kirchweih stattfand. Denn nach dem Besuch dort saßen Freunde, Bekannte und Familie bei uns im Wohnzimmer und haben das Finale geguckt. Als es nach wenigen Minuten schon 1:0 für Holland stand, war das ein Riesenschock, und es war völlig still im Raum. Umso überschwänglicher war die Freude nach dem Sieg.«

Etwas überlegen muss Kirsch, soll er sich an die darauffolgenden Meisterschaften erinnern: »Die Schmach von Cordoba, das blamable 2:3 gegen Österreich ist noch irgendwo gespeichert, auch das Foul von Schuhmacher 1982 in Spanien gegen Frankreich taucht auf. Und die tolle Leistung von Diego Maradona 1986, aber auch seine ,Hand Gottes‘ in Mexiko ist mir in Erinnerung.« »Fantastische« Erinnerungen hat aber auch er erst wieder an die WM in Italien.

Eine Erlebnis der besonderen Art an die WM 1986 hat Maik Bonkaß, AH-Spieler des BSC Woffenbach und einstmals Trainer der zweiten Garnitur, zu berichten: »Das Finale durften wir in der damaligen DDR live im Fernsehen schauen. Das war ein großes Ereignis für uns, und freilich haben wir die Daumen für die Bundesrepublik gedrückt. An den Pass von Maradona zum 3:2 kann ich mich noch sehr gut erinnern. Es war ein tolles und spannendes Spiel.«

»Unsere Idole«

Die ersten Erinnerungen aktiver Spieler einer ersten Mannschaft aus Neumarkt setzen dann aber erst bei der WM 1990 ein: Sowohl Martin Krauß (noch SV Seligenporten) als auch Markus Stigler (Spielertrainer des TSV Wolfstein) gehören dazu. »Nach dem Elfmetertor von Andreas Brehme habe ich vor Freude den Sessel quer durch das Wohnzimmer geschoben«, so Stigler.

Und auch Krauß hat das Spiel zuhause vor dem Fernseher verfolgt: »Brehme, Völler, Klinsmann und vor allem Matthäus waren damals schon richtig stark und auf dem Bolzplatz unsere Idole.«

An die jüngere WM-Geschichte erinnern sich dann auch die jüngeren Spieler, so Bernd Rosinger (SV Seligenporten): »Spontan fällt mir das Turnier in Südkorea/Japan 2002 ein, speziell das Finale, das wir 0:2 gegen Brasilien verloren. Damals war ich 14. Die Szene vor dem 0:1, als ausgerechnet Oliver Kahn diesen Ball nach dem Schuss von Rivaldo wieder losließ und Ronaldo abstaubte, tat mir als Bayern-Fan schon besonders weh. Richtig gute Erinnerungen habe ich an die WM 2006 im eigenen Land. Da aber vor allem auch an diese fantastische Stimmung in Deutschland. Sportlich war das Ausscheiden gegen Italien im Halbfinale ja ziemlich bitter.«